Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Schachtelvergünstigung ist auch dann zu gewähren, wenn die Untergesellschaft subjektiv von der Vermögensteuer befreit ist.

 

Normenkette

BewG § 60/1, § 102/1

 

Tatbestand

Die Bgin., eine Aktiengesellschaft, wandte sich gegen die vom Finanzamt vorgenommene Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs und Ermittlung des steuerpflichtigen Vermögens auf den 1. Januar 1954 mit der Begründung, das Finanzamt habe zu Unrecht die Schachtelvergünstigung für Beteiligungen an zwei gemeinnützigen Gesellschaften versagt. Der Reichsfinanzhof habe zwar entschieden, daß die Schachtelvergünstigung nicht zur Anwendung komme, wenn die Untergesellschaft subjektiv von der Vermögensteuer befreit sei. Diese Auslegung des § 60 BewG a. F. widerspreche dem klaren Wortlaut des Gesetzes und sei mit den neueren rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr vereinbar. Außerdem müsse die Schachtelvergünstigung in ihrem Fall zur Anwendung kommen, weil sich die Steuerbefreiung aus Gemeinnützigkeit bei der Schachteltochter wegen deren steuerlichen Minusvermögens nicht auswirke.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht änderte den Bescheid und die Einspruchsentscheidung entsprechend den Anträgen der Bgin. ab. Es führte aus: Die Schachtelvergünstigung für das Bewertungsrecht und die für die Körperschaftsteuer beruhten auf den unterschiedlichen Fassungen des § 60 BewG und des § 9 KStG Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, für Beteiligungen an subjektiv von der Vermögensteuer befreiten Untergesellschaften komme die Schachtelvergünstigung nicht in Betracht, beruhe auf einer Auslegung des § 60 BewG gegen seinen Wortlaut. Eine Auslegung des Gesetzes gegen seinen klaren Wortlaut sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aber nur dann zulässig und geboten, wenn eine wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führe. Die Gewährung der Schachtelvergünstigung des § 60 BewG für eine Beteiligung an einer subjektiv steuerbefreiten Kapitalgesellschaft sei aber keineswegs sinnwidrig und widerspreche nicht der wirtschaftlichen Vernunft. Das Vermögen einer Kapitalgesellschaft werde in der Regel zweimal der Vermögensteuer unterworfen, nämlich als Betriebsvermögen der Kapitalgesellschaft und bei der Besteuerung des Vermögens der Gesellschafter. Der Zweck des § 60 BewG, eine über diese Doppelbesteuerung noch hinausgehende Mehrfachbesteuerung zu vermeiden, beruhe auf der Erwägung, daß im Endergebnis die Gesellschafter, die natürliche Personen seien, die Vermögensteuer zu tragen hätten. Der Ertrag ihrer Anteile solle nicht unbegrenzt durch Vermögensteuer geschmälert werden. § 3 Abs. 1 Ziff. 6 des Vermögensteuergesetzes (VStG) befreie die gemeinnützigen Körperschaften usw. wegen deren Förderungswürdigkeit von der Vermögensteuer. Die Ersparnis an Vermögensteuer komme in der Regel den natürlichen Personen zugute, die unmittelbar als Gesellschafter der gemeinnützigen Körperschaft oder mittelbar als Gesellschafter einer anderen Gesellschaft die gemeinnützige Körperschaft mit den notwendigen Mitteln auszustatten hätte. Die Begründung des Reichsfinanzhofs, die Obergesellschaft und die Untergesellschaft seien verschiedene Rechtspersönlichkeiten und es bestehe kein Grund, neben der steuerbefreiten Untergesellschaft auch der Obergesellschaft durch die teilweise Befreiung ihres Vermögens eine Vergünstigung zu gewähren, vermöge daher nicht zu überzeugen. Wenn das Schachtelprivileg nicht zugebilligt werde, werde praktisch die Steuerbefreiung wieder aufgehoben, auf die die gemeinnützigen Gesellschaften Anspruch hätten. Nicht die wortgetreue Auslegung des Gesetzes, sondern die dem Wortlaut widersprechende Auslegung durch den Reichsfinanzhof und die Finanzverwaltung sei also sinnwidrig.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist unbegründet.

Ist eine inländische Kapitalgesellschaft nachweislich seit Beginn des Wirtschaftsjahres, das dem Feststellungszeitpunkt vorangeht, ununterbrochen an dem Grund- oder Stammkapital einer anderen inländischen Kapitalgesellschaft in Form von Aktien, Kuxen oder Anteilen mindestens zu einem Viertel unmittelbar beteiligt, so gehört die Beteiligung nicht zum gewerblichen Betrieb (ß 60 Abs. 1 Satz 1 BewG a. F.).

Der Bewertungssenat des Reichsfinanzhofs hat dazu entschieden, daß die Schachtelvergünstigung nicht zu gewähren ist, wenn die Untergesellschaft - d. h. diejenige Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht - subjektiv von der Vermögensteuer befreit ist (vgl. Urteil III 249/39 vom 21. November 1940, RStBl 1941 S. 119). Er folgte damit der Rechtsprechung des Körperschaftsteuersenats des Reichsfinanzhofs zu der Vorschrift des § 9 Abs. 1 KStG (vgl. Urteile I A 70/34 vom 30. Juli 1935, RStBl 1935 S. 1198; I 178/39 vom 16. Mai 1939, RStBl 1939 S. 942). Der Reichsfinanzhof stützte seine Rechtsprechung auf den Sinn und Zweck der Schachtelvergünstigung, der darin bestehe, die Mehrfachbesteuerung eines Vermögens zunächst 1. in der Hand des Aktionärs der Obergesellschaft als Aktien oder Beteiligung, 2. beim Betriebsvermögen der Obergesellschaft als Beteiligung an der Untergesellschaft und schließlich 3. beim Betriebsvermögen der Untergesellschaft in deren Reinbetriebsvermögen zu vermeiden. Da aber eine solche Mehrfachbesteuerung nicht eintrete, wenn die Untergesellschaft steuerfrei sei, bestehe in diesem Falle kein Grund, neben der Untergesellschaft auch der Obergesellschaft durch die teilweise Befreiung ihres Vermögens von der Steuer eine Vergünstigung zu gewähren. Bei einer dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechenden Auslegung komme die Schachtelvergünstigung für die Einheitsbewertung (ebenso wie für die Körperschaftsteuer nach der entsprechenden Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs) nicht zu Raum, wenn die Untergesellschaft von der Vermögensteuer befreit sei.

Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsprechung aus folgenden Gründen nicht mehr fest:

Der vom Gesetzgeber bei Erlaß einer Vorschrift verfolgte Zweck kann nur insoweit für die Auslegung dieser Vorschrift entscheidend sein, als er im Wortlaut des Gesetzes und dem Sinnzusammenhang seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 11 S. 126, 130; 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961, BStBl 1962 I S. 486, insbesondere S. 487). Eine Auslegung von Gesetzen gegen ihren Wortlaut ist nur ausnahmsweise möglich. Dies muß besonders für Steuergesetze gelten, wenn die Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes zu einer Verschärfung der Besteuerung oder zur Versagung einer Vergünstigung führen würde. Die Steuerpflichtigen müssen darauf vertrauen können, daß die Steuergesetze so gefaßt sind, daß sie den wirklichen Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 207, Slg. Bd. 66 S. 539; II 196/61 U vom 26. Juni 1963, BStBl 1963 III S. 402, Slg. Bd. 77 S. 227). Die Auslegung eines Gesetzes gegen seinen Wortlaut kann ausnahmsweise nur dann in Frage kommen, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem so unverständlichen Ergebnis führt, daß ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz nicht so auffassen konnte (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, a. a. O.; I 208/60 S vom 27. Februar 1962, BStBl 1962, BStBl 1962 III S. 244, Slg. Bd. 74 S. 662).

Die vorstehenden, der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entsprechenden Grundsätze bedeuten allerdings nicht, daß es bei der Auslegung von Steuergesetzen allein auf deren Wortsinn ankommt und andere Auslegungsmethoden gegenüber der Wortauslegung zurücktreten müssen. Auch für die Auslegung von Steuergesetzen gilt, daß der in einer Vorschrift zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers mit Hilfe verschiedener Auslegungsmethoden, z. B. nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift oder ihrer systematischen Stellung innerhalb des Gesetzes ermittelt werden kann. Wesentlich ist jedoch immer, daß die Auslegung ihre Grenze im möglichen Wortsinn der Vorschrift findet (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1960 S. 243). Je eindeutiger der Wortsinn einer Vorschrift ist, desto enger ist diese Grenze. Ist der Wortsinn einer Vorschrift mehrdeutig, so ist innerhalb des möglichen Wortsinns eine Auslegung mit Hilfe anderer Auslegungsmethoden zulässig und geboten. Eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes liegt vor, wenn die Grenzen, die der mögliche Wortsinn der Auslegung zieht, überschritten werden.

Im Streitfall handelt es sich um die Auslegung des in § 60 BewG gebrauchten Begriffs "inländische Kapitalgesellschaft". Nach seinem Wortsinn umfaßt dieser Begriff eindeutig alle im Inland ansässigen Gesellschaften. Für eine einschränkende Auslegung, diese inländischen Gesellschaften müßten subjektiv steuerpflichtig sein, läßt sich aus dem Wortsinn nichts entnehmen. Diese Auslegung geht nach Auffassung des Senats über den möglichen Wortsinn der Vorschrift hinaus und kann entsprechend den vorstehenden Ausführungen demnach auch durch den vom Reichsfinanzhof hervorgehobenen Zweck der Vorschrift nicht gerechtfertigt werden. Daß die wortgetreue Auslegung zu einem völlig unverständlichen Ergebnis führen würde, ist nicht ersichtlich. Der Senat führt daher die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs nicht mehr fort. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des I. Senats I 208/60 S vom 27. Februar 1962, a. a. O., in der aus ähnlichen Gründen die Frage, ob einem von der Körperschaftsteuer befreiten Betrieb einer inländischen Körperschaft des öffentlichen Rechts das Schachtelprivileg des § 9 Abs. 1 KStG 1955 zustehe, bejaht wurde.

Die Rb. ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411477

BStBl III 1965, 82

BFHE 1965, 222

BFHE 81, 222

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