Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer, Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Arbeitsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Pauschbesteuerung des § 30 EStG verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG und ist deshalb nicht mehr anzuwenden.

 

Normenkette

EStG § 30; AO § 236 Abs. 2 S. 1; GG Art. 3, 19 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Aktien der beschwerdeführenden Aktiengesellschaft befanden sich im Veranlagungszeitraum 1949 im Besitz einer ausländischen Holdinggesellschaft, an die die Beschwerdeführerin (Bfin.) einen Teil ihrer Erzeugnisse lieferte. Die Oberfinanzdirektion war der Auffassung, daß diese Lieferung mit Verlusten verbunden seien, die auf einer ungewöhnlichen Preisgestaltung beruhten, die nur aus der engen Verflechtung mit der ausländischen Gesellschaft erklärt werden könne. Die Oberfinanzdirektion pauschalierte deshalb unter Bezugnahme auf § 30 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die auf das Auslandsgeschäft entfallende Körperschaftsteuer. Die Bfin. war der Auffassung, es widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß die Körperschaftsteuer nach dem Ermessen der Verwaltung nach § 30 EStG schon dann in einem Pauschbetrag festgesetzt werden dürfe, wenn nur die Möglichkeit der Beeinflussung des Gewinns auf Grund von Auslandsbeziehungen bestünde. Das damit geschaffene Sonderrecht für bestimmte Steuerpflichtige sei mit Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) nicht vereinbar. Der in § 236 der Reichsabgabenordnung (AO) vorgesehene Rechtsmittelzug, nämlich der Einspruch bei der Oberfinanzdirektion und die Rechtsbeschwerde gegen deren Einspruchsentscheidung an den Bundesfinanzhof, verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, wonach jedem der Rechtsweg offenstehe, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt werde.

 

Entscheidungsgründe

Der Einspruch blieb erfolglos. Die Rechtsbeschwerde der Bfin. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 30 EStG kann die Oberfinanzdirektion bei Einkünften aus Gewerbebetrieb ohne Rücksicht auf das ausgewiesene Ergebnis die Einkommensteuer nach ihrem Ermessen in einem Pauschsatz festsetzen, wenn besondere unmittelbare oder mittelbare wirtschaftliche Beziehungen zu einer Person, die im Inland entweder nicht oder nur beschränkt steuerpflichtig ist, eine Gewinnminderung ermöglichen. Diese bei der Neufassung des EStG im Jahr 1934 neu geschaffene und seitdem nicht veränderte Vorschrift weicht in bedeutsamen Umfang von § 33 EStG 1925 ab. Während nach § 33 EStG 1925 bei besonderen Vereinbarungen des inländischen Unternehmens mit einem nicht unbeschränkt Steuerpflichtigen der sonst bei Geschäften gleicher oder ähnlicher Art übliche Gewinn angesetzt werden durfte, wenn der ausgewiesene Gewinn in einem offenbaren Mißverhältnis zu diesem Gewinn stand, darf die Oberfinanzdirektion nach § 30 EStG nach ihrem Ermessen unabhängig von dem ausgewiesenen Ergebnis eine Einkommensteuer schon dann in einem Pauschbetrag festsetzen, wenn die Auslandsbeziehungen die bloße Möglichkeit einer Gewinnminderung schaffen. Allerdings hatte bereits der Reichsfinanzhof betont, daß sich die Oberfinanzdirektion mit der Feststellung der bloßen Möglichkeit der Gewinnminderung durch die Auslandsbeziehungen als Voraussetzung der Pauschalierung nicht begnügen dürfe, vielmehr in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens gehalten sei, den Sachverhalt im Zusammenwirken mit dem Steuerpflichtigen soweit als möglich aufzuklären. Erst wenn sich aus dem so ermittelten Sachverhalt nach den Erfahrungen des Lebens die Möglichkeit einer Gewinnminderung durch die Auslandsbeziehungen ergebe, könne die Oberfinanzdirektion im Wege der Schätzung von einer tatsächlichen Gewinnminderung ausgehen und die Steuer entsprechend festsetzen. Es sei dann Sache des Steuerpflichtigen darzutun, daß die Tatsachen, aus denen die Oberfinanzdirektion auf die nach der Lebenserfahrung wahrscheinliche Gewinnminderung schließe, nicht zutreffend seien und daß sie unmöglich zu einer Gewinnminderung führen könnten (Urteil des Reichsfinanzhofs VI 537/38 vom 21. Dezember 1938, RStBl 1939 S. 307).

Mit dieser gegenüber dem Wortlaut des § 30 EStG einschränkenden Bestimmung der Voraussetzungen einer Pauschalierung der Einkommensteuer näherte sich der Reichsfinanzhof den Grundsätzen, die für das allgemeine Schätzungsverfahren im Rahmen des § 217 AO gelten. Der sich aus § 204 AO ergebenden Aufklärungspflicht des Finanzamts steht die Pflicht des Steuerpflichtigen gegenüber, auch seinerseits alles zur Aufklärung des Sachverhalts Erforderliche zu tun (Urteile des Bundesfinanzhofs III 81/54 U vom 25. März 1955 III S. 133, Slg. Bd. 60 S. 350, und V z 183/54 S vom 7. Dezember 1955, BStBl 1956 III S. 75, Slg. Bd. 62 S. 201). Je schwieriger es für das Finanzamt ist, die für die Besteuerung maßgebenden Grundlagen einwandfrei festzustellen, um so strengere Anforderungen müssen an die Darlegungspflicht des Steuerpflichtigen gestellt werden, wenn diese Anforderungen im Rahmen des ihm Zumutbaren bleiben. Es liegt in der Natur der Sache, daß der Ermittlung des Finanzamts insbesondere dann enge Grenzen gezogen sind, wenn Verhältnisse und Beziehungen des Steuerpflichtigen zum Ausland vorliegen und die Möglichkeit besteht, daß durch solche Beziehungen der der inländischen Steuer unterliegende Gewinn beeinflußt worden ist. Hier geht deshalb die Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Sachaufklärung grundsätzlich weiter, als bei der Pflicht zur Darlegung seiner inländischen Geschäftsbeziehungen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 456/33 vom 17. Juli 1934, RStBl 1935 S. 306). Lassen sich die Beziehungen zum Ausland nicht einwandfrei ermitteln, so bleibt dem Finanzamt nichts anderes übrig, als nach pflichtgemäßen Ermessen und unter Berücksichtigung aller für die Schätzung bedeutenden Umstände die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen (ß 217 AO).

Bei dieser Bestimmung der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei der Aufklärung des Sachverhalts und bei dieser Abgrenzung der Möglichkeit, die Besteuerungsgrundlagen nach § 217 AO zu schätzen, kann das bloße Bestehen wirtschaftlicher Beziehungen zum Ausland keine völlig andere Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen rechtfertigen. Es ist mit den sich aus Art. 3 GG ergebenden Grundsätzen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und der geichmäßigen Behandlung aller Steuerpflichtigen nicht vereinbar, die bloße Möglichkeit einer Gewinnminderung durch Auslandsbeziehungen zur alleinigen Voraussetzung der Festsetzung einer Pauschsteuer unabhängig davon zu machen, welche Gewinnminderung tatsächlich eintrat und welcher Gesamtgewinn tatsächlich erzielt wurde. Man muß vielmehr in Fortentwicklung der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs davon ausgehen, daß das Bestehen von Auslandsbeziehungen den allgemeinen Grundsatz des Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerrechts nicht ändern darf, daß nur der tatsächliche, eventuell geschätzte Gewinn der Besteuerung zu unterwerfen ist.

Müssen demnach die Voraussetzungen einer Pauschbesteuerung nach § 30 EStG aus rechtsstaatlichen Gründen und aus Gründen der geichmäßigen Behandlung aller Steuerpflichtigen in dem bezeichneten Sinne abgegrenzt werden, so beschränkt sich die Bedeutung des § 30 EStG darauf, daß das normale Veranlagungsverfahren nicht von dem Finanzamt, sondern von der Oberfinanzdirektion durchgeführt wird und daß nicht der Gewinn, sondern die Steuer selbst im Wege der Schätzung festgesetzt wird. Wenn dabei die Steuer nach Schätzung des Gewinns als Besteuerungsgrundlage unter Berücksichtigung der jeweils geltenden Tarifvorschriften ermittelt wird, so bestehen gegen den bestehenbleibenden Inhalt des § 30 EStG, daß nämlich die Oberfinanzdirektion für die Besteuerung zuständig ist, aus rechtsstaatlichen Erwägungen keine Bedenken. Denn der Steuerpflichtige ist nicht dadurch benachteiligt, daß an die Stelle des Finanzamts die Oberfinanzdirektion als Veranlagungsbehörde tritt. Trotzdem erscheint es aus den folgenden Gründen nicht nur zweckmäßig, sondern erforderlich, § 30 EStG in vollem Umfang nicht mehr anzuwenden, weil er seinem wesentlichen Inhalt nach gegen die Grundsätze der rechtsstaatlichen Ordnung verstößt und durch die Verhältnisse überholt ist.

Bei der Würdigung des § 30 EStG und der mit ihm verfolgen Zwecke des Gesetzgebers des Jahres 1934 darf die Gestaltung des Rechtswegs dieser Pauschalierung nicht außer Betracht bleiben. Geht man bei der Betrachtung dieses Rechtswegs zunächst von der allerdings beschränkten Gültigkeit des § 30 EStG aus, so ergibt sich folgendes:

Gegen eine auf § 30 EStG beruhende Pauschalierung ist der Einspruch gegeben, über den der Oberfinanzpräsident entscheidet. Gegen dessen Einspruchsentscheidung kann der Steuerpflichtige nach § 236 Abs. 2 AO in der gleichen Weise wie gegen Zollauskünfte die Rechtsbeschwerde beim Bundesfinanzhof einlegen. Da die Rechtsbeschwerde, abgesehen von der Rüge wesentlicher Verfahrensmängel, nur darauf gestützt werden kann, daß die angefochtene Entscheidung auf Nichtanwendung oder unrichtiger Anwendung des bestehenden Rechts oder auf einem Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten beruht (ß 288 AO), ist, wenn man von dem Wortlaut dieser Vorschriften ausgeht, dem Bundesfinanzhof eine eigene tatsächliche Würdigung des Sachverhalts untersagt (so Urteil des Reichsfinanzhofs I 217/40 vom 26. November 1940, RStBl 1941 S. 10). Ein solches Ergebnis ist indessen mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar. Die Pauschalierung der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer nach § 30 EStG stellt einen Verwaltungsakt dar, der weit in die privaten Rechte des Steuerpflichtigen eingreift. Es steht ihm deshalb nach Art. 19 Abs. 4 GG unabhängig von dem in der AO vorgesehenen Rechtsmittelzug der Rechtsweg bei den Steuergerichten offen (vgl. Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr. S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277). Der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebende Rechtsmittelweg kann durch die AO nicht eingeschränkt werden. Der Begriff des Rechtsmittelweges erfordert mindestens eine gerichtliche Instanz, die zur Nachprüfung auch in tatsächlicher Hinsicht berufen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs II 130/57 U vom 18. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 136, Slg. Bd. 66 S. 356). Daraus ergibt sich, daß die Entscheidung des Reichsfinanzhofs I 217/40 nicht aufrechterhalten werden kann und daß entweder der im Rechtsbeschwerdeverfahren angerufene Bundesfinanzhof entgegen der Vorschrift des § 288 AO zur überprüfung der angefochtenen Einspruchsentscheidung auch in tatsächlicher Hinsicht für befugt und verpflichtet gelten muß oder daß die Berufung an das Finanzgericht das zunächst gegen die Einspruchsentscheidung zulässige Rechtsmittel darstellt und daß erst gegen die Entscheidung des Finanzgerichts die Rechtsbeschwerde an den Bundesfinanzhof zulässig ist. Der V. Senat des Bundesfinanzhofs hat sich, obwohl auch er die Zweckmäßigkeit eines zweistufigen Rechtsmittelverfahrens anerkennt (Urteil des Bundesfinanzhofs V z 24/52 S vom 28. Mai 1953, BStBl 1953 III S. 272, Slg. Bd. 57 S. 714), bei der Anfechtung von Zollauskünften, für die die AO in § 236 den gleichen Rechtsmittelzug wie gegen die Pauschbesteuerung nach § 30 EStG vorsieht, nur wegen der besonderen Verhältnisse und wegen des drohenden Stillstands der Rechtspflege für die zuerst genannte Möglichkeit entschieden (Urteile des Bundesfinanzhofs V z 75/54 S vom 25. November 1954, BStBl 1955 III S. 66, Slg. Bd. 60 S. 173; V z 134/55 S vom 15. März 1956, BStBl 1956 III S. 157, Slg. Bd. 62 S. 423; V z 164/55 S vom 26. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 313, Slg. Bd. 63 S. 303).

Bei der Pauschbesteuerung nach § 30 EStG liegen solche besonderen Verhältnisse nicht vor. Wenn der im Gesetz geregelte Rechtsmittelzug mit den sich aus § 19 Abs. 4 GG ergebenden Grundsätzen nicht vereinbar ist, also durch Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG ein dieser Vorschrift entsprechender Rechtsmittelzug vorgesehen werden muß, so erfordern rechtsstaatliche Gesichtspunkte grundsätzlich die Schaffung eines zweistufigen Rechtsweges. Zwar ist der einstufige Rechtsmittelweg unserer Rechtsordnung in besonderen Fällen bekannt. Ein solcher Sonderfall liegt aber bei der Pauschbesteuerung in § 30 EStG nicht vor und es ist nicht einzusehen, warum dem Steuerpflichtigen, der bestimmte Beziehungen zum Ausland unterhält, nur eine gerichtliche Instanz zugestanden werden soll. Das muß insbesondere deshalb gelten, weil dem Ermessen der Behörde bei der Anwendung des § 30 EStG ein besonders weiter Spielraum eingeräumt ist und deshalb die tatsächlichen Feststellungen der Behörde für die Höhe der Pauschsteuer von besonderer Bedeutung sind. Es darf auch nicht außer Betracht gelassen werden, daß die oberen Bundesgerichte nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nur über Rechtsfragen als Revisionsinstanz zu entscheiden haben und daß das dem Steuerpflichtigen durch Art. 103 GG gewährleistete rechtliche Gehör vor dem zuständigen Gericht stark eingeschränkt würde, wenn sich der Bundesfinanzhof zur einzigen Tatsacheninstanz in einem Besteuerungsverfahren erklärte. Es muß deshalb nach Möglichkeit als Tatsacheninstanz ein Gericht bestimmt werden, das für den Steuerpflichtigen leicht erreichbar ist und ihm die persönliche Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung besser ermöglicht.

Da die Beschränkung des Rechtswegs bei der Pauschalbesteuerung einen wesentlichen Bestandteil der von dem Gesetzgeber des Jahres 1934 beabsichtigten Gestaltung der Besteuerung bei Auslandsbeziehungen darstellte und da § 30 EStG ohnehin nicht so angewendet werden darf, wie es sich aus seinem Wortlaut ergeben würde, erscheint es weder zweckmäßig noch gerechtfertigt, den dann noch bestehenbleibenden und aus rechtsstaatlichen Erwägungen unbedenklichen Inhalt des § 30 EStG aufrechtzuerhalten. Das gilt um so mehr, als nur der tatsächlich erzielte und eventuell geschätzte Gesamtgewinn der Besteuerung zugrunde gelegt werden darf und die Pauschsteuer durch Anwendung der jeweils geltenden Tarifvorschriften auf den geschätzten Gesamtgewinn ermittelt werden muß. Ein solches Verfahren stößt aber bei der einheitlichen Gewinnfeststellung auf kaum überwindbare Schwierigkeiten, so daß die Pauschbesteuerung bei der einheitlichen Gewinnfeststellung zur Verminderung dieser Schwierigkeiten auf die Pauschalierung des Gewinns beschränkt werden müßte.

Der Senat kommt somit zu dem Ergebnis, daß § 30 EStG nicht mehr angewendet werden kann und daß das zuständige Finanzamt die Veranlagung der Bfin. nach den für alle Steuerpflichtigen geltenden Grundsätzen durchzuführen hat. Die Befugnis zur Nichtanwendung dieser Vorschrift ergibt sich daraus, daß sie vor Inkrafttreten des GG verkündet wurde und der Bundesgesetzgeber die Frage der Pauschbesteuerung nach diesem Zeitpunkt nicht mehr erörterte (Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 21/51 vom 24. Februar 1953, Slg. Bd. 2 S. 124, 128, und Beschluß 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957, Slg. Bd. 6 S. 56, 64).

 

Fundstellen

Haufe-Index 409351

BStBl III 1959, 233

BFHE 1959, 611

BFHE 68, 611

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