Leitsatz (amtlich)

1. Der Übergang von Grundstückseigentum bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften unterliegt der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG 1940.2. Besteuerungsgrundlage ist die dem Verschmelzungsvertrag zu entnehmende Gegenleistung (Abweichung vom Urteil vom 28. Juli 1970 II 105/64, BFHE 100, 133, BStBl II 1970, 816).

2. War die übernehmende Gesellschaft nicht an der übertragenden Gesellschaft beteiligt, so gehören zur Gegenleistung die auf die übernehmende Gesellschaft übergehenden Verbindlichkeiten der übertragenden Gesellschaft und die an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft auszugebenden jungen Aktien der übernehmenden Gesellschaft.

 

Normenkette

GrEStG 1940 § 1 Abs. 1 Nr. 3, §§ 10-11

 

Tatbestand

Zwischen der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer AG, und der X AG wurde 1966 ein notariell beurkundeter Verschmelzungsvertrag geschlossen. Nach § 1 dieses Vertrages übertrug die X AG ihr Vermögen als Ganzes unter Ausschluß der Abwicklung im Wege der Verschmelzung gemäß § 339 Abs. 1 Nr. 1 des Aktiengesetzes (AktG) auf die Klägerin. Der Übertragung wurde die Bilanz der X AG auf den 30. Juni 1966 zugrunde gelegt. Die Klägerin gewährte den Aktionären der X AG junge Aktien aus einer im Zusammenhang mit der Verschmelzung durchgeführten Kapitalerhöhung. Zu dem Vermögen der X AG gehörten verschiedene Grundstücke.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte durch gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) a. F. vorläufigen Steuerbescheid vom 29. Januar 1969 wegen der in A belegenen Grundstücke nach einer angenommenen Gegenleistung in Höhe von ... DM eine Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM fest.

Die Klägerin hat gegen den vorläufigen Steuerbescheid mit Zustimmung des FA unmittelbar Klage erhoben und geltend gemacht, daß die Grunderwerbsteuer mangels Vorliegens einer Gegenleistung nach den Einheitswerten der Grundstücke zu berechnen sei. Das Finanzgericht (FG) ist dem im Laufe des Verfahrens erweiterten Klagantrag gefolgt und hat die Steuer nebst Zuschlag auf ... DM herabgesetzt. Es hat angenommen, daß die Grunderwerbsteuer aufgrund des § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1940 entstanden sei und gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 1, § 12 GrEStG 1940 nach den Einheitswerten zu berechnen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Der erkennende Senat stimmt mit dem FG darin überein, daß die Grunderwerbsteuer aus § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG 1940 entstanden ist. Er hält damit daran fest, daß durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1940 nur Rechtsgeschäfte erfaßt werden, aus denen ein Anspruch auf Übereignung im Sinne der §§ 873, 925 BGB entsteht, nicht aber Rechtsgeschäfte, die die Übertragung eines Vermögens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zum Gegenstand haben (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Juli 1970 II 105/64, BFHE 100, 133, BStBl II 1970, 816, unter Hinweis auf das zu § 5 Abs. 1 GrEStG 1919 ergangene Urteil des Reichsfinanzhofs vom 15. November 1932 II A 609/31, RStBl 1933, 148). An dieser auch zur Umwandlung und zum Vermögensübergang infolge Anwachsung vertretenen Auffassung (vgl. u. a. die Urteile des BFH vom 25. Februar 1969 II 142/63, BFHE 95, 292, BStBl II 1969, 400; vom 19. Januar 1977 II R 161/74, BFHE 121, 214, BStBl II 1977, 359; vom 16. Februar 1977 II R 89/74, BFHE 122, 338, BStBl II 1977, 671, und vom 8. Februar 1978 II R 48/73, BFHE 124, 387, BStBl II 1978, 320) hält der Senat nach erneuter Prüfung fest.

2. Entgegen der Auffassung des FG ist im vorliegenden Fall die Gegenleistung Besteuerungsgrundlage (§ 10 Abs. 1, § 11 GrEStG 1940). Auch wenn aus dem Übergang des Eigentums an den Grundstücken mit der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister des Sitzes der übertragenden Gesellschaft (§ 346 Abs. 3 AktG) selbst keine Gegenleistung folgt, so schließt dies nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht aus, die Gegenleistung einem ersetzenden Rechtsakt zu entnehmen (vgl. die Urteile II 105/64, BFHE 100, 133, 136; II R 161/74, BFHE 121, 214, 220; II R 89/74, BFHE 122, 338, 342, und II R 48/73, BFHE 124, 387). Als ersetzender Rechtsakt kommt im vorliegenden Falle allein der Verschmelzungsvertrag in Betracht. Ihm kann entgegen der vom Senat in seinem Urteil II 105/64 zur Verschmelzung von Genossenschaften vertretenen Auffassung eine Gegenleistung entnommen werden.

Der Senat hält daran fest, daß es sich bei der Formulierung des § 11 GrEStG 1940 ("Als Gegenleistung gilt ...") nicht um eine auf den jeweiligen Aussagebereich beschränkte Fiktion, sondern um die Legaldefinition eines eigenständigen grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistungsbegriffes handelt, der weiter ist als der bürgerlich-rechtliche Begriff der Gegenleistung (vgl. die Urteile vom 17. September 1975 II R 42/70, BFHE 117, 280, BStBl II 1976, 126, und II R 89/74, BFHE 122, 338, 342).

Die Gegenleistung besteht im vorliegenden Fall darin, daß die Klägerin im Zusammenhang mit der Übertragung des Aktivvermögens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge die Schulden der X AG ebenfalls im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zu übernehmen hatte und junge Aktien an die Gesellschafter der X AG gewährte (vgl. § 339 Abs. 1 Nr. 1 AktG).

Bei der Verschmelzung zweier Aktiengesellschaften durch Aufnahme handelt es sich um einen rechtlichen Vorgang, der mit dem Abschluß des Verschmelzungsvertrages beginnt, welcher der Zustimmung der beiden Hauptversammlungen bedarf (§ 340 Abs. 1 AktG). Ist der Verschmelzungsvertrag wirksam geworden, so hat die übernehmende Gesellschaft einen Anspruch auf die Mitwirkung der übertragenden Gesellschaft bei der Vermögensübertragung. Nach § 345 Abs. 1 AktG sind die Vorstände beider Gesellschaften verpflichtet, die Verschmelzung zur Eintragung in das Handeslregister anzumelden und dadurch den mit der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister der übertragenden Gesellschaft eintretenden Vermögensübergang (§ 346 Abs. 3 AktG) auszulösen. Gleichzeitig gehen die Verbindlichkeiten der übertragenden Gesellschaft über. Die jungen Aktien sind an einen von der übertragenden Gesellschaft zu bestellenden Treuhänder auszuhändigen (§ 346 Abs. 2 AktG). Mit der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister des Sitzes der übertragenden Gesellschaft erlischt diese (§ 346 Abs. 4 AktG).

Ist der vorstehend bezeichnete Verschmelzungsvorgang abgeschlossen, so sind das Aktivvermögen und das Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft übergegangen; die aus der Kapitalerhöhung herrührenden Aktien befinden sich im Besitz des von der übertragenden Gesellschaft bestellten Treuhänders. Die Veränderung in der Zuordnung des Aktivvermögens und des Passivvermögens sowie der jungen Aktien beruht auf dem Verschmelzungsvertrag. Sie ist durch die Erfüllung der aus dem Verschmelzungsvertrag hervorgehenden Anmeldeverpflichtung ausgelöst worden. Im rechtlichen und im wirtschaftlichen Ergebnis ist sie der "normalen" Kapitalerhöhung gegen Einbringung eines Unternehmens vergleichbar, bei der die Übernahme der Schulden und die Ausgabe der jungen Aktien als Gegenleistung für die Einbringung des Aktivvermögens anzusehen ist (vgl. hierzu Boruttau/Klein/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 11 Tz. 293, 293 a, 294, 295; anderer Meinung Hensel/Meulenbergh, Der Betrieb 1973 S. 2067 - DB 1973, 2067 -). Der Unterschied besteht nur darin, daß bei der Verschmelzung der Übergang des Aktivvermögens und des Passivvermögens in erleichterter Form vonstatten geht. Dies ändert jedoch nichts daran, daß auch bei der Verschmelzung dem Verschmelzungsvertrag als dem ersetzenden Rechtsakt, der auslösendes Moment für den Vermögensübergang ist, eine Gegenleistung entnommen werden kann.

Daß der Übergang der Verbindlichkeiten der übertragenden Gesellschaft bei Abschluß eines Verschmelzungsvertrages nicht ausgeschlossen werden kann, ändert nichts daran, daß der (gewollte) Übergang der Verbindlichkeiten Teil der Gegenleistung ist. Es gilt hier nichts anderes als z. B. in den Fällen des § 11 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1940, in denen die übergehenden Grundstücksbelastungen zur Gegenleistung gehören.

Gegen die Einbeziehung der Verbindlichkeiten der übertragenden Gesellschaft in die Gegenleistung kann nicht angeführt werden, daß diese Verbindlichkeiten für die übertragende Gesellschaft keinen wirtschaftlichen Wert mehr hätten (so aber Wohlschlegel, Steuer und Wirtschaft 1976 S. 361, 369). Denn die übertragende Gesellschaft wird durch den Übergang der Verbindlichkeiten rechtlich und wirtschaftlich entlastet. Es kann hier nichts anderes gelten als bei der Veräußerung des gesamten Vermögens einer Person u. a. gegen Übernahme der bestehenden Verbindlichkeiten.

Wenn in dem Urteil II 105/64 (BFHE 100, 133, 137) darauf hingewiesen worden ist, der Übergang der Schulden sei die gesetzliche Folge der Verschmelzung, so ist nicht genügend beachtet worden, daß der Übergang der Verbindlichkeiten zwar kraft Gesetzes eintritt, dieser Übergang aber durch den Abschluß des Verschmelzungsvertrages willentlich herbeigeführt wird. Es handelt sich nicht um einen Übergang des Aktiv- und des Passivvermögens kraft Gesetzes wie etwa im Erbfalle, sondern um die Übertragung des Vermögens einer Gesellschaft nebst Verbindlichkeiten unter Verwendung des vom Gesetzgeber bereitgestellten Rechtsinstitutes der Gesamtrechtsnachfolge. Der Senat vermag deshalb auch den entsprechenden Ausführungen u. a. von Tipke (DB 1968, Beilage Nr. 17/68 S. 5 f.) und von Wohlschlegel (a. a. O.) nicht zu folgen.

Zur Gegenleistung gehören auch die Aktien, die von der Klägerin den Aktionären der X AG zu gewähren waren. Da durch den Verschmelzungsvertrag infolge des Vermögensüberganges das Vermögen der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft ausgehöhlt wird, muß bei der Verschmelzung kraft Gesetzes sichergestellt werden, daß die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft keinen Schaden erleiden. Dem dient die Vorschrift, daß die Vermögensübertragung gegen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft stattfindet (vgl. § 339 Abs. 1 Nr. 1, §§ 343, 344, 346 Abs. 2 AktG). Die Vereinbarungen über die Ausgabe von Aktien der übernehmenden Gesellschaft an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft sind danach Vereinbarungen zugunsten der Aktionäre und gehören deshalb zur Gegenleistung.

Wie zu erfahren ist, wenn bei einer Verschmelzung keine jungen Aktien der übernehmenden Gesellschaft ausgegeben werden, weil die übernehmende Gesellschaft sämtliche Aktien der übertragenden Gesellschaft besitzt, bedarf hier keiner abschließenden Prüfung, denn dieser Fall liegt nicht vor (vgl. in diesem Zusammenhang das Urteil des Senats vom 16. April 1958 II 128/57, BFHE 67, 19, BStBl III 1958, 280).

 

Fundstellen

Haufe-Index 73234

BStBl II 1979, 683

BFHE 1979, 412

DNotZ 1980, 397

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