Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Zeitpunkt und Umfang der Bilanzberichtigung bei nachträglich aufgedeckten Unterschlagungen

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Berichtigung fortwirkender Bilanzierungsfehler ist grundsätzlich in der letzten noch offenen Veranlagung vorzunehmen. Dies gilt auch, soweit der fehlerhafte Bilanzansatz auf nachträglich aufgedeckten Unterschlagungen beruht, die irrtümlich als Entnahmen behandelt wurden (Abgrenzung zum RFH-Urteil vom 3. September 1930 VI A 1473/30, RStBl 1930, 810).

2. Der nachträgliche Ansatz von Schadensersatzforderungen gegen den Unterschlagenden anstelle der fehlerhaften Entnahmebuchungen ist jedoch auch in den Bilanzen bereits bestandskräftiger Veranlagungszeiträume zulässig, soweit die Forderungen an den jeweiligen Bilanzstichtagen (noch) werthaltig waren.

3. Nach Eintritt der Verjährung scheidet eine Bilanzberichtigung bereits aus, wenn die bloße Möglichkeit der Erfolgswirksamkeit des Bilanzierungsfehlers nicht ausgeschlossen werden kann.

4. Zur hinreichenden Konkretisierung eines Anspruchs gegen einen fremden Dritten bedarf es keiner besonderen Kundgabe zur Geltendmachung (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 23. Mai 1984 I R 266/81, BFHE 141, 261, BStBl II 1984, 723).

5. Läßt das FA aufgrund einer bei der Außenprüfung getroffenen Absprache bei der Änderungsveranlagung die Abschreibung auf die Schadensersatzforderung in der Schlußbilanz des letzten Jahres des Prüfungszeitraums zu und nimmt der Steuerpflichtige hierauf die Einsprüche gegen die Steuerbescheide der Vorjahre zurück, so ist das FA an diese Sachbehandlung nach Treu und Glauben gebunden. In einem nachfolgenden Klageverfahren kann sich deshalb auch nicht das FG darauf berufen, daß möglicherweise bereits in früheren Jahren ein Wertberichtigungsbedarf bestanden hat.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 5

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihres am . . . 1981 verstorbenen Ehemannes (D). Dieser war Inhaber eines zunächst in der Rechtsform einer Einzelfirma betriebenen . . ., das zum 1. Januar 1979 in die neu gegründete GmbH & Co. KG (KG) eingebracht wurde. D war Kommanditist der KG und zugleich Gesellschafter-Geschäftsführer der Komplementär-GmbH.

Nach dem Tode der seit Jahrzehnten im Unternehmen tätigen Buchhaltungsleiterin (T) am . . . 1979 ergaben sich bei der im Jahre 1979 erfolgten Aufstellung der endgültigen Jahresabschlüsse 1975 bis 1977 der Einzelfirma ungeklärte Differenzen bei der Abstimmung der Banksalden, die zunächst, wie bereits in früheren Jahren, vom Steuerberater des Unternehmens (M), durch Entnahmebuchungen ausgeglichen wurden. Die Bilanzen wurden von D und M unterzeichnet.

Bei den nachfolgenden Abschlußarbeiten für das Streitjahr (1978) wurde festgestellt, daß T einen Teil der Kundenschecks auf ihrem Privatkonto eingezogen hatte. Nach dem Bericht einer durch D veranlaßten Unterschlagungs-Sonderprüfung vom 29. November 1979 beliefen sich die Fehlbeträge für 1975 bis 1978 auf 560 659 DM, wovon 152 069 DM auf das Streitjahr entfielen. Der Gesamtbetrag der von T privat vereinnahmten Beträge in der Zeit ab 1967 wurde von D zunächst mit mindestens 1 006 462 DM beziffert.

Die KG machte gegen die Erbin der T aus abgetretenem Recht vor dem Arbeitsgericht in zwei getrennten Verfahren Schadensersatzansprüche für den Zeitraum 1972 bis 1978 in Höhe von insgesamt 706 792 DM geltend, denen in erster Instanz stattgegeben wurde. Nachdem das Landesarbeitsgericht auf die Berufung der Erbin mit Urteil vom 4. Februar 1981 die erste Klage abgewiesen hatte, schlossen die Beteiligten in der Berufungsverhandlung über die zweite Klage am 29. Juni 1981 einen Vergleich, in dem sie übereinstimmend davon ausgingen, daß entgegen der Begründung des Berufungsurteils im ersten Verfahren T insgesamt 1,2 Mio. DM unterschlagen habe. Deren Erbin verpflichtete sich unter Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlaß zur Zahlung eines Betrags von 150 000 DM. Bei der nachfolgenden Zwangsversteigerung eines Mietshauses, das laut des am 21. März 1980 erstellten Nachlaßinventars der einzige wertvolle Nachlaßgegenstand war, fiel die KG mit ihrer Forderung aus.

Eine gegen den Steuerberater M erhobene Schadensersatzklage über 515 159 DM endete im April 1980 mit einem außergerichtlichen Vergleich, in dem sich M zur Zahlung eines Betrags von 220 000 DM an die KG verpflichtete.

In der am 3. Juli 1980 aufgestellten Bilanz für das Streitjahr war eine Forderung gegen die T in Höhe von 560 659 DM enthalten, die bereits um den voraussichtlichen Schadensausgleich in Höhe von 520 000 DM gekürzt worden war. In den erwarteten Ersatzleistungen war der Wert des von T hinterlassenen Mietwohngrundstücks mit 300 000 DM berücksichtigt. Gleichzeitig wurde für die Schadensersatzforderung eine Wertberichtigung in Höhe des Nennbetrags zu Lasten des Gewinns des Streitjahrs gebildet. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte die Einkommensteuer zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.

Nach Mitteilung der festgestellten Unregelmäßigkeiten in der Buchführung ordnete das FA bei der Einzelfirma für die Jahre 1975 bis 1978 eine Außenprüfung an. Nach Auffassung des Außenprüfers konnten lediglich unterschlagene Beträge in Höhe von 706 792 DM für den Zeitraum 1972 bis 1978 als nachgewiesen angesehen werden, die in die Prüferbilanz des Streitjahres erfolgsneutral eingestellt wurden. Die Wertberichtigung auf diese Forderung erkannte der Prüfer nur in Höhe von 136 792 DM an.

Das FA folgte zunächst den Feststellungen des Prüfers und hob in den Änderungsbescheiden für den Prüfungszeitraum den Vorbehalt der Nachprüfung auf, führte jedoch die Veranlagung des Streitjahres hinsichtlich der Forderung aus Unterschlagung gemäß § 165 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig durch. Auf den Einspruch hin erkannte es nach entsprechendem Verböserungshinweis in der Einspruchsentscheidung vom 1. März 1984 auch den vorläufig angenommenen Verlust nicht mehr an. Es sah den Nachweis der Unterschlagungen als nicht geführt an und vertrat im übrigen unter Hinweis auf das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 3. September 1930 VI A 1473/30 (RStBl 1930, 810) nunmehr die Auffassung, daß eine gewinnmindernde Berücksichtigung der unterschlagenen Beträge allenfalls im Jahr der Entdeckung der Unterschlagungen (1979) in Betracht käme.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt zwar abweichend von dem RFH-Urteil in RStBl 1930, 810 eine bilanzberichtigende Einbuchung der Schadensersatzforderungen gegen T bereits vor dem Entdeckungszeitpunkt für geboten, lehnte jedoch die Berücksichtigung früherer Unterschlagungen im Streitjahr ab, da die Vorjahre (1975 bis 1977) im Zeitpunkt der Aufdeckung der Unterschlagungen mangels endgültiger Veranlagung noch hätten berichtigt werden können.

Mit ihrer vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 4 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Entgegen der Auffassung des FG durften die fehlerhaften Bilanzansätze - jedenfalls teilweise - durch nachträgliche Einbuchung der in früheren Jahren entstandenen Schadensersatzforderungen gegen T in der Anfangsbilanz des Streitjahres richtiggestellt werden.

a) Nach dem Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. November 1965 GrS 1/65 S (BFHE 84, 392, BStBl III 1966, 142) sind unrichtige Bilanzansätze grundsätzlich bis zur Fehlerquelle zu berichtigen. Ein rückwirkender Fehlerausgleich kann allerdings nur insoweit durchgeführt werden, als vorangegangene Veranlagungen und die ihnen zugrunde liegenden Bilanzen noch geändert werden können oder der Fehler sich bisher steuerlich nicht ausgewirkt hat (vgl. auch BFH-Urteile vom 30. November 1967 IV R 96/67, BFHE 90, 430, BStBl II 1968, 144, und vom 4. November 1986 VIII R 322/83, BFHE 148, 513, BStBl II 1987, 333 unter 2 b cc). Eine Berichtigung fortwirkender Bilanzierungsfehler hat deshalb grundsätzlich in der letzten noch offenen Veranlagung zu erfolgen. Nach dem Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs ist allerdings in der Anfangsbilanz dieses Veranlagungszeitraums das Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, das der Veranlagung dieses Jahres zugrunde lag, auch dann anzusetzen, wenn die das Betriebsvermögen darstellende Vorjahresbilanz unrichtige Wertansätze enthält (vgl. BFH-Urteil vom 13. September 1973 IV R 5/70, BFHE 110, 280, BStBl II 1973, 846).

b) Zutreffend hat das FG eine Anwendbarkeit des RFH-Urteils in RStBl 1930, 810 verneint, nach dem die Entdeckung einer längeren Kette von Unterschlagungen zu einer Verlustfeststellung im Jahre der Aufdeckung führen soll. Diesem Urteil läßt sich entgegen der Auffassung des FA ohnehin nicht der Grundsatz entnehmen, daß durch Unterschlagungen bedingte Gewinnminderungen ausschließlich erst nach deren Aufdeckung berücksichtigt werden dürfen. Wäre dieses Urteil im Sinne des FA auszulegen, so wäre es im übrigen durch die eingangs dargestellte BFH-Rechtsprechung überholt, die die Berichtigung an der Fehlerquelle verlangt, soweit diese noch möglich ist.

c) Das FG hat jedoch verkannt, daß sich im Streitfall aus der Bilanzberichtigung bis zur Fehlerquelle eine steuerliche Auswirkung nicht ergibt, soweit die durch die fehlerhaften Entnahmebuchungen bewirkte Kapitalminderung durch die Aktivierung entsprechender Schadensersatzforderungen richtigzustellen ist. Denn diese Korrekturbuchungen sind jedenfalls in dem Umfang erfolgsneutral, in dem auf diese Forderungen an den jeweiligen Bilanzstichtagen keine Wertberichtigungen vorzunehmen waren. Die Einbuchung dieser werthaltigen Schadensersatzforderungen in der Anfangsbilanz des Streitjahres stellt sich damit als zulässige Berichtigung an der Fehlerquelle unter bloßer Abkürzung des Berichtigungsweges dar.

Der Revision ist darin beizupflichten, daß die Schadensersatzforderungen gegen T unbeschadet der fehlenden positiven Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände an den jeweiligen Bilanzstichtagen zu aktivieren waren. Zwar genügt nach dem BFH-Urteil vom 11. Oktober 1973 VIII R 1/69 (BFHE 110, 532, BStBl II 1974, 90) die formalrechtliche Entstehung eines Anspruchs zur Bejahung einer Aktivierungspflicht nicht. Für die Frage der hinreichenden Konkretisierung der gegen T bestehenden Forderungen ist jedoch auf die Sicht des ordentlichen Kaufmanns abzustellen, der die Unterschlagungen der T und die sich hieraus ergebenden, zum Betriebsvermögen gehörenden Ersatzansprüche gekannt hätte. Wären nämlich die Unterschlagungen der T auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht aufzudecken gewesen - wogegen allerdings bereits die vergleichsweise Anerkennung einer Schadensersatzpflicht durch den Steuerberater M spricht -, so wäre ohnehin zweifelhaft, ob die früheren Bilanzen überhaupt unrichtig gewesen sind (vgl. zum subjektiven Fehlerbegriff Schmidt / Heinicke, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 4 Anm. 135; Nieland in Littmann / Bitz / Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., §§ 4, 5 Rdnr. 540 f.; Döllerer, Betriebs-Berater - BB - 1986, 97).

Wären jedoch nach dem Erkenntnisstand eines sorgfältigen Kaufmanns bei Aufstellung der Bilanz die von der Klägerin behaupteten Unterschlagungen bekannt gewesen, so ist davon auszugehen, daß die insoweit bestehenden Ersatzansprüche zumindest in dem Umfang geltend gemacht worden wären, in dem der Klägerin im vorliegenden Verfahren der Nachweis der Unterschlagung gelingt. Dem steht das vom FA angeführte BFH-Urteil vom 23. Mai 1984 I R 266/81 (BFHE 141, 261, BStBl II 1984, 723) nicht entgegen, das sich mit dem besonderen Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zur ihren Gesellschaftern befaßt, bei dem mangels klarer Trennung zwischen der betrieblichen und der gesellschaftsrechtlichen Sphäre die Möglichkeit eines Verzichts auf die Geltendmachung von Rückgewähransprüchen mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Demgegenüber bedarf es zur hinreichenden Konkretisierung eines Anspruchs gegen einen fremden Dritten einer besonderen Kundgabe des Willens zur Geltendmachung nicht.

d) Die vor dem Streitjahr entstandenen Schadensersatzforderungen können allerdings nur berücksichtigt werden, soweit die unterschlagenen Beträge Veranlagungszeiträume betreffen, in denen der Steueranspruch im Zeitpunkt der Aufdeckung der Unterschlagung noch nicht verjährt war. Denn mit Eintritt der Verjährung ist die Möglichkeit einer Änderung der Steuerfestsetzung grundsätzlich entfallen und eine Bilanzberichtigung schlechthin ausgeschlossen.

Hierbei ist es ohne Belang, daß die unrichtigen Bilanzansätze auch in den verjährten Zeiträumen ohne steuerliche Auswirkung geblieben sein können. Denn jedenfalls ist die Höhe des Wertberichtigungsbedarfs dieser Forderungen zweifelhaft und wegen des Zeitablaufs eine hinreichend sichere Beurteilung der Wertverhältnisse aus der allein maßgebenden Sicht des damaligen Bilanzaufstellungszeitpunkts nicht möglich. Es ist jedoch gerade Sinn des Rechtsinstituts der Verjährung, aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens eine Wideraufrollung von Sachverhalten entbehrlich zu machen, deren steuerliche Folgen infolge Zeitablaufs nicht mehr exakt ermittelt werden können. Eine Bilanzberichtigung scheidet nach Eintritt der Verjährung somit aus, wenn bereits die Möglichkeit der Erfolgswirksamkeit des Bilanzierungsfehlers nicht ausgeschlossen werden kann.

e) Die Revision räumt selbst ein, daß sich auch die fehlerhaften Bilanzansätze der noch nicht verjährten Veranlagungszeiträume steuerlich bereits in den Vorjahren ausgewirkt haben können, soweit für die einzubuchenden Schadensersatzforderungen an den jeweiligen Bilanzstichtagen ein Wertberichtigungsbedarf bestanden hat. Mögliche Wertberichtigungen, die in den Bilanzen der Jahre 1975 bis 1977 hätten vorgenommen werden müssen, stehen einer gewinnwirksamen Richtigstellung der früheren Bilanzierungsfehler im Streitjahr nicht entgegen. Hierbei braucht der erkennende Senat nicht dazu Stellung zu nehmen, ob eine Berichtigung im Streitjahr als dem letzten noch nicht bestandskräftig veranlagten Zeitraum auch zulässig ist, soweit von der ursprünglich vorhandenen Berichtigungsmöglichkeit der Vorjahre tatsächlich kein Gebrauch gemacht worden ist oder ob, wie das FG unter Berufung auf eine in der Literatur und finanzgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Meinung (vgl. Schmidt / Heinicke, a.a.O., § 4 Anm. 140 mit weiteren Nachweisen) angenommen hat, bereits die bei Fehleraufdeckung vorhandene Möglichkeit der Änderung früherer Veranlagungszeiträume eine entsprechende Berichtigung im Streitjahr ausschließt. Denn das FA ist selbst in einer auch für das FG bindenden Weise davon ausgegangen, daß der Wertberichtigungsbedarf der Jahre 1975 bis 1978 ausschließlich bei der Gewinnermittlung des Streitjahres zu berücksichtigen ist.

Im Rahmen der für den Zeitraum 1975 bis 1978 durchgeführten Außenprüfung hat der Prüfer sämtliche Schadensersatzforderungen gegen T in der für nachgewiesen erachteten Höhe in der Anfangsbilanz des Streitjahres erfaßt und den Wertberichtigungsbedarf ausschließlich nach den zum Zeitpunkt der Aufstellung der Schlußbilanz maßgebenden Verhältnissen ermittelt. Das FA ist den Feststellungen des Prüfers gefolgt und hat bei den endgültigen Veranlagungen der Jahre 1975 bis 1977 die Frage der Bilanzberichtigung nicht (mehr) aufgegriffen. An diese Sachbehandlung ist das FA nach Treu und Glauben gebunden. Dies hat das FG verkannt.

aa) Der Grundsatz von Treu und Glauben, der nach allgemeiner Auffassung auch im öffentlichen Recht gilt, gebietet, daß im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen Verhalten, auf das der andere vertraut hat, nicht in Widerspruch setzt (BFH-Urteil vom 10. November 1987 VII R 171/84, BFHE 151, 123, BStBl II 1988, 41). Der Steuerpflichtige kann sich auf Treu und Glauben jedoch nur berufen, wenn er im Hinblick auf den von der Behörde gesetzten Vertrauenstatbestand Dispositionen getroffen hat (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. BFH-Urteil vom 12. Mai 1970 VII R 54/67, BFHE 99, 293, BStBl II 1970, 634). Da Bezugspunkt des Vertrauensschutzes nicht nur die Verwirklichung eines Steuertatbestandes, sondern auch die Aufgabe eines verfahrensrechtlichen Besitzstandes sein kann, sind nicht nur Dispositionen vermögensrechtlicher Art von Bedeutung (vgl. BFH-Urteil vom 29. Oktober 1987 X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121).

bb) Im Streitfall hat der verstorbene Ehemann der Klägerin dadurch in schutzwürdigem Vertrauen disponiert, daß er im Hinblick auf die bei der Außenprüfung einvernehmlich getroffene Sachbehandlung, die sich das FA bei den nachfolgenden Änderungsveranlagungen für den Prüfungszeitraum ausdrücklich zu eigen gemacht hat, die Änderungsbescheide für die Jahre 1975 bis 1977 hat bestandskräftig werden lassen. Das FA kann deshalb eine Bilanzberichtigung im Streitjahr jedenfalls nicht mit dem Hinweis auf die Bestandskraft dieser Steuerfestsetzungen versagen. Die vom FG aufgeworfene Frage einer Änderung der Vorjahresbescheide stellt sich schon deshalb nicht, weil die getroffene Sachbehandlung im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH steht, die es ausdrücklich für zulässig erachtet hat, daß bei Bilanzberichtigungen über mehrere Jahre die sich hierbei ergebenden Gewinnerhöhungen entsprechend den Wünschen des Steuerpflichtigen auf die einzelnen Jahre verteilt werden, soweit eine solche anderweitige Verteilung verfahrensrechtlich noch möglich ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 90, 430, BStBl II 1968, 144).

2. Das FG wird bei seiner erneuten Verhandlung - die von seinem Rechtsstandpunkt aus entbehrlichen - Feststellungen zur Höhe der einzubuchenden Schadensersatzforderungen (Nachweis der Unterschlagungen) und zum zulässigen Umfang der begehrten Wertberichtigung nachzuholen haben.

Beim derzeitigen Verfahrensstand besteht keine Veranlassung, auf die von der Revision aufgeworfene, höchstrichterlich nicht abschließend entschiedene Frage zum maßgebenden Zeitpunkt für die Berücksichtigung sogenannter wertaufhellender Umstände bei verspäteter Bilanzaufstellung einzugehen (vgl. hierzu Schmidt / Glanegger, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 7. Auflage, § 6 Anm. 13 f.; Meincke in Littmann / Bitz /Meincke, a.a.O., § 6 Rdnr. 41; Herrmann /Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG Rdnr. 186), falls man mit dem FG davon ausgeht, daß die Bilanz des Streitjahres nicht innerhalb der nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung erforderlichen Frist aufgestellt worden ist.

Nach den Feststellungen des FG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß sich die Umstände für die Beurteilung der Werthaltigkeit der Schadensersatzforderung zwischen den Zeitpunkten der rechtzeitigen und der tatsächlichen Bilanzaufstellung geändert haben. In der Bilanz des Streitjahres ist der Wert des von der T hinterlassenen Mietwohngrundstücks mit 300 000 DM angegeben worden. Bei der nachfolgenden Außenprüfung wurde der Wert des Grundstücks mit 350 000 DM angesetzt. Erstmals in der Einspruchsbegründung vom 27. Juli 1981 hat sich die Klägerin mit dem Ansatz des Wertes des Nachlaßgrundstücks nicht einverstanden erklärt, ,,weil sich inzwischen Änderungen ergeben haben" (S. 5 des Einspruchsschreibens vom 27. Juli 1981).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416332

BFH/NV 1990, 358

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