Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe eines Gewinnfeststellungsbescheids bei voll beendeter KG

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Gewinnfeststellungsbescheid wird mit Bekanntgabe an einen der notwendigen Bekanntgabeempfänger wirksam.

2. Die Nachholung einer unterbliebenen Bekanntgabe im Klageverfahren ist im Regelfall erforderlich, um mehrfache und widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden.

3. Die Aussetzung des Verfahrens analog § 74 FGO ist zur Beseitigung eines Bekanntgabemangels nur geboten, wenn die Gesellschafter, denen der Bescheid nicht bekanntgegeben wurde, vom Ausgang des Rechtsstreits steuerrechtlich berührt sein können.

4. Der von einer Kommanditistin um das Vorliegen von Sonderbetriebsausgaben geführte Streit kann die Komplementär-GmbH angehen, wenn sich ihr Gewinnanteil infolge Wegfalls des bei Klagestattgabe entsprechend erhöhende negative Kapitalkonto der Kommanditistin vermindern kann.

 

Normenkette

FGO § 60 Abs. 3, §§ 74, 96 Abs. 1 S. 2, § 110 Abs. 1 S. 1; AO 1977 §§ 179-180, 182

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Gesellschafter der früheren X-GmbH & Co. KG (KG) waren die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und die Beigeladene (S) als Kommanditistinnen mit einer Einlage von je 20 000 DM und die X-GmbH (GmbH) als Komplementärin mit einer Einlage von 1000 DM. Die von der S zu erbringende Kommanditeinlage in Höhe von 20 000 DM stand noch aus. Gesellschafter der GmbH waren zu gleichen Anteilen die Klägerin und die S. An dem nach Berücksichtigung verschiedener Abzugsposten verbleibenden Gewinn oder Verlust der KG waren die Kommanditistinnen zu je 48,8 % und die GmbH zu 2,4 % beteiligt. Die KG wurde am 20. September 1976 aufgelöst und ihr Gewerbebetrieb eingestellt. Am 14. November 1977 wurde die KG im Handelsregister gelöscht. Zur gleichen Zeit ,,endete" die GmbH. Die KG hatte ein abweichendes Wirtschaftsjahr, und zwar vom 1. Juni des Jahres bis zum 31. Mai des Folgejahres. Für die Zeit vom 1. Juni 1976 bis zum 20. September 1976 bildete die KG ein Rumpfwirtschaftsjahr. Das Kapitalkonto der Klägerin belief sich zum 1. Juni 1976 auf ./. . . . DM.

In dem Rumpfwirtschaftsjahr wurde die Klägerin von der Y-Bank aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft in Höhe von . . . DM in Anspruch genommen, die sie zur Absicherung eines der KG gewährten Darlehens übernommen hatte.

Im Rahmen einer im Jahre 1978 durchgeführten Außenprüfung bei der KG, die auch das Streitjahr umfaßte, kam der Prüfer zu dem Ergebnis, daß die Bürgschaftszahlung als Sonderbetriebsausgabe der Klägerin zu behandeln, zugleich aber der Steuerbilanzgewinn der KG um den entsprechenden Betrag zu erhöhen sei.

Demgegenüber sah der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die geleisteten . . . DM als den Gewinn der KG nicht berührende Einlage der Klägerin an. Dementsprechend stellte das FA mit erstmaligem Bescheid vom 29. Januar 1979, der sowohl der Klägerin als auch der S bekannt gegeben wurde, für 1976 einen laufenden Verlust der KG in Höhe von . . . DM fest und rechnete davon der erloschenen GmbH einen Gewinnanteil in Höhe von . . . DM und der Klägerin und der S in Höhe von jeweils ./. . . . DM zu. Außerdem wies das FA der S einen aus dem Wegfall ihres negativen Kapitalkontos resultierenden Aufgabegewinn zu.

Nach erfolglos durchgeführtem Einspruchsverfahren hat die Klägerin Klage erhoben. Zu dem Klageverfahren hat das Finanzgericht (FG) zwar die S, nicht aber die GmbH beigeladen. Das FG hat der Klage insoweit stattgegeben, als es unter Änderung des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheides der Klägerin Sonderbetriebsausgaben in Höhe des an die Y-Bank bezahlten Betrags zugestanden hat. Zugleich hat es aber das negative Kapitalkonto der Klägerin um die bisher als Einlage berücksichtigten . . . DM erhöht und wegen Wegfalls des negativen Kapitalkontos einen Veräußerungsgewinn in Höhe von . . . DM festgestellt. Um diesen Betrag hat es darüber hinaus den Gewinnanteil der GmbH auf ./. . . . DM herabgesetzt. Die für die S festgestellten Besteuerungsgrundlagen hat das FG unberührt gelassen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat es versäumt, das Verfahren entsprechend § 74 FGO auszusetzen, um dem FA Gelegenheit zu geben, den streitigen Gewinnfeststellungsbescheid der GmbH bekannt zu geben.

1. Ein Gewinnfeststellungsbescheid ist nach Auflösung und handelsrechtlicher Vollbeendigung einer Personenhandelsgesellschaft grundsätzlich allen Beteiligten bekannt zu geben, für die er inhaltlich bestimmt ist, d. h. allen (Mitunternehmer)Gesellschaftern, soweit diese von dem materiellen Inhalt des Bescheides betroffen werden. Das bedeutet aber nicht, daß ein Feststellungsbescheid, der nur einem Teil der von ihm in vorgenannter Weise betroffenen Personen bekanntgegeben wird, unwirksam ist. Ein Feststellungsbescheid wird bereits mit der Bekanntgabe an lediglich einen Beteiligten existent und ihm gegenüber wirksam. Die fehlende und erforderliche Bekanntgabe an die übrigen Gesellschafter hat allein zur Folge, daß der Bescheid diesen Gesellschaftern gegenüber noch keine materielle Bindungswirkung i. S. des § 182 der Abgabenordnung (AO 1977) entfalten und von ihnen grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung angefochten werden kann (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Januar 1987 IV B 95/86, BFH/NV 1987, 659; BFH-Urteile vom 16. Oktober 1986 IV R 23/86, BFH/NV 1987, 686; vom 25. November 1987 II R 227/84, BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410; vom 26. April 1988 VIII R 292/82, BFHE 153, 497, BStBl II 1988, 855).

2. Das zeitlich grundsätzlich unbeschränkte Anfechtungsrecht macht es im Regelfall notwendig, das von einem Beteiligten gegen den Gewinnfeststellungsbescheid geführte Klageverfahren analog § 74 FGO solange auszusetzen, bis der Bescheid allen davon materiell Betroffenen bekanntgegeben worden ist. Die Nachholung einer unterbliebenen Bekanntgabe im Klageverfahren ist im Regelfall erforderlich, um mehrfache und widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden. Ein in einem gegen einen Feststellungsbescheid gerichteten Klageverfahren ergehendes Urteil kann keine Bindungswirkung gegenüber Gesellschaftern erzeugen, denen der Bescheid nicht bekanntgegeben wurde. Ein solches Ergebnis kann auch nicht etwa durch eine erstmalige Beiladung im Klageverfahren vermieden werden. Zwar würde ein nach der Beiladung ergehendes Urteil mit Eintritt der Rechtskraft Bindungswirkung (§ 110 Abs. 1 Satz 1 FGO) gegenüber dem Beigeladenen erzeugen können. Aus Rechtsgründen kann es jedoch nicht zugelassen werden, daß einem Beteiligten ein Verwaltungsakt erstmals durch ein rechtskräftiges Urteil zur Geltung gebracht wird (vgl. BFH-Urteile vom 25. November 1987 II R 36/86, BFH/NV 1989, 208; vom 20. Juni 1989 VIII R 366/83, BFH/NV 1990, 208).

3. Das Gebot, ein Klageverfahren zwecks Beseitigung eines Bekanntgabemangels analog § 74 FGO auszusetzen, hat allerdings zur Voraussetzung, daß andere Personen, für die der Bescheid eine verbindliche Regelung treffen soll, denen der Bescheid aber nicht bekanntgegeben wurde, vom Ausgang des Rechtsstreits steuerrechtlich berührt sein können. Die verfahrensrechtlich zu gewährleistende Einheitlichkeit der Entscheidung ist nur gefährdet, wenn die im Streitverfahren zu treffende Entscheidung Auswirkungen auf die steuerrechtlichen Verhältnisse anderer Gesellschafter haben kann, denen gegenüber der Bescheid infolge der unterbliebenen Bekanntgabe (noch) keine Geltung hat. Wie bereits ausgeführt, können zwar die Gesellschafter, denen der Bescheid nicht bekanntgegeben wurde, den Bescheid grundsätzlich jederzeit anfechten. Eine erneute Sachentscheidung über eine in dem Bescheid getroffene Regelung können die Gesellschafter jedoch nur erreichen, wenn sie beschwert und damit klagebefugt sind.

4. Im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte einer Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) werden nicht nur die gemeinsam - von allen Gesellschaftern (Mitunternehmern) - erzielten Einkünfte erfaßt. Feststellungen sind vielmehr auch zu treffen, soweit sie nur für einzelne von ihnen Bedeutung haben. Dabei bilden die einzelnen in das nach §§ 179, 180 AO 1977 durchzuführende Feststellungsverfahren einzubeziehenden Besteuerungsgrundlagen selbst den Regelungsgegenstand dieses Verwaltungsakts. Sie können als solche selbständiger Gegenstand eines Klageverfahrens sein (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544). Der Kreis der Gesellschafter, denen der Bescheid nach Aussetzung des Verfahrens bekannt zu geben ist, hängt demzufolge vom Gegenstand des Klageverfahrens ab. Ist z. B. eine ausschließlich den klagenden Gesellschafter angehende Frage im Streit, ist es regelmäßig nicht erforderlich, die Bekanntgabe des Feststellungsbescheides an andere Gesellschafter nachzuholen. Es kommt mithin darauf an, ob sich aus dem Streitverfahren steuerrechtliche Folgerungen für andere Gesellschafter, denen der Feststellungsbescheid nicht bekanntgegeben wurde, ergeben können, weil sich die Höhe ihres Anteils am laufenden Gewinn, ihrer Sonderbetriebseinnahmen oder Sonderbetriebsausgaben oder sonstiger im Zusammenhang mit der Beteiligung stehender Einkünfte ändern kann.

5. Unter Beachtung dieser Grundsätze hätte das FG das Klageverfahren aussetzen und dem FA die Gelegenheit geben müssen, den Feststellungsbescheid der GmbH bekannt zu geben.

a) Der angefochtene Feststellungsbescheid ist zwar der Klägerin und der S, nicht aber der GmbH zugestellt worden. Die GmbH ist auch weder zum Einspruchsverfahren hinzugezogen noch ist ihr die Einspruchsentscheidung zugestellt worden. Die entsprechenden Tatsachen ergeben sich aus den Akten des FA. Die Feststellung konnte der Senat als Revisionsgericht auch selbst treffen, weil der Mangel einer unterbliebenen Aussetzung des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Rdnr. 50).

b) Die GmbH kann von dem Rechtsstreit steuerrechtlich berührt werden. Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin die Anerkennung von Aufwendungen als Sonderbetriebsausgaben erstrebt und ein Streit um die Zuweisung von Sonderbetriebsausgaben häufig ausschließlich den ihren Abzug erstrebenden Gesellschafter angeht. Sollte der zur Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung geleistete Betrag - wie das FG angenommen hat - nicht als Einlage der Klägerin zu behandeln sein, sondern der Klägerin in entsprechender Höhe eine Sonderbetriebsausgabe zuzurechnen sein, würde die an den vom FA in Höhe von . . . DM festgestellten Gewinnanteil der GmbH anknüpfende Körperschaftsteuer entfallen. Die zu einem Aufgabegewinn der Klägerin führende Auflösung ihres um die . . . DM erhöhten negativen Kapitalkontos kann für die GmbH als persönlich haftender Gesellschafterin zusätzlich einen Verlust begründen. Bei dem Wegfall des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten ergibt sich in Höhe dieses Kontos ein steuerpflichtiger Gewinn des Kommanditisten und für die persönlich haftenden Gesellschafter sowie die übrigen Kommanditisten bis zum Betrag ihrer Kapitaleinlage und ihrer noch rückständigen Einlagen ein entsprechender Verlust (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164).

c) Der vom FA für die GmbH festgestellte Gewinnanteil kann auch in dem von der Klägerin betriebenen Klageverfahren abgeändert werden. Ein Verstoß gegen das Verbot, über den Klageantrag hinauszugehen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), kann sich nicht ergeben. Zwar erstrebt die Klägerin lediglich die Zuschreibung von Sonderbetriebsausgaben. Das schließt jedoch nicht aus, daß die dem Klagebegehren entsprechende Beurteilung des umstrittenen Geschäftsvorfalls Auswirkungen auf die in dem angefochtenen Bescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen anderer Beteiligter haben und dies auch durch Urteil ausgesprochen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 222/84, BFHE 149, 149 zu 5., BStBl II 1987, 553, 557). Der Durchführung eines Gewinnfeststellungsverfahrens liegt das Gebot zugrunde, einen Geschäftsvorfall für und gegen alle an ihm Beteiligten einheitlich zu beurteilen. Dieses Gebot wird durch die Bindung der Gerichte an das Klagebegehren und damit an den Klageantrag nicht berührt.

d) Auf die Bekanntgabe des Bescheides an die GmbH kann nicht etwa im Hinblick auf ihre Auflösung und Löschung im Handelsregister verzichtet werden. Sie ist steuerrechtlich nach wie vor existent. Nach ständiger Rechtsprechung wird eine aufgelöste und im Handelregister gelöschte GmbH in jedem Falle als fortbestehend angesehen, solange sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat. Dafür genügt es, daß sie an einem Rechtsmittelverfahren beteiligt werden kann und sich in diesem Verfahren das steuerliche Ergebnis für sie ändern kann (z. B. BFH-Urteile vom 26. März 1980 I R 111/79, BFHE 130, 377, BStBl II 1980, 587; vom 18. März 1986 VII R 146/81, BFHE 146, 492, BStBl II 1986, 589). Diese Voraussetzungen liegen vor. Je nach dem Ausgang des Klageverfahrens kann sich der Gewinnanteil der GmbH ändern.

6. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat als Revisionsgericht kann das Klageverfahren nicht selbst analog § 74 FGO aussetzen, sondern hat die Sache hierzu an die Vorinstanz gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zurückzuverweisen (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 118 Rdnr. 50 mit weiteren Nachweisen). Sollte die GmbH nach Bekanntgabe des Bescheides keinen Rechtsbehelf einlegen, ist sie vom FG gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beizuladen. Anderenfalls sind die Verfahren zu verbinden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410; in BFH/NV 1990, 208).

 

Fundstellen

Haufe-Index 417286

BFH/NV 1991, 507

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