Leitsatz (amtlich)

1. Die Gewährung der Investitionsprämie nach § 32 KohleG ist Teil des Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerfestsetzungsverfahrens.

2. Wird die Investitionsprämie erst nach Unanfechtbarkeit der Veranlagung während einer Betriebsprüfung beantragt, so kann sie nur unter den Voraussetzungen der §§ 222 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 232 Abs. 1 AO gewährt werden. Sind lediglich neue Tatsachen zuungunsten des Steuerpflichtigen bekanntgeworden, kann dieser ein Interesse daran haben, eine Erhöhung des verrechnungsfähigen Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuernachforderungsbetrags zu erstreben.

 

Normenkette

KohleG § 32; AO § 222 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 232 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die für das Streitjahr 1967 unanfechtbar zu einer Körperschaftsteuer von 43 823 DM veranlagt wurde. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) erließ am 24. Mai 1971 nach einer Betriebsprüfung im Jahre 1970 einen Berichtigungsbescheid gemäß § 222 AO, mit dem er dieselbe Steuer wie im Erstbescheid festsetzte. Die Betriebsprüfung hatte eine von der Klägerin nicht bestrittene Körperschaftsteuernachforderung von 9 971 DM ergeben. Das FA verrechnete den Nachforderungsbetrag mit einer am 8. April 1971 beantragten Investitionsprämie von 30 819 DM nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete vom 15. Mai 1968 - KohleG - (BGBl I 1968, 365, BStBl I 1968, 939), lehnte es hingegen ab, den 9 971 DM übersteigenden Betrag der Investitionsprämie zu berücksichtigen. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG gab der Klage statt. Es hat die Ansicht vertreten, daß die Gewährung der Investitionsprämie nicht Teil des Steuerfestsetzungsverfahrens sei und die Vorschriften der Reichsabgabenordnung über die Berichtigung unanfechtbarer Steuerbescheide - insbesondere § 232 Abs. 1 AO - nicht anwendbar seien.

Das FA rügt mit der Revision eine Verletzung des § 32 KohleG und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

1. Die Gewährung der Investitionsprämie nach § 32 KohleG ist entgegen der Auffassung der Vorentscheidung Teil des Steuerfestsetzungsverfahrens, so daß § 222 Abs. 1, § 232 Abs. 1 AO anwendbar sind. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KohleG können Steuerpflichtige, die den Gewinn aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung nach § 5 des EStG ermitteln und im Begünstigungszeitraum (nach dem 30. April 1967 und vor dem 1. Januar 1970) in einem Steinkohlenbergbaugebiet eine Betriebstätte errichten oder erweitern, auf Antrag unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen einen "Abzug von der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer ... vornehmen". Übersteigt der abzugsfähige Betrag die für den Veranlagungszeitraum geschuldete Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer, so kann der übersteigende Betrag von der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer für die vier darauffolgenden Veranlagungszeiträume abgezogen werden; der Abzug ist in diesen Veranlagungszeiträumen jedoch nur insoweit zulässig, als er in den dem jeweiligen Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum nicht möglich war (§ 32 Abs. 4 Satz 5 KohleG).

Die Einbeziehung der Prämiengewährung in die Steuerfestsetzung ergibt sich vor allem aus der Beschränkung des Abzugs. Soweit keine Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer geschuldet ist, kann auch keine Prämie gewährt werden. Der Prämienanspruch geht teilweise verloren, wenn die Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerschuld der folgenden vier Veranlagungszeiträume niedriger als der verbleibende Prämienanspruch ist. Hierin unterscheidet sich § 32 KohleG von der Anrechnung der Steuerabzugsbeträge auf die Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerschuld nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 EStG, § 20 Abs. 1 KStG, die ohne Einschränkung möglich (Urteil des BFH vom 11. November 1966 VI R 68/66, BFHE 87, 514, BStBl III 1967, 214) und erst auf die um die Investitionsprämie geminderte Steuerschuld vorzunehmen ist. Soweit eine einheitliche Gewinnfeststellung stattfindet, wird die Prämie - anders als die Steuerabzugsbeträge - im Feststellungsverfahren ermittelt und verteilt (§ 32 Abs. 5 KohleG).

Der Gesetzgeber ist allerdings in anderen Investitionsförderungsfällen einen anderen Weg gegangen. So werden die Investitionszulagen nach § 19 BHG 1968, § 19 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) oder nach § 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZG) vom 18. August 1969 direkt durch "besonderen Bescheid" gewährt. In diesen Fällen bedurfte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, daß die Vorschriften des Ersten und Zweiten Teils der AO anwendbar sind (§ 19 Abs. 7 BHG 1968, § 19 Abs. 8 BerlinFG, § 3 Abs. 6 InvZG). Das Fehlen einer entsprechenden Regelung in § 32 KohleG belegt nicht die Auffassung des FG, auf die Investitionsprämie seien die Vorschriften des Ersten und Zweiten Teils der AO - insbesondere die Vorschriften über den Erlaß und die Änderung von Steuerbescheiden - nicht anwendbar. Im Gegenteil: Da die Investitionsprämie in die Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerfestsetzung einbezogen ist, finden für sie uneingeschränkt die Vorschriften über Steuerbescheide Anwendung. Der Gesetzgeber hat bewußt vermieden, die Gewährung der Investitionsprämie verfahrensrechtlich so zu gestalten wie die Gewährung der o. a. Investitionszulagen. Die Vorschrift läßt erkennen, daß er im Rahmen der Förderung des Steinkohlenbergbaus wohl zu einem Verzicht auf Einkommensteuerund Körperschaftsteueransprüche, nicht aber zu einer darüber hinausgehenden Subventionierung bereit war.

Der Umstand, daß das KohleG rückwirkend Investitionen ab 1. Mai 1967 begünstigt, erfordert keine andere Beurteilung. Das KohleG wurde am 18. Mai 1968 verkündet. Seine Grundzüge waren den betroffenen Unternehmern schon im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens bekanntgeworden. Die Veranlagung für 1967 hatte bis dahin nicht stattgefunden; die allgemeine Steuererklärungsfrist lief noch bis zum 31. Mai 1968 (Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 15. März 1968, BStBl I 1968, 502). Es kann davon ausgegangen werden, daß in diesem Zeitpunkt noch keine unanfechtbaren Veranlagungen für 1967 vorlagen und sonach auch für den Gesetzgeber kein Anlaß bestand, auf derartige Fälle Rücksicht zu nehmen.

2. Danach ist die Vorentscheidung aufzuheben. Der Senat ist nicht in der Lage, durchzuerkennen.

Die Klägerin kann zwar nicht mit ihrem bisher von der Vorinstanz nicht gewürdigten Vorbringen durchdringen, dem FA seien durch die Betriebsprüfung die Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionsprämie bekanntgeworden, so daß eine Berichtigung aufgrund neuer Tatsachen nach § 222 Abs. 1 Nr. 2 AO gerechtfertigt sei. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Investitionsprämie gemäß § 32 KohleG erstmals - so die Feststellung des FG - am 8. April 1971 nach Beendigung der Betriebsprüfung oder bereits während der Betriebsprüfung - so ein in der Körperschaftsteuerakte befindliches Schreiben der Klägerin vom 29. Oktober 1970 - geltend gemacht wurde. Selbst im letzteren Fall wäre das Vorliegen der Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 2 AO zu verneinen; § 232 Abs. 1 AO hindert ein Unterschreiten der vom FA festgesetzten Steuer. Die Investitionsprämie wird nur auf Antrag gewährt. Der erst nach Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung gestellte Antrag auf eine Steuervergünstigung ist keine neue Tatsache im Sinne des § 222 AO; er kann lediglich nachgeholt werden, soweit eine Wiederaufrollung möglich ist (BFH-Urteile vom 13. Mai 1960 VI 161/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 222, Rechtsspruch 42 betr. Antrag nach § 7b EStG; vom 25. September 1962 I 162/61 U, BFHE 75, 708, BStBl III 1962, 524 betr. Antrag nach §§ 3, 4 Ausfuhrförderungsgesetz; vom 16. Dezember 1966 VI 363/63, BFHE 87, 595, BStBl III 1967, 271 betr. Antrag auf Kinderfreibetrag; vom 29. August 1969 VI R 235/67, BFHE 97, 72, BStBl II 1970, 33 betr. Antrag nach § 10a EStG).

Das FG wird aber noch im einzelnen darlegen und feststellen müssen, worauf die Körperschaftsteuernachforderung von 9 971 DM beruht. Nach dem vom FG in Bezug genommenen Betriebsprüfungsbericht beruht sie lediglich auf neuen Tatsachen, die eine höhere Veranlagung rechtfertigen; saldiert verborgene gewichtige neue Tatsachen, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigen könnten, scheinen nicht vorzuliegen. Das FG wird aber prüfen müssen, inwieweit der Betriebsprüfer und ihm folgend das FA neue Tatsachen zuungunsten der Klägerin, die das Streitjahr betreffen, erst - wofür es hier Anhalte gibt - in der Schlußbilanz des Prüfungszeitraums zum 31. Dezember 1969 erfaßt haben. Eine derartige Übung ist bei der Betriebsprüfung von Körperschaften weitverbreitet und findet zumeist auch die Billigung der Steuerpflichtigen, da es bei dem proportionalen Körperschaftsteuersatz regelmäßig nicht darauf ankommt, in welchem Streitjahr ein steuererhöhendes Merkmal erfaßt wird. Der Senat enthält sich einer generellen Stellungnahme zu der Zulässigkeit eines solchen Verfahrens. Es ist zumindest dann unzulässig, wenn es sich wie hier zuungunsten der Steuerpflichtigen auswirken kann.

Bei interessengemäßer Auslegung des Klagantrags ist das Begehren der Klägerin nicht nur darauf gerichtet, die festgesetzte Körperschaftsteuer zu ermäßigen, sondern auch darauf, eine höhere Körperschaftsteuernachforderung für 1967 unter Ermäßigung der Körperschaftsteuer 1969 zu erreichen, damit die Investitionsprämie in höherem Ausmaß abzugsfähig wird. Das Rechtsschutzinteresse an einem solchen Antrag ergibt sich aus der Überlegung, daß die Klägerin nur auf diese Weise - wenn nicht schon 1967 - so doch 1969 über eine entsprechende Körperschaftsteuerminderung in den Genuß der bisher nicht verbrauchten Investitionsprämie kommen kann. Andernfalls wäre die Investitionsprämie, da die Klägerin sie schon bei der ursprünglichen Veranlagung für 1967 hätte geltend machen können, gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 KohleG verloren.

Für eine Erhöhung der Körperschaftsteuernachforderung können, sofern dem nicht die Unanfechtbarkeit der Körperschaftsteuerbescheide 1968 und 1969 entgegenstehen sollte, nach dem Betriebsprüfungsbericht u. a. in Betracht kommen: Obwohl der Betriebsprüfer ausführt, im Jahre 1967 seien die Anschaffungskosten für ein Regal nachzuaktivieren, erfaßte er den Nachaktivierungsbetrag "vereinfachungshalber" erst im Jahre 1969 (Tz. 43). Er ließ den Bestand an Fertig- und Halbfertigerzeugnissen zum 31. Dezember 1967 unbeanstandet; andererseits erhöhte er diesen Bestand zum 1. Januar 1968 für Zwecke der Einheitsbewertung um 5 % und kürzte eine auch im Jahre 1967 vorgenommene Teilwertabschreibung in den Bilanzen zum 31. Dezember 1968 und 31. Dezember 1969 um 5 % (Tz. 45, 73). Die Kürzung des Wechselobligos wurde trotz gleichliegenden Sachverhalts im gesamten Prüfungszeitraum "mangels steuerlicher Auswirkung auf die Betriebsprüfung zum 31. Dezember 1969 beschränkt" (Tz. 55).

 

Fundstellen

Haufe-Index 70824

BStBl II 1974, 317

BFHE 1974, 420

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