Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhältnis zwischen Anrechnungsverfügung und Abrechnungsbescheid: Änderung der Anrechnungsverfügung nach § 130 Abs.2 Nr.4 AO 1977, nur verfahrensrechtliche Vorrangigkeit des Abrechnungsbescheids, Bindungswirkung der Anrechnungsverfügung, Änderung der Rechtsprechung - Voraussetzungen einer Vorlage an den Großen Senat des BFH - revisionsrechtliche Behandlung einer nicht nachvollziehbaren Schlußfolgerung des FG

 

Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält (gegen die Auffassung des I. Senats des BFH) an seiner Rechtsprechung fest, daß eine fehlerhafte Anrechnung von Steuern in einer Anrechnungsverfügung auch durch einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid nur dann zum Nachteil des Steuerpflichtigen geändert werden kann, wenn eine der Voraussetzungen des § 130 Abs.2 AO 1977 für die Rücknahme der Anrechnungsverfügung gegeben ist.

 

Orientierungssatz

1. Die mit einem Steuerbescheid verbundene Anrechnungsverfügung bezüglich Vorauszahlungen oder einbehaltenen Steuerabzugsbeträgen ist ein eigenständiger deklaratorischer Verwaltungsakt, der nur unter den Voraussetzungen der §§ 129, 130, 131 AO 1977 geändert werden kann und gegenüber einem späteren Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs.2 AO 1977 Bindungswirkung entfaltet. Der Abrechnungsbescheid ist nur in verfahrensrechtlicher Hinsicht vorrangig gegenüber der Anrechnungsverfügung (Ausführungen zum Verhältnis zwischen Abrechnungsverfügung und Abrechnungsbescheid). Die Anrechnungsverfügung kann sogar eine Ermessensentscheidung der Verwaltung enthalten.

2. Die Voraussetzungen für eine Vorlage an den Großen Senat des BFH wegen einer Abweichung gemäß § 11 Abs. 2 FGO sind nur dann gegeben, wenn die Rechtsfrage für den erkennenden Senat und für den Senat, der früher entschieden hat, entscheidungserheblich ist bzw. war. Eine bestimmte Rechtsauffassung ist entscheidungserheblich, wenn sie für die Entscheidung tragend ist; beiläufige Bemerkungen, sog. obiter dicta, sind ohne Belang. Es spricht für ein obiter dictum, wenn ein Senat trotz einer offensichtlichen Abweichung von einer von einem anderen Senat entscheidungserheblich vertretenen Rechtsauffassung nicht bei dem anderen Senat gemäß § 11 Abs.3 FGO angefragt hat, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhalte, und er somit eine Vorlage der Rechtsfrage an den Großen Senat nicht in seine Erwägungen einbezogen hat.

3. Wegen des Verhältnisses einer Anrechnungsverfügung zu einem nachfolgenden Abrechnungsbescheid ist eine --im pflichtgemäßen Ermessen des Senats stehende-- Anfrage an den Großen Senat des BFH wegen Grundsätzlichkeit der Rechtsfrage nicht geboten.

4. Eine aufgrund der festgestellten Tatsachen und angegebenen Umstände nicht nachvollziehbare Schlußfolgerung des FG kann als Fehler der Rechtsanwendung ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden (vgl. BFH-Urteil vom 25. Mai 1988 I R 225/82).

5. Eine fehlerhafte Anrechnungsverfügung kann im allgemeinen nach § 130 Abs.2 Nr.4 AO 1977 geändert werden, wenn sich dem Steuerpflichtigen eine Überprüfung der Anrechnungsverfügung von der Höhe des angerechneten Betrages her im Verhältnis zur Steuerschuld oder zu den tatsächlichen Abzugsbeträgen oder Vorauszahlungen hätte aufdrängen müssen. Das ist insbesondere der Fall, wenn Steuerabzugsbeträge in erheblicher Höhe auf die Steuerschuld des Veranlagungszeitraums angerechnet worden sind, ohne daß die entsprechenden Einnahmen bei der Veranlagung angesetzt worden wären. Bei der Anwendung des § 130 Abs.2 Nr.4 AO 1977 dürfen auch die Beurteilungsmöglichkeiten des Steuerberaters nicht außer Betracht bleiben.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 118, 129, 130 Abs. 2 Nr. 4, §§ 131, 218 Abs. 2; EStG § 36 Abs. 2 Nr. 2; FGO § 11 Abs. 2-4, § 96 Abs. 1 Sätze 1, 3

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.09.1996; Aktenzeichen 10 K 229/95)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war als Prokurist im Betrieb seiner inzwischen von ihm geschiedenen Ehefrau angestellt. In den Streitjahren 1976 bis 1979 führte die Ehefrau (Arbeitgeberin) von Tantiemen, die dem Kläger gutgeschrieben wurden, Lohnsteuer und Kirchensteuer an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) ab.

Die einbehaltenen und abgeführten Steuerabzugsbeträge wurden auf den Lohnsteuerkarten des Klägers bescheinigt. Nachdem aufgrund einer Betriebsprüfung die lediglich gutgeschriebenen Tantiemen steuerlich nicht als Arbeitslohn des Klägers anerkannt worden waren, erstattete das FA die dafür abgeführten Lohnsteuern und Kirchensteuern an die Ehefrau des Klägers. Ein später ergangener Rückforderungsbescheid gegen die Ehefrau wurde auf deren Klage hin vom Finanzgericht (FG) aufgehoben. Das FG sah die Ehefrau als Erstattungsberechtigte an, weil sie die Lohnsteuer und Kirchensteuer abgeführt habe, ohne daß ein entsprechender Arbeitslohn gezahlt worden sei. Die Revision des Klägers, der zu dem finanzgerichtlichen Verfahren beigeladen worden war, wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) als unbegründet zurückgewiesen.

In den geänderten Einkommensteuerbescheiden 1976 bis 1979 über die auf Antrag des Klägers durchgeführten getrennten Veranlagungen wurden die dem Kläger gutgeschriebenen Tantiemen nicht als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfaßt; die darauf entfallende Lohnsteuer und Kirchensteuer in Höhe von ca. 150 000 DM wurde aber auf die Einkommensteuerschulden des Klägers angerechnet. Nach der Erstattung dieser Beträge an die Ehefrau erließ das FA gegenüber dem Kläger eine geänderte Anrechnungsverfügung und nachfolgend einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), mit denen es die angerechneten Beträge zurückforderte. Auf die Klage des Klägers hob das FG den angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 18. Mai 1984 und die dazu ergangene zurückweisende Einspruchsentscheidung ersatzlos auf. Das FG führte im wesentlichen aus:

Zwar sei inzwischen in dem vorangegangenen Rechtsstreit auch gegenüber dem Kläger als Beigeladenen rechtskräftig entschieden worden, daß die Ehefrau des Klägers Erstattungsberechtigte der streitigen Steuerabzugsbeträge sei und somit die Anrechnung auf die Einkommensteuerschulden des Klägers im Zusammenhang mit den geänderten Einkommensteuerbescheiden 1976 bis 1979 zu Unrecht erfolgt sei. Im übrigen hätte eine Anrechnung auch deshalb nicht vorgenommen werden dürfen, weil die zugehörigen, mit dem Steuerabzug belasteten Tantiemen in diesen Steuerbescheiden nicht als Einkünfte erfaßt worden seien (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 10. Januar 1995 VII R 41/94, BFH/NV 1995, 779). Der Senat folge aber der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH (BFH-Urteil vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405), wonach die Anrechnung von Steuern durch einen deklaratorischen Verwaltungsakt (Anrechnungsverfügung) erfolge, der --wenn er einen Fehler zugunsten des Steuerpflichtigen enthalte-- nach § 130 Abs. 2 AO 1977 nur zurückgenommen bzw. geändert werden könne, wenn eine der dafür im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen gegeben sei. Der dem entgegenstehenden Auffassung des I. Senats des BFH (BFH-Urteile vom 28. April 1993 I R 100/92, BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836, und I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147), nach der § 218 Abs. 2 AO 1977 eine den §§ 130, 131 AO 1977 vorgreifliche Sonderregelung enthalte, so daß das FA im Abrechnungsbescheid ohne Bindung an frühere Anrechnungsverfügungen entscheiden könne, sei nicht zu folgen; denn sie lasse den Vertrauenstatbestand, der durch die Anrechnungsverfügung als Verwaltungsakt beim Steuerpflichtigen begründet werde, außer acht.

Im Streitfall sei die Rücknahme der in den Anrechnungsverfügungen vorgenommenen Anrechnung der auf die Tantieme entfallenden Lohnsteuer und Kirchensteuer auf die Einkommensteuerschulden des Klägers durch den angefochtenen Abrechnungsbescheid nicht zulässig gewesen, weil keine der in § 130 Abs. 2 AO 1977 aufgeführten Voraussetzungen vorgelegen habe. Auch ein Fall des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 sei nicht gegeben. Nachdem das FA selbst in seinem Schreiben an den damaligen steuerlichen Berater des Klägers vom 7. September 1982 eine Anrechnung der streitigen Lohnsteuer und Kirchensteuer für zulässig angesehen habe, könne nicht angenommen werden, daß dem Kläger als steuerrechtlichen Laien die Fehlerhaftigkeit der Anrechnung bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt gewesen sei.

Mit der Revision vertritt das FA die Auffassung, der Abrechnungsbescheid gehe einer zuvor erlassenen Anrechnungsverfügung vor, da er als gesetzlich geregeltes spezielles Verfahren dazu diene, über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, endgültig und ohne Bindung an frühere Anrechnungsverfügungen zu entscheiden. Das vom FG zitierte Urteil des VII. Senats des BFH sei durch die fortentwickelte BFH-Rechtsprechung überholt. Da folglich § 130 Abs. 2 AO 1977 keine Anwendung finde, habe die zu Unrecht gewährte Steueranrechnung im Abrechnungsbescheid rückgängig gemacht werden können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Zwischen den Beteiligten steht aufgrund der Entscheidung des FG und des BFH in dem vorangegangenen Rechtsstreit wegen des gegen die frühere Ehefrau des Klägers ergangenen Rückforderungsbescheids, zu dem der Kläger beigeladen war, rechtskräftig fest (§ 110 Abs. 1 Nr. 1 FGO), daß die Ehefrau Erstattungsberechtigte der streitigen Lohnsteuer und Kirchensteuer ist, die wegen des Tantiemenanspruchs des Klägers an das FA abgeführt worden ist. Die Anrechnung dieser Steuerbeträge nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Zusammenhang mit den geänderten Einkommensteuerbescheiden 1976 bis 1979 vom 1. Februar 1983 auf die Einkommensteuerschulden des Klägers ist somit zu Unrecht erfolgt. Insoweit wird auf die Begründung der Vorentscheidung, gegen die insoweit von den Beteiligten keine Einwendungen erhoben worden sind, Bezug genommen.

Das FG ist zwar zu Recht davon ausgegangen, daß das FA mit dem angefochtenen Abrechnungsbescheid vom Kläger die auf dessen Steuerschulden zu Unrecht angerechnete Lohnsteuer und Kirchensteuer nur dann zurückfordern konnte, wenn hinsichtlich der Anrechnungsverfügungen, die mit den geänderten Einkommensteuerbescheiden 1976 bis 1979 verbunden waren, die Voraussetzungen ihrer Rücknahme nach § 130 Abs. 2 AO 1977 gegeben waren. Der Senat vermag aber anhand der Begründung des FG dessen Entscheidung nicht nachzuvollziehen, auch der Rücknahmegrund des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 (Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügungen) liege nicht vor.

2. a) Über das Verhältnis der Anrechnung von Steuern im Zusammenhang mit der Festsetzung der Jahressteuerschuld und ihrer Rücknahme (Änderbarkeit) --auch durch einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid-- hat der erkennende Senat im Urteil in BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405 (mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung) wie folgt entschieden:

Verfügungen des FA über die Anrechnung von entrichteten Vorauszahlungen oder einbehaltenen Steuerabzugsbeträgen auf die im Wege der Veranlagung festgesetzte Jahressteuerschuld (hier: § 36 Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 4 EStG) gehören zum Steuererhebungsverfahren. Sie werden nur aus Zweckmäßigkeitsgründen mit der Steuerfestsetzung in einem Bescheid verbunden. Trotz ihrer technischen Zusammenfassung handelt es sich der Sache nach bei dem Steuerbescheid und der Anrechnungsverfügung um zwei Bescheide, die auch in ihrer rechtlichen Beurteilung voneinander zu trennen sind und hinsichtlich der Bestandskraft, Rücknahme und Änderbarkeit unterschiedlichen Vorschriften unterliegen.

Die Anrechnungsverfügung wirkt nicht rechtsbegründend (konstitutiv), da sie keine Rechte und Pflichten zur Entstehung bringt, die der Steuerpflichtige nicht auch ohne sie hätte. Vielmehr handelt es sich um einen deklaratorischen (bestätigenden) Verwaltungsakt, dessen Außenwirkung (§ 118 AO 1977) sich je nach dem Ergebnis der Anrechnung in einem Leistungsgebot oder in einer Erstattungsverfügung äußert. Aus der rechtlichen Einordnung der Anrechnungsverfügung als deklaratorischer Verwaltungsakt folgt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 130 Abs. 2 AO 1977, daß diese, wenn sie einen Fehler zugunsten des Steuerpflichtigen enthält (begünstigender Verwaltungsakt), nur zurückgenommen bzw. geändert werden kann, wenn eine der hierfür im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen gegeben ist. Denn die Definition des begünstigenden Verwaltungsakts i.S. dieser Vorschrift umfaßt nunmehr ausdrücklich auch Verwaltungsakte, die ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil nur "bestätigen".

Der erkennende Senat ist deshalb in der vorgenannten Entscheidung davon ausgegangen, daß die Anrechnungsverfügung einen Verwaltungsakt mit Bindungswirkung darstellt, der als begünstigender Verwaltungsakt --wie im Streitfall-- das durch ihn begründete Vertrauen des Steuerpflichtigen auch gegenüber einem nachfolgenden Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 im Rahmen des § 130 Abs. 2 AO 1977 schützt. Die zur Rechtslage nach der Reichsabgabenordnung (AO) ergangene Rechtsprechung des BFH, wonach es sich bei der Anrechnung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen um Verfügungen i.S. von § 93 AO handelte, die jederzeit bis zum Ablauf der Verjährungsfrist unbeschränkt zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen berichtigt werden konnten, weil die Anwendung der für begünstigende Verwaltungsakte geltenden einschränkenden Berichtigungsregelung des § 96 AO mit der Begründung abgelehnt wurde, daß diese Vorschrift nur für konstitutive Verfügungen, nicht aber für deklaratorische Verwaltungsakte gelte (vgl. Urteil vom 24. Juni 1977 VI R 175/74, BFHE 122, 510, BStBl II 1977, 805, m.w.N.), ist demnach seit der Geltung der AO 1977 wegen der nunmehrigen Fassung des § 130 Abs. 2 AO 1977 überholt.

Der Senat hat auch in späteren Entscheidungen zu dem Verhältnis der Anrechnungsverfügung gegenüber einem nachfolgenden Abrechnungsbescheid auf die Bindungswirkung der Anrechnungsverfügung und auf die nach §§ 129, 130 AO 1977 beschränkten Möglichkeiten zu ihrer Berichtigung bzw. Rücknahme nach den vorstehenden Ausführungen im Urteil BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405 Bezug genommen. Er hat lediglich in verfahrensrechtlicher Hinsicht entschieden, daß das Verwaltungs- und Klageverfahren über den Abrechnungsbescheid vorrangig ist gegenüber einer Anfechtung der Anrechnungsverfügung, da es als gesetzlich geregeltes spezielles Verfahren dazu dient, über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, endgültig zu entscheiden (vgl. Beschluß vom 20. Oktober 1987 VII R 32/87, BFH/NV 1988, 349; Urteil vom 25. Februar 1992 VII R 41/91, BFH/NV 1992, 716; Urteil vom 25. Februar 1992 VII R 8/91, BFHE 168, 6, BStBl II 1992, 713, 714; Urteil vom 26. Juli 1994 VII R 81/93, BFH/NV 1995, 479; ebenso die Rechtsprechung des VI. Senats des BFH: Urteile vom 18. Juni 1993 VI R 67/90, BFHE 171, 515, BStBl II 1994, 182, 184, und vom 5. Mai 1993 VI R 91/93, BFH/NV 1994, 862, 863).

b) Auch der I. Senat des BFH geht in zwei Urteilen (BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836 und BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147) davon aus, daß die Anrechnung von Steuern nach § 36 Abs. 2 EStG durch einen besonderen Verwaltungsakt vorgenommen wird. Er ist jedoch der Ansicht, daß in einem späteren Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 keine Bindung an die zuvor erlassene Anrechnungsverfügung bestehe; ob die Anrechnungsverfügung gemäß §§ 130, 131 AO 1977 geändert werden dürfe, sei für das Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 bedeutungslos. Der Abrechnungsbescheid gehe einer zuvor erlassenen Anrechnungsverfügung vor, ohne diese förmlich aufzuheben. Deshalb bestehe im Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 keine Bindung an die Anrechnungsverfügung. Denn es sei gerade der Sinn der in § 218 Abs. 2 AO 1977 getroffenen Regelung, daß das FA über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs ohne Bindung an frühere Anrechnungsverfügungen entscheiden könne und müsse. § 218 Abs. 2 AO 1977 enthalte deshalb eine gegenüber den §§ 130, 131 AO 1977 vorgreifliche Sonderregelung.

c) Der erkennende Senat hält auch unter Berücksichtigung der entgegenstehenden Rechtsprechung des I. Senats an seiner Rechtsauffassung fest, daß von der Anrechnungsverfügung als Verwaltungsakt eine Bindungswirkung ausgeht, so daß diese, wenn sie --wie im Streitfall-- einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt beinhaltet, auch durch einen späteren Abrechnungsbescheid nur dann geändert bzw. zurückgenommen werden kann, wenn die Voraussetzungen der §§ 129, 130 Abs. 2 AO 1977 gegeben sind.

Die überwiegende Meinung im Schrifttum geht mit der Senatsentscheidung in BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405 ebenfalls davon aus, daß die Anrechnungsverfügung als Verwaltungsakt nur unter den Voraussetzungen der §§ 129, 130, 131 AO 1977 aufgehoben oder geändert werden kann (Scholtz in Hartmann/Böttcher/Nissen/ Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 36 Rz. 181 n bis 181 p; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 218 Anm. 3 a und 6; Krebs in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, vor § 36 EStG Anm. H II 2; Tischer in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 36 EStG Rz. 80, 81; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 130 AO 1977 Tz. 4, und § 157 AO 1977 Tz. 9; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung, 17. Aufl., § 157 Anm. 3 a.E.; Schmieszek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 218 AO 1977 Rz. 37). Soweit das Verhältnis der Anrechnungsverfügung zu einem späteren Abrechnungsbescheid überhaupt angesprochen wird, wird ferner die Auffassung vertreten, daß der Abrechnungsbescheid sich nicht über die Beschränkungen, denen die Korrektur der Anrechnungsverfügung unterliegt, hinwegsetzen kann. Im Hinblick auf die Bindungswirkungen, die die Anrechnungsverfügung entfaltet, wird deshalb auch im Schrifttum eine Änderung der Anrechnung von Steuern im Abrechnungsbescheid zuungunsten des Steuerpflichtigen nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 für zulässig angesehen (Kühn/Hofmann, a.a.O., § 218 Anm. 4; Völlmeke, Probleme bei der Anrechnung von Lohnsteuer, Der Betrieb --DB-- 1994, 1746, 1750; Brenner in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 36 Rdnr. A 240, 241).

Demgegenüber beruft sich der I. Senat für seine abweichende Auffassung zu Unrecht auf den Vorrang des Abrechnungsbescheids gegenüber der Anrechnungsverfügung. Dieses Vorrangverhältnis, von dem auch die Rechtsprechung des erkennenden Senats ausgeht (vgl. oben 2. a, letzter Absatz), besteht lediglich in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Mit ihm soll aus Gründen der Praktikabilität ausgeschlossen werden, daß über dieselbe Frage der Anrechnung von Steuern in zwei verschiedenen Verwaltungs- und Klageverfahren entschieden werden kann bzw. muß. Der Vorrang des Abrechnungsverfahrens gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 als des spezielleren und umfassenderen Verfahrens zur Entscheidung über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis besagt aber nichts über den Inhalt des Abrechnungsbescheids und die bei seinem Erlaß zu beachtenden Bindungen an vorausgegangene Verwaltungsakte, hier die Anrechnungsverfügung. Übernimmt der Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO 1977 --wie im Streitfall-- die Funktion einer vorangegangenen Anrechnungsverfügung, so muß deren (eingeschränkter) Bestandsschutz nach § 130 Abs. 2 AO 1977 für den Inhalt des Bescheids berücksichtigt werden. Denn die Auffassung vom Vorrang des Verfahrens nach § 218 Abs. 2 AO 1977 kann mit dem Bestandsschutz der Anrechnungsverfügung nur in Einklang gebracht werden, wenn das FA im Abrechnungsbescheid die mit einer vorangegangenen Anrechnungsverfügung verbundenen Bindungswirkungen beachtet. Selbst wenn der Abrechnungsbescheid die Anrechnungsverfügung nicht formell aufhebt, tritt er doch faktisch an deren Stelle und regelt denselben Sachverhalt. Dann muß der Abrechnungsbescheid bei der Feststellung der noch zu zahlenden Restschuld auch die Wirkung und den Vertrauenstatbestand beim Steuerpflichtigen berücksichtigen, die sich durch das Bestehen der Anrechnungsverfügung ergeben haben (vgl. Brenner, a.a.O., § 36 Rdnr. A 241).

Auch in sonstigen Fällen ist beim Erlaß von Abrechnungsbescheiden der Bestandsschutz von Verwaltungsakten zu beachten, die ihren Regelungsinhalt berühren (z.B. vorangegangene Abrechnungsbescheide, Erlaßverfügungen etc.). Mangels einer dahingehenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung kann dem I. Senat deshalb nicht darin gefolgt werden, daß § 218 Abs. 2 AO 1977 in bezug auf die Anrechnungsverfügungen eine gegenüber den §§ 130, 131 AO 1977 vorgreifliche Sonderregelung enthalte. Dieser Auffassung steht auch die Gesetzessystematik, innerhalb deren sich die genannten Vorschriften befinden, und der unterschiedliche, voneinander unabhängige Sinn und Zweck der Vorschriften, die aber --wie ausgeführt-- durchaus miteinander in Einklang zu bringen sind, entgegen.

Die Auffassung des I. Senats des BFH würde zudem der --auch von diesem Senat anerkannten-- Verwaltungsaktqualität der Anrechnungsverfügung und ihrer auf die Anwendung der §§ 129, 130, 131 AO 1977 beschränkten Korrekturmöglichkeit, die sich nunmehr auch aus § 233a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz AO 1977 ergibt (vgl. Völlmeke, DB 1994, 1746, 1749), im Ergebnis jede Bedeutung nehmen. Denn das FA könnte die Steueranrechnung jederzeit ohne Rücksicht auf den Bestandsschutz der Anrechnungsverfügung durch Erlaß eines Abrechnungsbescheids auch zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern. Völlmeke (DB 1994, 1746, 1750) weist zu Recht darauf hin, daß die Anrechnungsverfügung sogar eine Ermessensentscheidung der Verwaltung enthalten kann, wenn z.B. das FA bei einbehaltener, jedoch nicht abgeführter Lohnsteuer beim Arbeitnehmer die Lohnsteuer anrechnet und sich somit im Verfahren nach § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG gegen eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers entscheidet. Dies zeigt um so mehr, daß der Anrechnungsverfügung im Rahmen der für sie geltenden Bestimmungen Bestandsschutz und Bindungswirkung auch gegenüber einem nachfolgenden Abrechnungsbescheid zukommen muß.

d) Der erkennende Senat kann in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung trotz der entgegenstehenden Rechtsauffassung des I. Senats entscheiden, daß mit dem angefochtenen Abrechnungsbescheid die Anrechnung der auf die Tantiemen entfallenden Lohnsteuer und Kirchensteuer auf die Steuerschulden des Klägers nur dann rückgängig gemacht werden konnte, wenn die vorangegangenen Anrechnungsverfügungen nach § 130 Abs. 2 AO 1977 zurückgenommen werden durften. Mit der vorstehenden Entscheidung weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise ab von den Urteilen des I. Senats in BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836 und BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147, so daß eine Anrufung des Großen Senats des BFH nach § 11 Abs. 2 FGO bzw. eine vorherige Anfrage beim I. Senat gemäß § 11 Abs. 3 FGO, ob er an seiner Rechtsauffassung festhält, nicht geboten ist (ebenso: Völlmeke, DB 1994, 1746, 1751).

Die Voraussetzungen für eine Vorlage an den Großen Senat wegen einer Abweichung gemäß § 11 Abs. 2 FGO sind nur dann gegeben, wenn die Rechtsfrage für den erkennenden Senat und für den Senat, der früher entschieden hat, entscheidungserheblich ist bzw. war. Eine bestimmte Rechtsauffassung ist entscheidungserheblich, wenn sie für die Entscheidung tragend ist; beiläufige Bemerkungen, sog. obiter dicta, sind ohne Belang (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 11 Rz. 2, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Die Ansicht des I. Senats, es bestehe in einem nachfolgenden Abrechnungsstreit keinerlei Bindung an eine zuvor ergangene Anrechnungsverfügung, war --wie auch im Schrifttum festgestellt wird (Völlmeke, DB 1994, 1746, 1751; Brenner, a.a.O., § 36 Rdnr. A 238)-- in den genannten Urteilen nicht entscheidungserheblich; es handelte sich dabei vielmehr nur um obiter dicta, also um die nur beiläufigen Äußerungen einer Rechtsansicht. Denn in dem Urteil in BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836 wurde die Vorentscheidung mit der Begründung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen, daß sich die Beteiligten im falschen Verfahren befänden. Entscheidungserheblich war allein die Ansicht, daß der Streit zwischen den Beteiligten über eine Anrechnung von Steuern nicht im Verfahren über die Anrechnungsverfügung, sondern im Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 ausgetragen werden müsse. Die dabei geäußerte Rechtsauffassung, im Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 bestehe keine Bindung an die Anrechnung, war für die im konkreten Streitfall getroffene Entscheidung des I. Senats unerheblich. Dasselbe gilt für das Urteil in BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147. Hier wurde die Abweisung der Klage auf Anrechnung von Steuern mit der Maßgabe gebilligt und die Revision als unbegründet zurückgewiesen, daß die Klage unzulässig gewesen sei, weil das FA über den nach Ansicht des I. Senats gestellten Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids noch nicht entschieden hatte. Der Ausspruch über die mangelnde Bindungswirkung der Anrechnungsverfügung war für die Entscheidung, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, nicht entscheidungserheblich.

Daß es sich bei den Ausführungen des I. Senats, eine Anrechnungsverfügung entfalte keine Bindungswirkung gegenüber dem Abrechnungsbescheid, wohl auch nach dessen eigener Auffassung jeweils nur um ein obiter dictum und nicht um eine entscheidungserhebliche Rechtsansicht gehandelt hat, muß auch daraus entnommen werden, daß der I. Senat trotz seiner offensichtlichen Abweichung von der Rechtsauffassung des VII. Senats in dem zeitlich vorausgegangenen Urteil in BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405 nicht bei diesem gemäß § 11 Abs. 3 FGO angefragt hat, ob er an seiner Rechtsauffassung festhalte, und er somit eine Vorlage der Rechtsfrage gemäß § 11 Abs. 2 FGO an den Großen Senat nicht in seine Erwägungen einbezogen hat (ebenso Völlmeke, DB 1994, 1746, 1751).

Der erkennende Senat hält ferner schon angesichts dessen, daß sich der I. Senat bei seiner beiläufig geäußerten Meinung über die mangelnde Bindungswirkung der Anrechnungsverfügung mit der entgegenstehenden älteren und dort auch entscheidungserheblichen Rechtsauffassung des VII. Senats im Urteil in BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405 und der darauf bezugnehmenden überwiegenden Meinung im Schrifttum nicht näher auseinandergesetzt hat, auch eine Vorlage der Rechtsfrage an den Großen Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 11 Abs. 4 FGO nicht für erforderlich. Die Anrufung des Großen Senats wegen Grundsätzlichkeit der Rechtsfrage, die im Gegensatz zu der Vorlage nach § 11 Abs. 2 FGO im pflichtgemäßen Ermessen des Senats liegt (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 11 Rz. 11, m.w.N.), erscheint zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht als geboten. Im übrigen bemerkt der Senat, daß auch die Vorschrift des § 130 Abs. 2 AO 1977, die er hier für anwendbar hält, der Anrechnungsverfügung als begünstigenden Verwaltungsakt nur eine sehr eingeschränkte Bestandskraft gegenüber einer nachfolgenden, der materiellen Rechtslage entsprechenden Steueranrechnung verleiht. Insbesondere im Streitfall ist es --wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen (3.) ergibt-- zweifelhaft, ob die Anwendung des § 130 Abs. 2 AO 1977 dem Erlaß des angefochtenen Abrechnungsbescheids entgegenstand und somit die voneinander abweichenden Rechtsauffassungen des I. Senats und des erkennenden Senats im konkreten Fall tatsächlich zu einem unterschiedlichen Ergebnis führen.

3. a) Der erkennende Senat, der mit der Vorentscheidung von der Bindungswirkung der Anrechnungsverfügungen gegenüber dem nachfolgenden Abrechnungsbescheid ausgeht, folgt dem FG darin, daß Anhaltspunkte für eine mögliche Korrektur der Anrechnung der streitigen Steuerbeträge zuungunsten des Klägers nach § 130 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 AO 1977 nicht ersichtlich sind. Soweit das FG aber auch die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Anrechnungsverfügungen nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 nicht für gegeben hält, vermag der Senat anhand der gegebenen Begründung die tatrichterliche Überzeugung nicht nachzuvollziehen.

Nach dieser Vorschrift kann ein begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden, wenn seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war. Das FG hat als Begründung dafür, daß die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 nicht vorliegen, lediglich ausgeführt, es könne nicht angenommen werden, daß dem Kläger als steuerrechtlichen Laien die Fehlerhaftigkeit der Anrechnung bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt gewesen sei, nachdem das FA selbst in seinem Schreiben an den damaligen steuerlichen Berater des Klägers vom 7. September 1982 eine Anrechnung der streitigen Lohn- und Kirchensteuer für zulässig angesehen habe.

Das genannte Schreiben des FA vom 7. September 1982 enthält lediglich die Darstellung der Berechnungsgrundlagen für die vom Kläger beantragte getrennte Veranlagung für die Veranlagungszeiträume 1976 bis 1979 einschließlich der dabei auf die Steuerfestsetzungen anzurechnenden Steuerabzugsbeträge. Es geht dabei im Hinblick auf die Begründung eines Vertrauenstatbestandes über die nachfolgenden Steuerbescheide und die mit ihnen verbundenen Anrechnungsverfügungen nicht hinaus. Ist nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 die Rücknahme einer fehlerhaften Anrechnungsverfügung zulässig, sofern dem Betroffenen die Fehlerhaftigkeit (Rechtswidrigkeit) bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war, so muß dies grundsätzlich auch dann gelten, wenn ihm zuvor in einem besonderen Schreiben --ohne weitere vertrauensbegründende Gesichtspunkte-- die beabsichtigte und dann durchgeführte Steueranrechnung mitgeteilt worden ist. Denn auch ein vorausgegangenes Schreiben des FA, das dieselben Anrechnungsbeträge wie die spätere Anrechnungsverfügung enthält, schließt es nicht aus, daß der Steuerpflichtige die Fehlerhaftigkeit der Anrechnung kennt bzw. sie bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte kennen müssen. Die demnach aufgrund der festgestellten Tatsachen und angegebenen Umstände nicht nachvollziehbare Schlußfolgerung des FG, die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Anrechnungsverfügungen nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 lägen nicht vor, kann als Fehler der Rechtsanwendung ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden (vgl. § 96 Abs. 1 Sätze 1 und 3 FGO; BFH-Urteil vom 25. Mai 1988 I R 225/82, BFHE 154, 7, BStBl II 1988, 944; Tipke/Kruse, a.a.O., § 96 FGO Tz. 20).

b) Die Vorentscheidung war deshalb aus den vorstehenden Gründen aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif und somit an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das FG wird erneut zu überprüfen und alsdann anhand der für seine Schlußfolgerung maßgeblichen Tatsachen und Umstände schlüssig und nachvollziehbar darzustellen haben, ob dem Kläger die Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügungen bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war und deshalb mit dem angefochtenen Abrechnungsbescheid gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 die Anrechnung der auf die Tantiemen entfallenden Lohnsteuer und Kirchensteuer rückgängig gemacht werden durfte.

Eine grob fahrlässige Unkenntnis des Fehlers bei der Anrechnung wird im allgemeinen schon dann vorliegen, wenn sich dem Steuerpflichtigen eine Überprüfung der Anrechnungsverfügung von der Höhe des angerechneten Betrages her im Verhältnis zur Steuerschuld oder zu den tatsächlichen Abzugsbeträgen oder Vorauszahlungen hätte aufdrängen müssen (vgl. Anm. zu dem Senatsurteil BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405 in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1987, 110; Scholtz in Hartmann/Böttcher/Nissen/ Bordewin, a.a.O., § 36 Rz. 181 o; ähnlich: Beschluß des Senats vom 17. April 1984 VII S 15/83, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Abgabenordnung, § 218, Rechtsspruch 5, Seite 14). Danach könnten im Streitfall die Voraussetzungen für die Rücknahme der Anrechnungsverfügungen nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 gegeben sein, weil Lohnsteuer und Kirchensteuer in erheblicher Höhe (insgesamt ca. 150 000 DM) auf die Steuerschulden der Veranlagungszeiträume 1976 bis 1979 angerechnet worden sind, obwohl die entsprechenden Einnahmen (Tantiemen) bei den Veranlagungen des Klägers nicht erfaßt worden sind. Das FG weist mit Recht darauf hin, daß grundsätzlich auch unabhängig von den Besonderheiten des Streitfalles eine Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen nicht vorgenommen werden darf, wenn die korrespondierenden Einkünfte bei der Steuerfestsetzung nicht erfaßt worden sind (Urteil des erkennenden Senats in BFH/NV 1995, 779, m.w.N.). Da die im Verhältnis zu den bei der Veranlagung erfaßten Einkünften überhöhte Steueranrechnung zugunsten des Klägers hier auch aus dem von der Vorinstanz in die Beurteilung einbezogenen Schreiben des FA an den Steuerberater des Klägers vom 7. Februar 1982 ersichtlich war, können für die Frage der Kenntnis bzw. der grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der nachfolgend in derselben Weise ergangenen Anrechnungsverfügungen auch die Beurteilungsmöglichkeiten des steuerlichen Beraters des Klägers nicht außer Betracht bleiben. Eine für die Entscheidung maßgebliche Würdigung derartiger Umstände muß aber dem FG vorbehalten bleiben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66308

BFH/NV 1997, 325

BStBl II 1997, 787

BFHE 182, 506

BFHE 1997, 506

BB 1997, 1522

DB 1997, 1751-1754 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 733-738 (Leitsatz und Gründe)

DStZ 1997, 686

DStZ 1998, 406

HFR 1997, 730

StE 1997, 447

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