Leitsatz (amtlich)

Ein im Lande Nordrhein-Westfalen wohnender Angehöriger der Katholischen Kirche, der am 7. Dezember 1976 seinen Austritt aus der Kirche erklärt hatte, durfte nicht noch für den Kalendermonat Januar 1977 zur Kirchensteuer herangezogen werden.

 

Normenkette

GG Art. 20 Abs. 3, Art. 140; BVerfGG § 31 Abs. 1-2, § 95 Abs. 3 S. 2, Abs. 2; KiStG NW §§ 2-3, 19; pr. KiAG § 2 Abs. 1 S. 2; KiAustrG NW §§ 1, 4, 7-8; KiStO der Diözese Münster § 6 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der im ehemals preußischen Teil des Landes Nordrhein-Westfalen wohnende Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte am 7. Dezember 1976 vor dem Amtsgericht A seinen Austritt aus der Katholischen Kirche erklärt. Das Finanzamt (FA) forderte von ihm Kirchensteuer für den auf die Austrittserklärung folgenden Kalendermonat Januar 1977 (7 524,85 DM).

Der Kläger hat (nach erfolglos gebliebenem Einspruchsverfahren) Klage erhoben. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens hat das FA den angefochtenen Bescheid geändert und durch Bescheid vom 25. Juni 1980 die Kirchensteuer auf 7 419 DM festgesetzt. Der Kläger hat beantragt, diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und ihn aufzuheben. Er sei rechtswidrig, weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehre.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Der Bescheid sei rechtmäßig. Seine Rechtsgrundlage finde er in § 6 Nr. 3 der staatlich anerkannten Kirchensteuerordnung des Bistums Münster, Neufassung vom 30. Mai 1969 - KiStO - (vgl. BStBl I 1969, 533, 535). Gemäß dieser Vorschrift habe die Steuerpflicht des Klägers erst geendet "mit dem Ablauf des Kalendermonats, der auf die Erklärung des Kirchenaustritts folgt". Ihre gesetzliche Ermächtigungsgrundlage habe die KiStO in § 2 Abs. 1 und 2 des nordrhein-westfälischen Kirchensteuergesetzes (KiStG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 22. April 1975 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - GV NW - 1975, 438).

Danach dürfen Kirchensteuern erhoben werden nach Maßgabe der Steuerordnungen, welche von den Diözesen der Katholischen Kirche erlassen werden. Die Heranziehung eines aus der Kirche Ausgetretenen zur Kirchensteuer bis zum Ablauf des auf die Austrittserklärung folgenden Kalendermonats habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als mit dem Grundgesetz (GG) noch vereinbar erachtet (Beschluß vom 8. Februar 1977 1 BvL 7/71, BVerfGE 44, 59, 66, 68). Das FG hat die Revision zugelassen, weil es der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt.

Der Kläger hat Revision eingelegt und Verletzung des § 3 KiStG gerügt. Gemäß dieser Vorschrift seien kirchensteuerpflichtig "alle Angehörigen der Katholischen Kirche ..., die ihren Wohnsitz ... im Land Nordrhein-Westfalen haben". Er sei aber im Januar 1977 nicht mehr Angehöriger der Katholischen Kirche gewesen. Während des Revisionsverfahrens hat das FA den angefochtenen Bescheid geändert und durch Bescheid vom 9. September 1982 die Kirchensteuer auf 7 524 DM festgesetzt. Der Kläger hat beantragt, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Er hat weiter beantragt, das FG-Urteil und diesen Bescheid aufzuheben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers führt zur Aufhebung des FG-Urteils und des geänderten Kirchensteuerbescheids vom 9. September 1982.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein der Kirchensteuerbescheid vom 9. September 1982 (§§ 121, 68, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Da das FG über diesen Bescheid noch nicht entschieden hat, ist sein Urteil aufzuheben; einer Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung bedarf es jedoch nicht, weil die Sache spruchreif ist (§ 127 FGO; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. März 1969 V 171/65, BFHE 96, 28, BStBl II 1969, 524, und vom 2. Februar 1973 III R 27/72, BFHE 108, 297, 299, BStBl II 1973, 501).

Der Kirchensteuerbescheid vom 9. September 1982 ist aufzuheben, weil er rechtswidrig ist (§ 121, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Ihm fehlt eine gültige Rechtsgrundlage. Die kirchliche Rechtsnorm des § 6 Nr. 3 KiStO, wonach die Steuerpflicht erst endet "mit Ablauf des Kalendermonats, der auf die Erklärung des Kirchenaustritts folgt", ist nichtig. Sie hält sich nicht in den Grenzen, die dem kirchlichen Besteuerungsrecht gezogen sind. Diese Grenzen ergeben sich aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Aus diesen Verfassungsvorschriften folgt, daß die Katholische Kirche (ebenso wie andere Kirchen) Kirchensteuern nur erheben darf "nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen". Die landesrechtlichen Bestimmungen erlauben ihr indes nur, ihre "Angehörigen" zu besteuern (§ 3 KiStG in der seinerzeit geltenden Fassung). Der Kläger gehörte aber im Monat Januar 1977 der Katholischen Kirche nicht mehr an, denn seine Kirchenmitgliedschaft hatte mit Ablauf des 7. Dezember 1976 durch Austrittserklärung geendet.

Die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung traten nicht erst "einen Monat nach dem Eingang der Erklärung bei dem Amtsgericht ein", wie dies vorgeschrieben war in § 1 Abs. 2 des Preußischen Staatsgesetzes, betreffend den Austritt aus den Religionsgemeinschaften öffentlichen Rechts vom 30. November 1920 - pr. KiAG - (Preußische Gesetzsammlung - PrGS - 1921, 119). Denn jene Vorschrift war unvereinbar mit Art. 4 Abs. 1 GG und deshalb nichtig. Das hat das BVerfG entschieden (Beschluß vom 8. Februar 1977 1 BvR 329/71, 217, 2237/73 und 199, 217/74, BVerfGE 44, 37, 40, BStBl II 1977, 451). Seine Entscheidung ist ergangen aufgrund mehrerer Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, die auf § 1 Abs. 2 pr. KiAG beruhten und Kirchenaustrittserklärungen in den Ländern Schleswig-Holstein und Saarland betrafen. Für einen im ehemals preußischen Teil des Landes Nordrhein-Westfalen erklärten Kirchenaustritt hat der erkennende Senat gleichfalls von der Nichtigkeit des § 1 Abs. 2 pr. KiAG auszugehen, denn er ist an die erwähnte Entscheidung des BVerfG gebunden (§ 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - BVerfGG -). Die Gesetzeskraft jener Entscheidung (§ 31 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BVerfGG) beschränkte sich nicht auf das in den Ländern Schleswig-Holstein und Saarland geltende pr. KiAG, sondern erstreckte sich auf dessen gesamten Geltungsbereich, demzufolge auch auf den hier in Betracht kommenden ehemals preußischen Teil des Landes Nordrhein-Westfalen (vgl. Anlage I zu dem Gesetz zur Bereinigung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts vom 7. November 1961, GV NW S. 325, "Sammlung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts - PrGS NW - 1806 - 1945", Gliederungsnummer 222). Das kommt auch in der Entscheidungsformel zum Ausdruck (BGBl I 1977, 571): Sie enthält keine gebietsmäßige Einschränkung der Nichtigerklärung.

Die Austrittserklärung bewirkte "die dauernde Befreiung des Ausgetretenen von allen Leistungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu der Kirche" beruhten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 pr. KiAG). Die Befreiung trat ein im Zeitpunkt der Beendigung der Mitgliedschaft.

Zwar war in § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAg vorgeschrieben, daß die Befreiung "nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Abgabe der Erklärung" eintritt. Aber auch diese Vorschrift war mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar und ist deshalb nichtig. Das hat das BVerfG in dem angeführten Beschluß in BVerfGE 44, 37, 40, 54 festgestellt. Davon hat der erkennende Senat aus den dargelegten Gründen auszugehen auch bei einem im ehemals preußischen Teil des Landes Nordrhein-Westfalen erklärten Kirchenaustritt. Die erwähnte Entscheidungsformel enthält zwar zu § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG - anders als zu § 1 Abs. 2 pr. KiAG - landesrechtliche Zusätze. Diese sollen aber erkennbar lediglich den unterschiedlichen zeitlichen Geltungsbereich der Vorschrift in den beiden Ländern zum Ausdruck bringen.

Die fehlende landesgesetzliche Ermächtigung zur Erhebung von Kirchensteuern bis zum Ablauf des auf die Austrittserklärung folgenden Kalendermonats (sog. Nachbesteuerung) konnte nicht ersetzt werden durch die vom Beklagten hervorgehobene Tatsache, daß das BVerfG eine solche Nachbesteuerung als "mit dem Grundgesetz noch vereinbar" beurteilt hat (Beschluß vom 8. Februar 1977 1 BvL 7/71, BVerfGE 44, 59, 66). Denn jene Entscheidung ist ergangen in einem sog. Normenkontrollverfahren (Art. 100 Abs. 1 GG), betreffend die Gültigkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 3 des hessischen KiStG vom 27. April 1950 (Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl - S. 63) i. d. F. vom 25. September 1968 (GVBl I S. 268). In Nordrhein-Westfalen bestand aber seinerzeit eine gleichartige landesgesetzliche Regelung nicht. Dort wurde sie erst mit Wirkung ab 4. August 1981 eingeführt (§ 7 Nr. 1, § 8 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Kirchenaustrittsgesetzes vom 26. Mai 1981 - KiAustrG -, GV NW 1981, 260).

Eine gesetzliche Regelungslücke, die der erkennende Senat im Wege richterlicher Rechtsfortbildung schließen dürfte, liegt nicht darin, daß während des hier maßgebenden Zeitraums eine landesgesetzliche Ermächtigung zur Nachbesteuerung fehlte. Denn der Landesgesetzgeber hat eindeutig vorgeschrieben, daß die Nachbesteuerungsvorschrift des § 3 Abs. 2 KiStG erst "zwei Monate nach der Verkündung" des am 4. Juni 1981 verkündeten KiAustrG vom 26. Mai 1981 in Kraft tritt. Nichts, insbesondere nicht die Begründung des Entwurfs des KiAustrG (Landtags-Drucksache 9/461 vom 3. März 1981), deutet auf einen abweichenden Regelungsplan des Gesetzgebers hin. Der erkennende Senat darf die ihm durch seine Bindung an Gesetz und Recht gezogenen Grenzen nicht überschreiten (Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfG-Beschluß vom 19. Oktober 1983 2 BvR 485, 486/80, Neue Juristische Wochenschrift 1984, 475, betreffend die Einordnung der Sozialplanabfindungen im Konkurs).

 

Fundstellen

Haufe-Index 74985

BStBl II 1984, 458

BFHE 1984, 489

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