Leitsatz (amtlich)

Ein unsachliches Verhalten des die mündliche Verhandlung leitenden Richters des FG kann unter Umständen dazu führen, daß einer Prozeßpartei im Revisionsverfahren nicht entgegengehalten werden kann, sie hätte das Verhalten des Richters schon im Verfahren vor dem FG beanstanden müssen und könne deshalb die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht mehr mit Erfolg geltend machen.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1, §§ 76, 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3; ZPO §§ 43, 295

 

Tatbestand

Der Beigeladene hatte zum 1. Januar 1974 sein gesamtes Betriebsvermögen (ein Lebensmittelgeschäft) auf den Kläger und Revisionskläger (Kläger), seinen Sohn, übertragen. Aus diesem Anlaß war auch vereinbart worden, daß der Beigeladene für seine und seiner Ehefrau weitere Mitarbeit im Betrieb vom Kläger 5 v. H. des von diesem erzielten jährlichen Umsatzes erhalten sollte. Eine Vermögenseinlage hatte der Beigeladene nicht erbracht; er hatte auch keinen Anspruch auf ein etwaiges Auseinandersetzungsguthaben erworben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah in dieser Gestaltung keine Mitunternehmerschaft zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen und lehnte entsprechende Anträge auf gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb für die Streitjahre 1974 und 1975 ab.

Auch Einspruch und Klage sind erfolglos geblieben. Das Finanzgericht (FG) hat aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, an der unter anderem auch der Bevollmächtigte des Klägers teilgenommen hatte.

Mit seiner Revision wendet sich der Kläger gegen die Verhandlungsführung des Senatsvorsitzenden des FG. Dieser habe ihn und den Beigeladenen "eingeschüchtert"; er sei beim Beantworten von Fragen "wortabschneidend dazwischengefahren" und habe sich in "überheblicher und ironischer Art" geäußert. Dadurch sei ihm, dem Kläger, "in grober Weise das rechtliche Gehör weitgehend verweigert" worden. Eine Rüge der Verletzung materiellen Rechts wollte sich der Kläger für den Fall vorbehalten, daß der Senat den Verfahrensmangel für "nicht so beachtlich" hält und ihm dies auch mitteilt.

Der Kläger beantragt, die Sache an das FG zurückzuverweisen und einen anderen Senat "mit der Feststellung des Sachverhalts" zu beauftragen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

1. Die erhobene Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.

a) Der Revisionsbegründung des Klägers ist zu entnehmen, daß er sich in erster Linie gegen die behauptete unsachliche und kränkende Verhandlungsführung des Senatsvorsitzenden des FG wenden will. Der Inhalt dieses Vorbringens ist einmal, daß der Kläger den Senatsvorsitzenden für befangen hält (vgl. hierzu v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 51 FGO, Anm. 20, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 6. Juli 1966 V C 80/64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1967 S. 421 - HFR 1967, 421 -). Das hätte der Kläger aber noch bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem FG geltend machen müssen. Nach Beendigung der Instanz kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr abgelehnt werden (§ 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 43 der Zivilprozeßordnung - ZPO -); auch kann auf den behaupteten Ablehnungsgrund nicht die Revision gestützt werden (vgl. das BVerwG-Urteil vom 30. Oktober 1969 VIII CB 129-130/67, Monatsschrift für Deutsches Recht 1970 S. 442 - MDR 1970, 442 -).

b) Die Rüge des Klägers greift auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch.

Es ist anerkannt, daß eine Prozeßpartei gegen eine kränkende und unsachliche Behandlung vor Gericht auch durch die Vorschriften über das rechtliche Gehör geschützt ist (vgl. die BVerwG-Urteile V C 80/64 und vom 22. November 1963 IV C 103/63, BVerwGE 17, 170). Eine derartige Verletzung des rechtlichen Gehörs kann grundsätzlich nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn die durch die kränkende und unsachliche Verhandlungsführung hervorgerufene Behinderung erfolglos abgemahnt worden ist. Ist dies nicht geschehen, so ist in der Regel davon auszugehen, daß die Prozeßpartei auf eine entsprechende Rüge verzichtet und deswegen ihr Rügerecht verloren hat (§§ 155 FGO, 295 ZPO; vgl. auch die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1970 VI R 313/68, BFHE 102, 202, BStBl II 1971, 591, und vom 4. Mai 1977 I R 27/74, BFHE 123, 20, BStBl II 1977, 802). Diese Grundsätze gelten jedoch nicht ausnahmslos. Im Einzelfall kann eine Prozeßpartei durch das unsachliche Verhalten des die mündliche Verhandlung leitenden Richters in einem so erheblichen Maße eingeschüchtert und unter Druck gesetzt worden sein, daß sie psychisch außerstande war, in der mündlichen Verhandlung ihre Rechte unbehindert geltend zu machen. In solchen Fällen kann der Prozeßpartei nicht ohne weiteres entgegengehalten werden, sie hätte das Verhalten des Richters schon in der mündlichen Verhandlung beanstanden müssen und könne deshalb im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend machen, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Andernfalls wäre der Anspruch der Prozeßpartei auf möglichst effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -) ohne zwingenden Grund beeinträchtigt.

Im Streitfall hat der Kläger Gründe vorgebracht, die - ihre Richtigkeit unterstellt - die Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters beim FG als unsachlich erscheinen lassen könnten. Damit hat der Kläger jedoch die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur zum Teil in gehöriger Form erhoben (§ 120 Abs. 2 FGO). Er hat nicht vorgetragen, welche Tatsachen und Beweisergebnisse, zu denen sich der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter nicht ausreichend hätte äußern können, das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (§ 96 Abs. 2 FGO; vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 12. Juli 1972 I R 205/70, BFHE 107, 186 [193], BStBl II 1973, 59 [63], mit weiteren Nachweisen).

2. Eine sachliche Nachprüfung der Vorentscheidung ist dem Senat verwehrt.

Der Kläger selbst hat die Verletzung materiellen Rechts innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 FGO) nicht gerügt. Eine entsprechende Überprüfung von Amts wegen kommt wegen § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht in Betracht.

Der Kläger hat lediglich angebliche Mängel des finanzgerichtlichen Verfahrens gerügt. Für diesen Fall bestimmt § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO, daß nur über den geltend gemachten Verfahrensmangel zu entscheiden ist, sofern nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) oder Nr. 2 dieser Vorschrift (Abweichung von einer Entscheidung des BFH) vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Vorschrift so zu verstehen, daß in den Fällen, in denen eine nach § 115 Abs. 1 FGO wegen der Höhe des Streitwerts statthafte Revision allein auf Verfahrensmängel gestützt wird, ohne das Recht der materiell-rechtlichen Überprüfung der Vorentscheidung nur über die zulässigerweise geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden ist, wenn nicht zugleich die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO erfüllt sind (vgl. Urteil vom 10. März 1976 I R 100/74, BFHE 118, 530, BStBl II 1976, 498, sowie Beschluß vom 24. Mai 1977 IV R 45/76, BFHE 122, 396, BStBl II 1977, 694).

Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO sind offensichtlich nicht erfüllt. Der Rechtssache ist keine grundsätzliche Bedeutung beizumessen. Eine Abweichung von einer Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) ist ebenfalls nicht festzustellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73466

BStBl II 1980, 299

BFHE 1980, 524

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