Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines Abrechnungsbescheids

 

Leitsatz (NV)

1. Die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit des als Abrechnungsbescheid bezeichneten Verwaltungsakts sind danach auszurichten, daß eine Klärung der im Einzelfall bestehenden Streitigkeit erreicht wird.

2. Ist streitig, ob ein Steueranspruch verjährt ist, muß im Abrechnungsbescheid der Steueranspruch nach Steuerart, Höhe und Zeitpunkt oder Zeitraum der Entstehung genau angegeben sowie ausdrücklich festgestellt werden, ob der Anspruch verjährt ist.

3. Zum Erfordernis von Angaben über den Grund des Erlöschens eines Steueranspruchs.

 

Normenkette

AO 1977 § 119 Abs. 1, § 218 Abs. 2 S. 1

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) teilte dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) durch Schreiben . . . mit, daß er mit der Zahlung von Umsatzsteuer . . . rückständig sei, und forderte ihn auf, die Rückstände zur Vermeidung von Vollstreckungsmaßnahmen bis zum . . . zu begleichen. Der Kläger wandte dagegen ein, daß die Forderung bereits verjährt sei, weil seit . . . eine verjährungsunterbrechende Handlung nicht mehr vorgenommen worden sei. Auf seinen Antrag erteilte ihm das FA den Abrechnungsbescheid, in dem u. a. ausgeführt ist, das FA stelle fest, daß der Kläger mit Verfügung . . . zur Zahlung der rückständigen Umsatzsteuer . . . aufgefordert worden sei und daß somit mit Ablauf des Kalenderjahres . . . eine neue Verjährungsfrist von fünf Jahren begonnen habe; die beizutreibende Forderung sei deshalb am . . . noch nicht verjährt gewesen. Sodann werden in dem Bescheid die Rückstände an Umsatzsteuer für die Jahre . . . der Höhe nach und unter Angabe der jeweiligen Jahreszahl einzeln aufgeführt. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Die Klage führte zur Aufhebung des Abrechnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung. In den Entscheidungsgründen führt das Finanzgericht (FG) folgendes aus: Der Bescheid und die Einspruchsentscheidung müßten wegen inhaltlicher Mängel aufgehoben werden. Zu dem Ergebnis, daß die Zahlungsaufforderung vom . . . eine Handlung zur Unterbrechung der Verjährung darstelle und deshalb mit Ablauf des Jahres . . . eine neue Verjährungsfrist von fünf Jahren begonnen habe, die dann durch die Zahlungsaufforderung am . . . erneut unterbrochen worden sei, habe das FA unabhängig davon, ob der Einwand des Klägers begründet sei, er habe die Zahlungsaufforderung vom . . . nicht erhalten, nur kommen können, wenn die Umsatzsteuerforderung am . . . noch nicht verjährt gewesen sei. Eine dahingehende Feststellung habe das FA weder im Abrechnungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung getroffen. Anlaß dazu habe jedoch bestanden. Ebenso wie zum notwendigen Inhalt eines Abrechnungsbescheids und der sich anschließenden Rechtsbehelfsentscheidung die Darlegung gehöre, wodurch eine Zahlungsverpflichtung erloschen sei, wäre im Streitfall die Feststellung erforderlich gewesen, daß die Umsatzsteuerforderung im Jahre . . . noch nicht durch Verjährung erloschen gewesen sei.

Anhand des Abrechnungsbescheids lasse sich auch nicht prüfen, inwieweit das FA zu Recht vom Kläger noch etwas verlange und worauf spätere Zahlungen des Klägers oder eines Dritten anzurechnen seien. Dem Abrechnungsbescheid sei auch nicht zu entnehmen, daß es sich bei der ausgewiesenen Umsatzsteuerforderung . . . um rückständige Vorauszahlungen handele.

Das FA erhalte durch die Aufhebung des Abrechnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung Gelegenheit, die Frage der Zahlungsverjährung nochmals zu prüfen.

Das FA begründet seine Revision wie folgt:

Die Auffassung des FG, das FA habe im Abrechnungsbescheid feststellen müssen, daß die geltend gemachten Umsatzsteuerforderungen im Jahre . . . noch nicht durch Verjährung erloschen gewesen seien, werde durch das Gesetz (§ 218 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht gedeckt. Zwischen den Beteiligten hätten Meinungsverschiedenheiten über die Frage bestanden, ob die Umsatzsteuerforderungen im Jahre . . . verjährt gewesen seien. Im Gegensatz zum FA habe der Kläger dazu die Auffassung vertreten, daß eine verjährungsunterbrechende Handlung im Jahre . . . nicht vorgenommen worden sei. Wegen dieser Streitfrage habe das FA einen Abrechnungsbescheid erlassen. Dabei sei es davon ausgegangen, daß der Kläger mit Schreiben des FA vom . . . gemahnt worden sei und sich damit der Ablauf der Verjährungsfrist auf den . . . verschoben habe. Diese allein streitige Frage habe das FG nicht entschieden. Es habe selbst die Feststellung treffen müssen, ob im Jahre . . . Zahlungsverjährung eingetreten sei. Für eine Anwendung des § 100 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) fehlten die Voraussetzungen. Eine weitere Aufgliederung und genaue Darstellung der Berechnung der rückständigen Umsatzsteuer im Abrechnungsbescheid sei nicht erforderlich gewesen. Die bloße Aufhebung des Abrechnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung ohne Entscheidung in der Sache selbst sei unter keinem verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich zur Revision nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG ist nicht ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß der Abrechnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben seien. Der Auffassung des FG, daß der Abrechnungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung inhaltliche Mängel enthalte und schon deshalb rechtswidrig sei, kann aufgrund der Feststellungen des FG nicht gefolgt werden.

1. Nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ist über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus Steuerschuldverhältnissen betreffen, durch einen Verwaltungsakt zu entscheiden, der in Anlehnung an die frühere Regelung in § 125 der Reichsabgabenordnung (AO) allgemein als Abrechnungsbescheid bezeichnet wird. Sinn und Zweck dieses Bescheids besteht erkennbar darin, über eine Streitigkeit zwischen Schuldner und Gläubiger (Finanzbehörde), die die Verwirklichung von Steueransprüchen betrifft, eine für die Beteiligten verbindliche Klärung zu schaffen (vgl. v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 218 AO 1977 Anm. 7). Die Anforderungen an die nach § 119 AO 1977 erforderliche inhaltliche Bestimmtheit des Verwaltungsakts sind demgemäß danach auszurichten, daß die Klärung der im Einzelfall bestehenden Streitigkeit erreicht wird.

Zu den Streitigkeiten über die Verwirklichung von Ansprüchen aus Steuerschuldverhältnissen gehören diejenigen über das Erlöschen von Zahlungsansprüchen aus Steuerschuldverhältnissen und damit auch eine Streitigkeit über die Verjährung eines Steueranspruchs (vgl. Urteil des Senats vom 22. Juli 1986 VII R 10/82, BFHE 147, 117, BStBl II 1986, 776). Der Ausspruch der Finanzbehörde über die Streitigkeit, ob ein Steueranspruch verjährt ist, hat feststellende Wirkung. Das Erfordernis der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit nach § 119 Abs. 1 AO 1977 erfüllt die feststellende Entscheidung grundsätzlich dann, wenn aus ihr ersichtlich ist, welchen Steueranspruch sie zum Gegenstand hat, und wenn sie außerdem einen klaren und eindeutigen Ausspruch darüber enthält, ob dieser Anspruch verjährt ist oder nicht. Demgemäß ist als Inhalt eines Abrechnungsbescheids über die Frage, ob ein Steueranspruch verjährt ist, in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die genaue Angabe des Steueranspruchs nach Steuerart, Betrag (Höhe) und Jahr (Zeitpunkt oder Zeitraum der Entstehung) sowie die Feststellung darüber gefordert worden, ob er verjährt ist oder nicht (vgl. Urteile des Senats vom 8. Juni 1966 VII 293/64, BFHE 86, 409, BStBl III 1966, 563, und vom 1. August 1979 VII R 115/76, BFHE 128, 251, BStBl II 1979, 714).

Diesen Anforderungen wird der streitbefangene Abrechnungsbescheid gerecht. Darin sind unter Angabe von Steuerart, Steuerbetrag und Jahr die Steueransprüche genau bezeichnet, über deren Verjährung Streit besteht. Außerdem wird festgestellt, daß die streitige Verjährung nicht eingetreten sei.

2. In dem Urteil des Senats vom 27. März 1968 VII 306/64 (BFHE 92, 160, BStBl II 1968, 501) wird allerdings ausgeführt, daß im Abrechnungsbescheid auch zu entscheiden sei, wodurch das Erlöschen der Zahlungsverpflichtung eingetreten sei, was in dem Rechtsstreit, der diesem Urteil zugrunde lag, streitig war. In dem Urteil des Senats in BFHE 86, 409, BStBl III 1966, 563 ist außerdem beanstandet worden, daß der Abrechnungsbescheid keine ausdrückliche Feststellung darüber enthalten habe, weshalb die Verjährung nicht mehr geltend gemacht werden könne. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die in diesen Entscheidungen geforderten Angaben zur inhaltlichen Bestimmtheit des Abrechnungsbescheids erforderlich sind oder ob sie nicht allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer hinreichenden Begründung des Abrechnungsbescheids nach den §§ 121, 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 AO 1977 Bedeutung erlangen können. Auch wenn der Senat in Anlehnung an diese Entscheidungen davon ausgeht, daß der Abrechnungsbescheid zur hinreichenden Bestimmtheit über die vorgenannten Erfordernisse hinaus auch noch nähere Angaben über den Grund des Erlöschens oder Nichterlöschens enthalten muß, kann der Abrechnungsbescheid auch in dieser Hinsicht nicht als inhaltlich unzureichend bestimmt angesehen werden. Denn abgesehen davon, daß der Abrechnungsbescheid mit der Verneinung der Verjährung bereits Angaben über den streitigen Erlöschensgrund enthält, ist in ihm auch ausdrücklich vermerkt, daß durch die bezeichnete Zahlungsaufforderung eine neue Verjährungsfrist begonnen habe. Darin kommt hinreichend bestimmt zum Ausdruck, daß die im Abrechnungsbescheid bezeichnete Zahlungsaufforderung die Verjährung verhindert haben soll.

Der Auffassung des FG, diese Angabe reiche deshalb nicht aus, weil dadurch nicht festgestellt worden sei, daß die Steueransprüche auch im Zeitpunkt der im Abrechnungsbescheid bezeichneten Zahlungsaufforderung noch nicht verjährt gewesen seien, kann nicht gefolgt werden. Sie führt unabhängig von der Frage, welche Angaben zur hinreichenden Bestimmtheit und welche zur Begründung des Abrechnungsbescheids erforderlich sind, in jedem Fall zu einem Ergebnis, das mit dem dargelegten Sinn und Zweck des Abrechnungsbescheids, über die diesem zugrunde liegende Streitigkeit eine für den Kläger und das FA verbindliche Klärung zu schaffen, nicht mehr vereinbar ist.

Danach muß der Abrechnungsbescheid die Angaben enthalten, die erforderlich sind, um die im Einzelfall bestehende Streitigkeit, also die konkrete Streitfrage zu klären. Es ist also ausreichend, daß der Abrechnungsbescheid Angaben enthält, denen eine klare Aussage über die konkrete Streitfrage entnommen werden kann. Gehören dazu auch Angaben darüber, weshalb ein Steueranspruch nicht verjährt sein soll, so können Angaben zur Frage der Verjährung einschließlich der dafür maßgebenden Gründe über den konkreten Streit hinaus nicht gefordert werden. Hinsichtlich des Grundes der Verjährung war zwischen den Beteiligten aber nur die Frage streitig, ob durch die im Abrechnungsbescheid bezeichnete Zahlungsaufforderung eine neue Verjährungsfrist begonnen hatte. Allenfalls diese Frage war in die Entscheidung durch den Abrechnungsbescheid und in deren Begründung einzubeziehen.

3. Auch die Beanstandung des FG, dem Abrechnungsbescheid lasse sich nicht entnehmen, inwieweit das FA vom Kläger zu Recht noch etwas verlange und worauf spätere Zahlungen des Klägers oder eines Dritten anzurechnen seien, ist deshalb nicht gerechtfertigt, weil über diese Fragen zwischen den Beteiligten kein Streit bestanden hat.

Entsprechendes gilt für die Beanstandung des FG, dem Abrechnungsbescheid sei auch nicht zu entnehmen, daß es sich bei der ausgewiesenen Umsatzsteuerforderung . . . um rückständige Vorauszahlungen handele.

4. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob die streitbefangenen Steueransprüche entgegen der Feststellung im angefochtenen Abrechnungsbescheid verjährt waren. Da schon aus diesem Grunde eine erneute Entscheidung des FG erforderlich und die Sache deshalb an das FG zurückzuverweisen ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob das FG auch § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO verletzt hat, wie das FA meint.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415875

BFH/NV 1990, 69

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