Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesellschafterhaftung für Rückzahlungsschuld der Gesellschaft

 

Leitsatz (NV)

Stellt sich nach Eintritt eines Gesellschafters in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts heraus, daß ein von der Gesellschaft errichtetes Bauwerk entgegen der ursprünglichen Absicht nicht vermietet wird, und fordert deshalb das FA die zunächst an die Gesellschaft wegen Verzichts auf die Steuerbefreiung (§ 9 i. V. mit § 4 Nr. 12a UStG 1973) ausgezahlten Vorsteuerbeträge wieder zurück, so haftet der eingetretene Gesellschafter für die Rückzahlungsschuld der Gesellschaft (§ 37 AO 1977) uneingeschränkt.

 

Normenkette

AO 1977 § 37

 

Tatbestand

Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) trat am 2. Juni 1977 einer Arbeitsgemeinschaft bei, die mit der Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses befaßt war. Die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) - eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) - bestand damals aus drei Gesellschaftern, von denen einer - der Gesellschafter B - mit notarieller Urkunde vom Dezember 1976 als bevollmächtigter Vertreter gegenüber Gerichten und Behörden bestellt worden war. Auf diese Bestellung des Gesellschafters B als Vertreter der GbR wurde bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages mit dem Kläger ausdrücklich Bezug genommen. Die von der GbR eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen wurden durchweg unter der Bezeichnung: ,,ARGE-B. Notar.bev. Vertreter, . . . abgegeben.

Die GbR hatte nach den bei einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung getroffenen Feststellungen ursprünglich beabsichtigt, die zu errichtenden Räume an Unternehmer zu vermieten und die Mietumsätze durch Verzicht auf die Steuerbefreiung der Umsatzsteuer zu unterwerfen (§ 9 i. V. m. § 4 Nr. 12a des UStG 1973). Sie hatte deshalb - vertreten durch den Gesellschafter B - bereits vor dem 2. Juni 1977 in den bis dahin eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen Vorsteuerüberschüsse in Höhe von 35 870,40 DM erklärt und diese vom FA ausgezahlt erhalten. Nach dem 2. Juni 1977 wurden an die GbR für die Jahre 1977 und 1978 weitere Vorsteuerüberschüsse in Höhe von 73 482,90 DM ausgezahlt.

Bei einer nach Fertigstellung des Gebäudes durchgeführten Sonderprüfung für den Zeitraum Mai 1977 bis September 1978 stellte der Prüfer fest, daß die ARGE nicht mehr beabsichtige, steuerpflichtige Vermietungsumsätze zu erzielen. Das FA setzte mit bestandskräftigen Veranlagungsbescheiden vom 17. Mai 1979 für die Jahre 1976 bis 1978 gegenüber der ARGE die Umsatzsteuer auf 0 DM fest und forderte die ausgezahlten Vorsteuern (1976: 19 916,62 DM; 1977: 69 969,31 DM; 1978: 19 467,40 DM) von insgesamt 109 353,33 DM von der GbR zurück. Die Veranlagungsbescheide wurden dem Gesellschafter B zugestellt.

Nachdem auf die Rückforderung lediglich von dem Gesellschafter B ein Teilbetrag von insgesamt 8 000 DM (zweimal 4 000 DM) gezahlt und weitere Zahlungen von der GbR nicht zu erlangen waren, nahm das FA den Kläger mit Haftungsbescheid vom 13. Dezember 1979 in Form der Einspruchsentscheidung in Höhe von 101 353,33 DM (109 353,33 ./. 8 000 DM) als Haftungsschuldner in Anspruch (§ 191 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 714, 427 BGB).

Auf die mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hat das FG die Haftungsschuld (Haftsumme) auf 18 370,53 DM herabgesetzt und im übrigen die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil haben der Kläger und das FA - jeweils selbständig - Revision eingelegt.

Der Kläger, der das Klagebegehren - die vollständige Aufhebung des Haftungsbescheids - weiterverfolgt, rügt unrichtige Anwendung der §§ 191, 122 AO 1977.

Die Veranlagungsbescheide vom 17. Mai 1979 für die Jahre 1976 bis 1978 seien der GbR nicht wirksam zugestellt und daher nicht bestandskräftig geworden. Die Zustellung hätte an sämtliche Gesellschafter vorgenommen werden müssen und nicht - wie geschehen - nur an den Gesellschafter B. Denn die Gesellschaft sei zufolge einer Mitteilung des Steuerberaters M an das FA vom 6. August 1979 damals bereits beendet gewesen. Seien aber, was das FG übersehen habe, die Steuerbescheide vom 17. Mai 1979 mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht bestandskräftig geworden, so sei die Auszahlung der Vorsteuerbeträge auf der Grundlage der vom FA anerkannten Umsatzsteuer-Voranmeldungen und damit nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt. Der Rückforderungsanspruch des FA sei wegen Fehlens einer geänderten Steuerfestsetzung in Anwendung von § 37 Abs. 2 AO 1977 nicht zur Entstehung gelangt. Fehle es aber an einem rechtswirksamen Änderungsbescheid, komme wegen Nichtvorhandenseins eines Primäranspruchs eine Haftung nicht in Betracht.

Das FA rügt unrichtige Anwendung von § 191 AO 1977 i. V. m. §§ 705 ff. und § 427 BGB.

Dies gelte zunächst hinsichtlich der Kürzung der Haftungsschuld um die vor dem 2. Juni 1977 an die GbR ausgezahlten Vorsteuerbeträge. Das Argument des FG, daß neu eintretende Gesellschafter für die vor ihrem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten nicht aufzukommen hätten, sei nicht stichhaltig. Denn der Rückzahlungsanspruchs des FA sei erst durch die Nichtausübung der - zunächst vorgesehenen - Option (§ 4 Nr. 12a i. V. m. § 9 UStG 1973) entstanden und zu diesem - also jedenfalls nach dem 2. Juni 1977 liegenden - Zeitpunkt sei der Kläger bereits Gesellschafter gewesen.

Aber auch die weitere, von dem FG vorgenommene Kürzung der Haftsumme auf ein Viertel der Haftungsschuld sei ungerechtfertigt. Das von dem FG für seine Auffassung in Bezug genommene Urteil des BGH (NJW 1979, 2101) sei schon deshalb nicht anwendbar, weil der dort entschiedene Sachverhalt mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar sei. Das BGH-Urteil beziehe sich ausdrücklich auf sog. Aufbaukosten, d. h. solche Verbindlichkeiten, die anläßlich der Herstellung eines Gebäudes entstanden seien. Der Rückzahlungsanspruch des FA hinsichtlich der zu Unrecht ausgezahlten Vorsteuern habe nichts mit der Herstellung des Bauwerks zu tun und sei dieser auch nicht wirtschaftlich zuzurechnen. Da der Anspruch, wie bereits ausgeführt, erst mit der Nichtausübung der Option entstanden sei, handle es sich auf seiten der GbR um eine Verbindlichkeit, die nicht den Aufbau-(Herstellungs-)kosten, sondern den Verwaltungskosten zuzurechnen sei. Für die letzteren gelte aber die nur anteilige Haftung der Gesellschafter nicht, was sich auch aus dem genannten BGB-Urteil ergebe.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils die Klage gegen den Haftungsbescheid abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision des Klägers

Die Auffassung des Klägers, die Veranlagungsbescheide vom 17. Mai 1979 seien nicht ordnungsmäßig bekanntgemacht und daher nicht rechtswirksam geworden (§ 122 Abs. 1 AO 1977), trifft nicht zu. Steuerschuldner - desgleichen Rückzahlungsschuldner für die ausgezahlten Vorsteuern - war die GbR als Unternehmer (§ 13 Abs. 2, § 2 Abs. 1 UStG 1973). In den Veranlagungsbescheiden ist daher die GbR zutreffend als Adressat angegeben. Dieser sind die Steuerbescheide auch zugegangen, weil sie dem Gesellschafter B als ihrem notariell bevollmächtigten und dem FA gegenüber als solcher aufgetretenen Vertreter zugestellt worden sind (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 9 zu § 34 AO 1977; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Mai 1979 II R 38/74, BFHE 128, 270, BStBl II 1979, 656). Soweit der Revisionsbegründung des Klägers entnommen werden könnte, daß die ARGE bereits bei der Zustellung an den vertretungsberechtigten Gesellschafter B nicht mehr bestanden habe, ist darauf hinzuweisen, daß diese Darstellung erstmals in der Revisionsinstanz vorgetragen wurde und schon aus diesem Grund nicht berücksichtigt werden kann (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie ist in der Revisionsinstanz nicht von Amts wegen zu überprüfen, weil es nicht um die Zustellung des angefochtenen Haftungsbescheids, sondern um diejenige des zugrunde liegenden Steuerbescheides geht. Im übrigen kann die GbR im Mai 1979 schon deshalb nicht voll beendet gewesen sein, weil ihre Rechtsbeziehungen nach außen wegen des Vorhandenseins von Steuerschulden nicht abgewickelt waren (vgl. Urteil des BFH vom 21. Mai 1971 V R 117/67, BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 541, 543).

II. Revision des FA

1. Da die erstmalige Verwendung des von der GbR errichteten Bauwerkes - entgegen der ursprünglichen Absicht der Gesellschafter - eine steuerbefreite (§ 4 Nr. 12a UStG 1973) war, kam ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1973). Die an die GbR ausgezahlten Vorsteuerbeträge - insgesamt 109 353,33 DM - waren vom FA zurückzufordern. Das FA hat die Rückzahlungsforderung in den - bestandskräftig gewordenen - Veranlagungsbescheiden vom 17. Mai 1979 festgesetzt. Sie ist - als Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 (vgl. BFH-Urteil vom 21. Mai 1985 VII R 191/82, BFHE 143, 412, BStBl II 1985, 48) - der dem Haftungsbescheid vom 13. Dezember 1979 in Form der Einspruchsentscheidung vom 13. August 1981 zugrunde liegende materielle Steueranspruch (sog. Primäranspruch). Wie der BFH mit Urteil vom 23. Oktober 1985 VII R 187/82 (BFHE 145, 13, BStBl II 1986, 156) entschieden hat, haftet der Kläger in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der GbR für die Rückzahlungsschuld der Gesellschaft persönlich. Das FA hat daher die Haftung des Klägers dem Grunde nach zu Recht durch Haftungsbescheid geltend gemacht (§ 191 Abs. 1 AO 1977).

2. Hinsichtlich des Umfangs der Haftung - also der Höhe der Haftungsschuld - gilt folgendes:

a) Ein anfechtbarer (und angefochtener) Verwaltungsakt liegt nur in Höhe der in der Einspruchsentscheidung auf 101 353 DM (109 353 DM ./. 8 000 DM) festgesetzten Haftungssumme vor. Die von dem Gesellschafter B auf die Rückzahlungsschuld der GbR (109 353 DM) gezahlten 8 000 DM hatte das FA im übrigen - entgegen der Auffassung des FG - zu Recht aus der Haftungssumme herausgenommen (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 und BFH-Urteil vom 6. Dezember 1979 V R 125/76, BFHE 129, 126, BStBl II 1980, 103).

b) Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und daher revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat der erkennende Senat davon auszugehen, daß der Kläger am 2. Juni 1977 in die GbR als Gesellschafter eingetreten ist und daß sich erst bei (oder nach) Fertigstellung des von der GbR errichteten Gebäudes zu Anfang 1978 herausgestellt hat, eine steuerpflichtige Vermietung desselben könne - entgegen der ursprünglichen Absicht der Gesellschafter - nicht durchgeführt werden (Bezugnahme auf den Betriebsprüfungsbericht). Damit war der Schwebezustand, der bis zur erstmaligen Verwendung des Gebäudes hinsichtlich der Berechtigung (oder Nichtberechtigung) des Vorsteuerabzugs (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. §§ 9, 12a UStG 1973) bestanden hat, beendet (vgl. hierzu Urteil des BFH vom 25. Januar 1979 V R 53/72, BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394 unter Ziff. 2 der Entscheidungsgründe). Denn seit Anfang 1978 stand jedenfalls endgültig fest, daß schon wegen Nichtvornahme einer steuerpflichtigen Vermietung der Vorsteuerabzug in Anwendung von § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1973 nicht in Anspruch genommen werden konnte. Die Frage, ob der Rückzahlungsanspruch (Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977) bereits in diesem Zeitpunkt entstanden ist (so Tipke / Kruse, a.a.O., Tz. 11 zu § 37 AO 1977) oder erst mit Erlaß der für die Jahre 1976 bis 1978 ergangenen Veranlagungsbescheide vom 17. Mai 1979 (so Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Tz. 49 zu § 37 AO 1977; Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., Anm. 6 zu § 37 und Anm. 4 zu § 46 AO 1977; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., Anm. 3 zu § 37; Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2. Aufl., Rdnr. 12 zu § 37), kann daher im Streitfall auf sich beruhen. Denn nach jeder der beiden Auffassungen ist der Rückforderungsanspruch des FA jedenfalls erst nach dem Eintritt des Klägers in die GbR am 2. Juni 1977 zur Entstehung gelangt. Der Kläger haftet daher auch für die Rückzahlung der vor seinem Eintritt in die GbR ausgezahlten Vorsteuern (35 870 DM).

c) Eine Kürzung der Haftungsschuld durch Reduzierung auf ein Viertel der Rückzahlungsschuld kommt entgegen der Auffassung des FG nicht in Betracht. Das von dem FG für seine Auffassung zugrunde gelegte Urteil des BGH in NJW 1979, 2101 ist nicht anwendbar. Denn dieses Urteil bezieht sich - wie dem Leitsatz und dem weiteren Inhalt zu entnehmen ist - lediglich auf die bei der Errichtung eines Gebäudes angefallenen Herstellungskosten. Es ist bereits zweifelhaft, ob es sich bei dem Erstattungsanspruch des FA (§ 37 Abs. 2 AO 1977) um eine Forderung handelt, die den Herstellungskosten im Sinne dieses Urteils gleichgestellt werden könnte. Aber selbst wenn man dies - etwa im Hinblick auf die Regelung des § 9b EStG - bejahen wollte, scheitert die Anwendung der Grundsätze des genannten Urteils des BGH daran, daß dieses Urteil ersichtlich von vertraglich begründeten Verpflichtungen der einzelnen Wohnungseigentümer (vgl. Ziff. 2a der Entscheidungsgründe) gegenüber dem oder den Bauunternehmer(n) ausgeht, denen angesichts der ,,besonderen Interessenlage" bei der Errichtung eines sich im Miteigentum befindlichen Gebäudes eine gesamtschuldnerische Verpflichtung (§ 427 BGB) nicht zugemutet werden sollte. Dagegen handelt es sich im Streitfall nicht um eine vertraglich begründete Verbindlichkeit der Gesellschafter selbst, sondern um eine kraft Gesetzes entstandene Rückzahlungsschuld der Gesellschaft als des umsatzsteuerrechtlichen Unternehmens, für die nach den Grundsätzen des Urteils in BFHE 145, 13, BStBl II 1986, 156 die Gesellschafter als Haftungsschuldner gesamtschuldnerisch einstehen müssen.

3. Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen ist somit auf die Revision des FA das finanzgerichtliche Urteil, soweit es der Klage stattgegeben hat, aufzuheben und - da die Sache spruchreif ist - die Klage auch insoweit abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414803

BFH/NV 1987, 618

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