Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen Lieferungen eines Westberliner Unternehmers an eine Betriebstätte eines Westberliner Unternehmers im Bundesgebiet von der Umsatzsteuer befreit sind.

 

Normenkette

BHG § 7 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Ziff. 2, § 5/2/2; BHG Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin (Bfin.), ein Westberliner Unternehmer, im Veranlagungszeitraum 1954 die Steuervergünstigung des § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) in der Fassung vom 9. September 1952 (BHG) in Anspruch nehmen kann. Das Finanzamt hat die streitigen Umsätze auf Grund einer Betriebsprüfung als steuerpflichtig angesehen, weil es sich nicht um Lieferungen an einen Unternehmer im Bundesgebiet im Sinne des § 4 Abs. 1 Ziff. 2 BHG gehandelt habe (Betriebstätte eines Westberliner Unternehmers im Bundesgebiet). Der Betriebsprüfungsbericht hat hierzu festgestellt, daß die Waren nicht von der Zweigstelle im Bundesgebiet, sondern von der Berliner Zentrale bestellt worden seien. Der jeweiligen Bestellung habe eine Aufstellung beigelegen, aus der ersichtlich gewesen sei, welcher Teil der Lieferung an die Zentrale in Berlin und welcher Teil unmittelbar an die Filiale im Bundesgebiet geschickt werden solle. Zahlung für alle Waren habe die Berliner Zentrale geleistet. Eine Angestellte der Bfin. hat dem Betriebsprüfer alle gewünschten Auskünfte erteilt und u. a. angegeben, daß die Zweigstelle im Bundesgebiet keine eigene Leitung oder Buchführung habe.

 

Entscheidungsgründe

Im Berufungsverfahren hatte die Bfin., die die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 BHG als erfüllt ansieht, keinen Erfolg. Auch ihre Rechtsbeschwerde (Rb.) ist unbegründet.

Umsätze eines Westberliner Unternehmers sind nach § 7 Abs. 1 BHG von der Umsatzsteuer befreit, wenn ihnen Lieferungen an einen Unternehmer im Bundesgebiet (ß 4 Abs. 1 BHG) zugrunde liegen. Die Steuerfreiheit hat jedoch u. a. zur weiteren Voraussetzung, daß der Unternehmer das Umsatzgeschäft, das seiner Lieferung zugrunde liegt, mit einem Unternehmer im Bundesgebiet abgeschlossen hat (ß 7 Abs. 1 Ziff. 1c BHG). Für den "Unternehmer im Bundesgebiet" gibt § 4 BHG eine Begriffsbestimmung, die durch Art. I § 1 Ziff. 6 und Art. II des Dritten Gesetzes zur änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) vom 30. Juli 1952 (Bundesgesetzblatt - BGBl - I S. 390, Bundessteuerblatt - BStBl - I S. 622) mit Wirkung ab 1. August 1952 ausgedehnt ist auf eine im Bundesgebiet gelegene Betriebstätte eines Westberliner Unternehmers, soweit sie im eigenen Namen von einem anderen Westberliner Unternehmer nach § 3 Gegenstände erwirbt (ß 4 Abs. 1 Ziff. 2 BHG).

Nach dem Grundsatz der Unternehmenseinheit liegt ein einheitliches Unternehmen stets vor, wenn ein Unternehmer mehrere Betriebe unterhält. Ohne die ausdrückliche Bestimmung des § 4 Abs. 1 Ziff. 2 BHG könnte also eine im Bundesgebiet gelegene Betriebstätte eines Westberliner Unternehmers niemals als Unternehmer im Bundesgebiet gelten. Zum Verständnis der näheren Voraussetzungen, unter denen eine solche Betriebstätte als "Unternehmer im Bundesgebiet" anzusehen ist, muß neben § 4 Abs. 1 Ziff. 2 BHG auch § 7 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c a. a. O. herangezogen werden. Hiernach kommt die Anerkennung nur in Betracht, wenn die Betriebstätte im Bundesgebiet die Waren nicht nur "im eigenen Namen" erworben hat, sondern nur dann, wenn auch das der Lieferung zugrunde liegende Umsatzgeschäft mit ihr abgeschlossen ist. Dies kann, wenn diese Voraussetzungen einen Sinn haben sollen, nur bedeuten, daß die Betriebstätte im Bundesgebiet die Ware selbst für sich bestellen muß. Auch wird man verlangen müssen, daß der Buchnachweis (§§ 8 ff. a. a. O.) so beschaffen ist, als ob die Betriebstätte dem Westberliner Unternehmer (Bfin.) gegenüber wie ein selbständiger Unternehmer aufgetreten sei. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts liegen im Streitfalle diese Voraussetzungen nicht vor.

Die Rb. meint, daß damit ein bürgerlich-rechtlich unmögliches Verlangen gestellt würde, weil der Filialleiter nach bürgerlichem Recht im Rahmen seiner Prokura oder Handlungsvollmacht immer nur für sein Mutterhaus, niemals aber im eigenen Namen die an die Filiale gelieferten Waren erwerben könne. Dies ist sicherlich zutreffend, und die Rb. verkennt auch nicht, daß die in den §§ 4, 7 BHG aufgestellten Voraussetzungen deshalb nach steuerlichen Gesichtspunkten ausgelegt werden müssen. Eine solche Auslegung stützt aber nicht die Auffassung der Rb.

Betriebstätten oder Filialen eines Mutterhauses können nach bürgerlichem Recht mit mehr oder weniger Selbständigkeit ausgestattet sein. Es ist auch bürgerlich-rechtlich denkbar, daß der Filialleiter unmittelbar für seine Filiale Waren bestellt und hierüber Rechnungen empfängt und bezahlt. Daß auch bei einem solchen Auftreten letzten Endes das Mutterhaus bürgerlich-rechtlich berechtigt und verpflichtet wird, ist angesichts der steuerlichen Regelung, die nicht anders auch im Falle des § 24 Abs. 1 Ziff. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsbestimmungen (UStDB) 1951 getroffen ist (vgl. Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz 6. Aufl. Tz. 954), ohne Bedeutung. Denn der Sinn dieser steuerlichen Regelung, die Filialen nicht schlechthin einem selbständigen Unternehmer gleichstellt, liegt darin, daß bei einem solchen selbständigen Auftreten und einem dementsprechenden Buchführungs- und Rechnungswerk eine einwandfreie Nachprüfung aller Voraussetzungen des § 7 BHG, gegebenenfalls des § 3 BHG unter allen Umständen gewährleistet ist. Wenn die Bfin. ausführt, es müsse genügen, daß die Berliner Zentrale als zumindest stillschweigend Bevollmächtigte ihrer bürgerlich-rechtlich zwar unselbständigen, aber steuerrechtlich als Rechtssubjekt in Betracht kommenden Filiale für diese die Waren bestellt habe, so ist dies rechtlich nicht haltbar; denn träfe diese Auffassung zu, so wäre im § 4 Abs. 1 Ziff. 2 BHG - nicht anders als im § 24 Abs. 1 Ziff. 2 UStDB 1951 - jeder Zusatz überflüssig; der Gesetzgeber hätte dann die Betriebstätten eines Westberliner Unternehmers im Bundesgebiet generell als Unternehmer im Bundesgebiet bezeichnen können, nicht aber verlangt, daß sie "im eigenen Namen" erwerben und das Umsatzgeschäft im eigenen Namen abschließen.

Die Bfin. rügt einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten insofern, als sie in der Berufungsinstanz in mündlicher Verhandlung vorgetragen haben will, daß die Filiale des öfteren fernmündlich Waren bestellt und über Warenlieferungen verhandelt habe. Ihr Schriftsatz vom 29. November 1955 - nicht an das Berufungsgericht gerichtet - ist nicht bei den Akten. Ein Verstoß gegen den Akteninhalt ist deshalb nicht feststellbar. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieses Vorbringen in der mündlichen Verhandlung gegebenenfalls hätte zur Niederschrift aufgenommen werden müssen; denn nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des Betriebsprüfers sind jedenfalls die für die Filiale bestimmten Waren schriftlich durchweg durch die Westberliner Zentrale bestellt worden. Hierauf kommt es nach den obigen Rechtsausführungen entscheidend an. Wenn die Bfin. überdies für ihre Sendungen an die Zentrale und an die Filiale im Bundesgebiet ihrerseits (entsprechend der von der Zentrale beigefügten Aufstellung) getrennte Rechnungen ausgestellt hat, so brauchte die Vorentscheidung hierauf nicht besonders einzugehen, weil sich die rechtliche Beurteilung dadurch nicht ändert.

Für die Entscheidung des Streitfalles kommt es vielmehr darauf an, daß die Betriebstätte im Bundesgebiet - wie die Vorinstanz ohne Rechtsirrtum oder Aktenverstoß und damit für den Senat bindend aus den Angaben der Angestellten der Bfin. gegenüber dem Betriebsprüfer geschlossen hat - nicht das im § 4 BHG vorausgesetzte Maß an Selbständigkeit besessen hat. Die Filiale hat insbesondere nicht die Ware selbst bestellt, das Umsatzgeschäft nicht im eigenen Namen abgeschlossen. Das im Gesetz geforderte Handeln "im eigenen Namen" ist, wie der Beschwerdegegner mit Recht hervorhebt, nicht im Gegensatz zu einem Handeln im fremden Namen als Agent zu verstehen, sondern im Gegensatz zu einem Handeln im Namen des Gesamtunternehmens; deshalb kann auch nicht ein etwaiges Handeln der Berliner Zentrale (Mutterhaus) für die Filiale im Bundesgebiet deren eigenes Handeln "im eigenen Namen" ersetzen. Wollte man eine solche auf die §§ 164 ff. BGB gestützte Auslegung anerkennen, so würde man angesichts des vom Gesetzgeber gewählten Wortlauts unterstellen, daß sich der Gesetzgeber der bürgerlich-rechtlichen Unselbständigkeit von Betriebstätten nicht bewußt gewesen wäre.

Nach alledem war die Rb. mit der Kostenfolge des § 307 der Reichsabgabenordnung als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl III 1958, 141

BFHE 1958, 370

BFHE 66, 370

StRK, BHG:7 R 8

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