Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortbildungsveranstaltung für Rechtsanwälte in Sils Maria

 

Leitsatz (NV)

Stellt der Veranstalter einer Fortbildungs tagung es in das freie Belieben der Teilnehmer, wie sie den Nachmittag gestalten, so fehlt es für die Anerkennung der Tagungskosten als Betriebsausgaben an der erforderlichen straffen Organisation der Tagung. Das gilt auch dann, wenn Teilnehmern überlassen bleibt, wo, wielange und in welcher Form sie nachmittags den Stoff des Vormittagsprogramms in kleinen Arbeitsgruppen vertiefen.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte zu 2 (Kläger zu 2) und sein inzwischen verstorbener Sozius, Rechtsanwalt X, dessen Rechtsnachfolgerin die Klägerin und Revisionsbeklagte zu 1 (Klägerin zu 1) ist, machten im Rahmen der Gewinnermittlung ihrer freiberuflichen Einkünfte Reisekosten in Höhe von insgesamt 8 635,54 DM geltend. Darin enthalten sind die Aufwendungen des Klägers zu 2 für die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung (vom 18. bis 29. August 1986) des Deutschen Anwaltsvereins zum Wettbewerbs- und Urheberrecht in Sils Maria/Schweiz. Aufgrund einer Mitteilung der Oberfinanzdirektion (OFD) Münster änderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) den ursprünglich erlassenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns 1986 und ließ die bereits anerkannten Reisekosten für diese Veranstaltung bis auf einen auf 2 000 DM geschätzten Betrag nicht mehr zum Abzug als Betriebsausgaben zu.

Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus, allein der Umstand, daß die Veranstaltung im Ausland stattgefunden habe, führe noch nicht zur Versagung des Abzugs. Unwidersprochen habe der Kläger zu 2 seine Ehefrau nicht zu der Tagung mitgenommen. Er habe auch an dem straff durchgeführten Vormittagsprogramm teilgenommen und dieses nachmittags, woran das FG nicht zweifle, in kleinen Arbeitsgruppen fortgesetzt. Es handle sich um die einzige Fortbildungsveranstaltung dieser Art. Die Kanzlei sei wettbewerbs- und urheberrechtlich ausgerichtet. Im übrigen habe er die Aufenthaltstage so gewählt, daß er sich nur an einem Wochenende am Tagungsort aufgehalten habe.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht (§ 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die geltend gemachten Aufwendungen seien nicht wesentlich auch privat mitveranlaßt gewesen.

1. Die Abziehbarkeit von Aufwendungen als Betriebsausgaben setzt voraus, daß sie durch den Betrieb veranlaßt sind (§ 4 Abs. 4 EStG). Sie sind nicht abziehbar, wenn die aus betrieblichen Gründen erwachsenen Kosten zugleich Aufwendungen für die Lebensführung des Steuerpflichtigen darstellen. Diese sog. gemischten Aufwendungen sind nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG vom Abzug ausgeschlossen. Sie werden vom Gesetz den typischen, nicht abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung (§ 12 Nr. 1 Satz 1 EStG) gleichgestellt; das ergibt sich auch aus dem von den Klägern für ihre Auffassung angeführten Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17).

2. Nach der Rechtsprechung des BFH (z. B. Senatsurteil vom 16. Oktober 1986 IV R 138/83, BFHE 148, 262, BStBl II 1987, 208) sind Reisen, denen offensichtlich ein unmittelbarer betrieblicher (beruflicher) Anlaß zugrunde liegt (wie z. B. das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes, das Halten eines Fachvortrages auf einem Fachkongreß oder die Durchführung eines Forschungsauftrages), von Auslandsreisen zu unterscheiden, denen ein solch konkreter Bezug zur betrieblichen (beruflichen) Tätigkeit fehlt und bei denen häufig auch private Interessen eine Rolle spielen. Letzteres trifft insbesondere bei sog. Kongreßreisen und Reisen zu Informationszwecken sowie zu Sprachkursen im Ausland zu (Senatsurteil vom 14. Juli 1988 IV R 57/87, BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19, sowie BFH- Urteil vom 22. Juli 1993 VI R 103/92, BFHE 171, 552, BStBl II 1993, 787). Bei solchen Auslandsaufenthalten müssen die Beurteilungsmerkmale, die jeweils für eine private oder betriebliche (berufliche) Veranlassung der Reise sprechen, gegeneinander abgewogen werden (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1978, 213). In diesem Fall kann es z. B. auf die Art der dargebotenen Information, den Teilnehmerkreis, die Reiseroute und den Charakter der aufgesuchten Orte als beliebte Ziele des Tourismus, die fachliche Organisation, die Gestaltung der Wochenenden und Feiertage sowie die Art des benutzten Beförderungsmittels ankommen (Senatsurteil in BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19; vgl. weiter BFH-Urteil vom 30. April 1993 VI R 94/90, BFHE 171, 242, BStBl II 1993, 674). Daher hat der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19 die Aufwendungen eines Steuerberaters für die Teilnahme an einem Steuerberater-Symposium auf dem Fährschiff "Finnjet" im März 1983 -- abgesehen von den Seminargebühren -- nicht als Betriebsausgaben berücksichtigt, weil das Seminar mit einer Seereise verbunden war. Das gilt in gleicher Weise, wenn ein Fachverband eine Fortbildungsveranstaltung an einem beliebten Ferienort im Ausland in der Hauptsaison durchführt, den Teilnehmern aber ausreichend Gelegenheit verbleibt, die am Ort gebotenen Freizeitmöglichkeiten zu nutzen (Senatsbeschluß vom 5. September 1990 IV B 160/89, BFHE 161, 547, BStBl II 1990, 1059). Ebenso hat der erkennende Senat (Urteil vom 2. März 1995 IV R 59/94, BFH/NV 1995, 959) auch die als Betriebsausgaben geltend gemachten Aufwendungen eines schwerpunktmäßig mit Wett bewerbs- und Urheberrecht befaßten Rechtsanwalts für die auch vom Kläger zu 2 besuchte Fortbildungsveranstaltung in Sils Maria nicht zum Abzug als Betriebsausgaben zugelassen.

3. Im Streitfall hat das FG keinen unmittelbaren betrieblichen Anlaß für die Reise des Klägers zu 2 zur Fortbildungsveranstaltung in Sils Maria festgestellt.

a) Es hat aber -- ausgehend von den Grundsätzen für Kongreßreisen -- die Teilnahme des Klägers zu 2 an der Fortbildungsveranstaltung in Sils Maria deshalb als so gut wie ausschließlich beruflich veranlaßt gesehen, weil sie jedenfalls nicht in einem erheblichen Umfang durch die allgemeine Lebensführung mitveranlaßt gewesen sei.

Dem kann der erkennende Senat auch für den Streitfall nicht zustimmen. Den Teilnehmern standen hoteleigene Tennisplätze und ein Hallenbad zur Verfügung, Golf, Sommer-Skifahren sowie Wassersport waren möglich. Der Aufenthalt im Waldhaushotel in Sils Maria brachte daher über den beruflichen Anlaß hinaus einen allgemeinen touristischen Erlebnis- und Erholungswert mit sich. Der Kläger zu 2 konnte diese Möglichkeiten auch nutzen. Der Veranstalter hatte es nämlich quasi in das freie Belieben der Teilnehmer gestellt, wie sie den Nachmittag gestalteten. Der Streitfall ist insofern mit dem Lehrgang zu vergleichen, über den der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. Oktober 1976 IV R 63/75 (BFHE 121, 31, BStBl II 1977, 203) zu befinden hatte. Allerdings wurden dort am Nachmittag keine Veranstaltungen angeboten, während hier im Fachprogramm die Fortsetzung der Vormittagsveranstaltung vorgesehen war, und zwar durch Diskussionen in kleinen Gruppen. Dennoch ist diese Gestaltung ein nicht unerhebliches Indiz dafür, daß die Teilnehmer durch die Tagung nicht daran gehindert werden sollten, das Angebot dieses beliebten Ferienortes am Nachmittag zu nutzen.

b) Das FG durfte deshalb bei der erforderlichen Abwägung der betrieblichen und der privaten Interessen nicht außer acht lassen, daß Sils Maria ein beliebter Ferienort mit hohem Erlebnis- und Freizeitwert ist, der erfahrungsgemäß gerade auch im August von vielen Touristen gern aufgesucht wird. Daß der Kläger zu 2 keinen Einfluß auf die Wahl des Tagungsortes hatte, ist unerheblich (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 121, 31, BStBl II 1977, 203 zu einer Fortbildungsveranstaltung des Deutschen Anwaltsvereins in Seis/Italien). Auch war der Veranstaltungsort nicht durch das internationale Gepräge vorgegeben (vgl. Senatsurteil in BFHE 121, 31, BStBl II 1977, 203).

c) Daß der Kläger zu 2 als Sozius einer wettbewerbs- und urheberrechtlich ausgerichteten Kanzlei die besuchte Tagung als die einzige Fortbildungsmöglichkeit dieser Art im Streitjahr beruflich nutzen konnte und wollte, die Teilnahme somit beruflich veranlaßt war, ist angesichts der zur Verfügung stehenden Freizeitmöglichkeiten unerheblich. Entgegen der Ansicht der Kläger ist es nicht unzulässig, typisierend auf Ort, Zeit und den äußeren Rahmen der Fortbildungsveranstaltung abzustellen. Der erkennende Senat hält insoweit an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Auch die übrigen Senate des BFH sind der Auffassung, daß jeweils festzustellen ist, ob bei der Auslandsreise betriebliche (berufliche) mit privaten Interessen verbunden sind und die Reise infolge des Tagungsortes oder der gewählten Reiseroute auch durch touristische Motive in nicht untergeordnetem Maße mitveranlaßt ist (BFH-Urteile in BFHE 171, 552, BStBl II 1993, 787; vom 15. Juli 1994 VI R 69/93, BFH/NV 1995, 26, sowie vom 23. Juni 1993 I R 14/93, BFHE 171, 521, BStBl II 1993, 806, und vom 21. August 1995 VI R 47/95, BFHE 179, 37, BStBl II 1996, 10). Für die Würdigung solcher Tagungen an beliebten Ferienorten kommt es deshalb entscheidend darauf an, ob das Fachprogramm straff und lehrgangsmäßig organisiert ist, tatsächlich so wie vorgesehen durchgeführt wird und damit so gut wie keine Zeit zur Verfolgung privater Interessen läßt (Senatsurteile vom 15. März 1990 IV R 60/88, BFHE 160, 313, BStBl II 1990, 736, und vom 2. März 1995 IV R 54/94, BFH/NV 1995, 1052). Für eine Reise an einen Urlaubsort im Inland gilt übrigens nichts anderes (Senatsurteil vom 25. November 1993 IV R 37/93, BFHE 173, 327, BStBl II 1994, 350).

d) Entgegen der Auffassung der Kläger und des FG kann nicht allein darauf abgestellt werden, daß für die Teilnahme des Klägers zu 2 an der Fortbildungstagung durchaus eine betriebliche Veranlassung bestand. Jedenfalls waren die privaten Interessen für den Aufenthalt in Sils Maria nicht von völlig untergeordneter Bedeutung. Ebenso wie im Fall des Senatsurteils in BFH/NV 1995, 959 steht es auch für den Kläger zu 2 gerade nicht fest, daß ihm im Hinblick auf die besuchten Fachveranstaltungen kein ins Gewicht fallender Spielraum für die Entfaltung typischer Urlaubsaktivitäten verblieben ist.

Zudem hat das FG keine konkreten Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger zu 2 an allen Nachmittagsveranstaltungen teilgenommen hatte (vgl. dazu Senatsurteile vom 4. August 1977 IV R 30/76, BFHE 122, 526, BStBl II 1977, 829, und in BFHE 160, 313, BStBl II 1990, 736). Aber selbst wenn man von seiner Teilnahme ausgeht, so bleibt offen, wo, wielange und in welcher Form die Diskussionen in den kleinen Arbeitsgruppen stattgefunden haben sollten. Jedenfalls aber war die Fortbildungsveranstaltung an den Nachmittagen nicht straff organisiert. Das Programm schloß damit die Befriedigung privater Interessen nicht so gut wie vollständig aus (vgl. Senatsurteil in BFHE 160, 313, BStBl II 1990, 736). Dafür, daß auch der Kläger die Tagung zur Erholung genutzt hat, spricht auch, daß er keine Aufzeichnungen zum Nachweis seiner Teilnahme vorgelegt hat (vgl. BFH-Urteil vom 13. Februar 1980 I R 178/78, BFHE 130, 48, BStBl II 1980, 386, und Senatsurteil vom 18. Oktober 1990 IV R 72/89, BFHE 162, 316, BStBl II 1991, 92).

e) Die Sache ist spruchreif. Erfahrungs gemäß dienen eine Reise an einen beliebten Ferienort in den Alpen während der Hauptsaison und der Aufenthalt in einem komfortablen, mit allen entsprechenden Freizeiteinrichtungen ausgestatteten Hotel der Befriedigung privater Interessen. Das gilt auch für Sils Maria. Der Erfahrungssatz, daß ein fast zweiwöchiger Aufenthalt an einem touristisch interessanten Ferienort mit hohem Erlebnis- und Freizeitwert zumindest nicht unwesentlich auch privat mitveranlaßt ist, konnte durch den bloßen Vortrag der Kläger nicht widerlegt werden, der Aufenthalt in Sils Maria sei nahezu ausschließlich für den Besuch des Fortbildungslehrgangs des Deutschen Anwaltsvereins genutzt worden. Entsprechende Tatsachen zur Nutzung der Nachmittage hat der Kläger zu 2 weder substantiiert behauptet noch dafür Beweis angetreten. Im übrigen ist auch das FG davon ausgegangen, daß nur das Vormittagsprogramm straff organisiert gewesen ist. Ob der Kläger sich an den Diskussionen am Nachmittag beteiligt hat oder nicht, ist unerheblich. Mangels straffer Organisation der Nachmittage würde das auch nicht ausreichen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421786

BFH/NV 1997, 219

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