Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Veranlagung nach Maßgabe des § 46 EStG 1953 setzt voraus, daß im Einkommen des Steuerpflichtigen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit enthalten sind. Sind Einkünfte eines Steuerpflichtigen irrtümlich als Lohneinkünfte behandelt worden, so ist die Veranlagung des Steuerpflichtigen nach den allgemeinen Grundsätzen durchzuführen. Der Steuerpflichtige hat nach § 25 Abs. 1 EStG 1953, § 210 Abs. 1 AO einen Rechtsanspruch auf die Veranlagung. Der Steuerpflichtige kann nicht auf den Erstattungsweg nach § 152 Abs. 2 Ziff. 1 AO verwiesen werden.

 

Normenkette

EStG § 25 Abs. 1, § 46 Abs. 1 Ziff. 4, § 47 Abs. 3; AO § 152 Abs. 2 Nr. 1, § 210 Abs. 1; EStDV § 57/1; AO § 87/5

 

Tatbestand

Auf Aufforderung des Finanzamts, bis zum 15. November 1954 die Einkommensteuererklärung 1953 abzugeben, reichte die Beschwerdegegnerin (Bgin.) am 15. Februar 1956 die Einkommensteuererklärung 1953 für ihren am 22. Juli 1953 verstorbenen Ehemann W. X. ein. Als Einkünfte gab sie darin an:

Verlust aus Kommanditbeteiligung ihres Mannes an der Firma A. ------------------------------------- ./. 30.063 DM Lohneinkünfte ihres Mannes aus der Beschäftigung als Prokurist bei der genannten Firma ------------------- 11.688 DM.Die Mitteilung vom 15. September 1956 über die einheitliche Feststellung der Gewinne der an der Firma A. beteiligten "X. Erben" über ./. 30.063 DM für 1953 vom 29. März 1955 ist dem Finanzamt am 19. September 1956 zugegangen.

Das Finanzamt faßt die Einkommensteuererklärung der Bgin. als Antrag auf Veranlagung der Arbeitseinkünfte in Höhe von 11.688 DM wegen berechtigten Interesses - zum Zwecke des Ausgleichs mit den Verlusten aus der Kommanditbeteiligung - nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1953 auf, lehnte die Veranlagung jedoch durch Bescheid vom 18. Februar 1956 mit der Begründung ab, die in § 57 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1953 für die Stellung des Antrags festgesetzte Frist sei verstrichen. Der Antrag habe bis zum Ablauf der Erklärungsfrist gestellt werden müssen, diese Frist sei jedoch spätestens im Mai 1954 abgelaufen gewesen. Demnach sei nach § 87 Abs. 5 der Reichsabgabenordnung (AO) auch Nachsichtgewährung nicht mehr möglich. An dieser Auffassung hielt das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung vom 28. September 1956 fest, während die Bgin. der Meinung war, die Veranlagung müsse schon deshalb und ohne Rücksicht auf die genannte Fristsetzung erfolgen, weil das Finanzamt sie zur Abgabe der Einkommensteuererklärung aufgefordert habe. Auf die Berufung der Bgin. hob das Finanzgericht die Einspruchsentscheidung ersatzlos auf. Es vertritt die Auffassung, daß gegen die Ablehnung des Antrags auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1953 nicht der Einspruch, sondern die Beschwerde an die Oberfinanzdirektion gegeben sei. Der ablehnende Bescheid des Finanzamts stelle eine Verfügung im Sinne des § 237 AO dar. Wenn der Bundesfinanzhof im Urteil VI 117/55 U vom 8. März 1957 (BStBl 1957 III S. 190, Slg. Bd. 64 S. 509) stillschweigend davon ausgegangen sei, daß das Berufungsverfahren zulässig sei, so könne sich dem das Finanzgericht nicht anschließen. Mit Rücksicht darauf, daß die Sache über Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) doch wieder an das Finanzgericht gelangen könne, bemerkt das Finanzgericht zur Sache, die Frist zur Antragstellung nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1953 sei abgelaufen gewesen, da die Finanzämter in B. bereits bis zum 31. Januar 1955 95 % aller Steuerpflichtigen veranlagt gehabt hätten. Abgesehen davon müsse die Bgin. die begehrte Rückzahlung von Lohnsteuern nach § 152 Abs. 2 Ziff. 1 AO im Erstattungsverfahren geltend machen. Der Ehemann der Bgin. könne als Kommanditist der Firma A. nicht gleichzeitig Lohneinkünfte bei dieser Firma gehabt haben. Die Arbeitsvergütungen für seine Tätigkeit als Prokurist seien vielmehr ebenfalls gewerbliche Einkünfte gewesen (ß 15 Ziff. 2 EStG). Aber auch die Ausschlußfrist des § 152 Abs. 3 AO sei verstrichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und des Bescheids des Finanzamts vom 18. Februar 1956.

Bei Beurteilung der Rechtslage ist davon auszugehen, daß die in der Einkommensteuererklärung der Bgin. vom 15. Februar 1956 aufgeführten 11.688 DM nicht Einkünfte ihres Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG, sondern Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 15 Ziff. 2 EStG aus seiner Kommanditbeteiligung an der Firma A. darstellen (Urteil des Bundesfinanzhofs I 71/57 U vom 28. Januar 1958, BStBl 1958 III S. 112, Slg. Bd. 66 S. 290). Das hat das Finanzgericht auch richtig erkannt. Dann aber liegt ein Fall des § 46 EStG 1953 nicht vor. § 46 EStG 1953 kommt nur zur Anwendung, wenn im Einkommen des Steuerpflichtigen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit enthalten sind.

In der Einreichung der Steuererklärung durch die Bgin. kann auch nicht ohne weiteres ein Erstattungsantrag nach § 152 Abs. 2 Ziff. 1 in Verbindung mit § 150 AO gesehen werden. Vielmehr muß zunächst geprüft werden, ob die Bgin. nicht nach § 25 EStG 1953 zu veranlagen ist. Sie würde dann gegebenenfalls einen Anspruch auf Erstattung der zuviel bezahlten Einkommensteuern nach Maßgabe der §§ 47 Abs. 3 EStG, 150, 153 AO erlangen. Die Prüfung führt zur Bejahung dieser Frage. Der Veranlagungsanspruch der Bgin. bzw. der Erben des verstorbenen Ehemannes der Bgin. folgt unmittelbar aus § 25 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 210 Abs. 1 AO. Hiernach wird die Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraumes) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat, soweit nicht nach §§ 46 und 46a EStG 1953 eine Veranlagung unterbleibt (ß 25 Abs. 1 EStG 1953). Nach Abschluß seiner Ermittlungen setzt das Finanzamt durch Steuerbescheid die Steuer fest (ß 210 Abs. 1 AO). Die in diesen Vorschriften den Finanzämtern auferlegte Pflicht zur Veranlagung der Einkommensteuer erzeugt beim Steuerpflichtigen den Rechtsanspruch auf Durchführung der Veranlagung, der im Rechtsmittelweg nach §§ 228 ff. AO verfolgbar ist. Eine Ausnahme machen nur die Fälle, in denen nach §§ 46, 46a EStG 1953 eine Veranlagung nicht durchzuführen ist. Diese Ausnahme liegt im Fall der Bgin. nicht vor.

Der Senat ist jedoch nicht in der Lage, selbst zu entscheiden. Der bisherige Akteninhalt läßt die wirkliche Höhe der Einkünfte und des Einkommens des Ehemannes der Bgin. nicht eindeutig erkennen. Es bestehen Zweifel, ob die Mitteilung über die einheitliche Feststellung der Gewinne "X. Erben" als Beteiligte der Firma A. sich tatsächlich auf den Ehemann der Bgin. während der Dauer seiner Beteiligung im Jahr 1953 mit bezieht bzw. dessen Einkünfte aus der Firma A. allein betrifft. Es muß noch geklärt werden, warum, wenn die Einkünfte des Ehemannes der Bgin. aus der Firma A. tatsächlich mit ./. 30.063 DM einheitlich festgestellt worden sind, daneben noch weitere 11.688 DM als Einkünfte aus dieser Firma in der Einkommensteuererklärung angegeben worden sind. Es ist ferner aus den Akten nicht eindeutig ersichtlich, daß die Bgin. Alleinerbin nach ihrem Ehemann und demgemäß der Bescheid nur gegen sie, nicht gegen eine Erbengemeinschaft zu richten ist, an der die Bgin. wiederum nur beteiligt ist.

Zur Klärung dieser und weiterer Fragen, die sich im Laufe der anzustellenden Ermittlungen noch ergeben werden, wird die Streitsache an das Finanzamt zurückverwiesen, das die Veranlagung auf der Grundlage des Einkommens, das der Ehemann der Bgin. im Jahre 1953 bis zu seinem Tode bezogen hat, durchzuführen haben wird. Dem Finanzamt wird gleichzeitig die Entscheidung über die Kosten des Einspruchs, der Berufung und der Rb. um die Feststellung des Streitwerts übertragen. Rechtsmittelgebühren und Auslagen der Rechtsmittelbehörden wird das Finanzamt gegebenenfalls nach § 314 AO nicht erheben. Die Rechtsmittelgebühren und Auslagen der Rb. werden nach § 314 AO nicht erhoben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409424

BStBl III 1959, 348

BFHE 1960, 225

BFHE 69, 225

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