Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtshandlungen außerhalb eines Gerichtsbezirks

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es besteht weder eine Rechtsnorm noch ein allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz, daß ein FG Sitzungen außerhalb seines Gerichtsbezirks nur in dem Gebiet des Landes der Bundesrepublik abhalten dürfte, dem es angehört.

2. Amtshandlungen außerhalb des Gerichtsbezirks bedürfen grundsätzlich der Zustimmung des örtlich zuständigen FG. Die Verletzung dieser Vorschrift begründet jedoch keinen Mangel des gerichtlichen Verfahrens, weil diese Zustimmung ein Akt richterlicher Justizverwaltung ist, der nur der äußeren Ordnung dient.

 

Normenkette

FGO § 91 Abs. 3; GVG § 166 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 25.01.1977; Aktenzeichen 2 BvR 846/76)

 

Tatbestand

Das FA forderte von der Klägerin für die Jahre 1964 bis 1967 Beförderungsteuer nach. Auf die Klage setzte das Finanzgericht (FG) die Steuerschuld herab; im übrigen wies es die Klage ab.

Die Klägerin rügt, das dem Land Hessen angehörende FG habe nicht in Bad Kissingen, das außerhalb des FG-Bezirks und außerhalb des Landes Hessen liege, Zeugen vernehmen, verhandeln und entscheiden dürfen. Es fehle für diese Verfahrensweise nicht nur an der Zustimmung des örtlich zuständigen Amtsgerichts, sondern auch daran, daß das FG sein beabsichtigtes Vergehen dem örtlich zuständigen Gericht angezeigt habe. Die Klägerin sei deshalb nicht in der Lage gewesen, an der Verhandlung teilzunehmen und hätte den vernommenen Zeugen nicht die Vorhaltungen machen können, die ergeben hätten, daß deren Aussagen unwahr seien. Die Entscheidung des FG sei wegen des Verfahrensverstoßes nichtig.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Die Entscheidung des FG ist nicht, wie die Klägerin meint, deshalb nichtig, weil das Hessische FG mit Sitz in Kassel einen Teil der Beweisaufnahme und die mündliche Verhandlung vom 6. November 1973 in Bad Kissingen durchführte.

Nach § 91 Abs. 3 FGO kann das Gericht Sitzungen außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist. Im Streitfall war dies deshalb zweckmäßig, weil die beiden Zeugen auf eine erste Ladung nach Kassel nicht erschienen sind und vorgebracht haben, sie könnten aus beruflichen und gesundheitlichen Gründen Bad Kissingen nicht verlassen. Hinzu kommt, daß die Beförderungsleistungen der Klägerin, die zur Nacherhebung der Beförderungsteuer führten, auch wesentlich im Raum Bad Kissingen ausgeführt wurden. Damit erschien die Beweisaufnahme und Verhandlung in Bad Kissingen sachdienlich.

Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, daß das Gericht nur innerhalb seines Amtsbezirks und keinesfalls außerhalb des Landes eine Sitzung abhalten dürfe, dem es angehört. Eine solche Einschränkung kann aus § 91 Abs. 3 FGO nicht entnommen werden. Aus § 166 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), der entgegen der Meinung der Klägerin auch im finanzgerichtlichen Verfahren anwendbar ist (vgl. § 155 FGO), folgt vielmehr mittelbar, daß die Gerichtsgewalt der Gerichte in der ganzen Bundesrepublik Deutschland wirkt und nicht nur auf den Gerichtsbezirk beschränkt ist. Dies gilt nicht nur für gerichtliche Handlungen, die Gegenstand der Rechtshilfe sein können; denn § 166 GVG spricht von Amtshandlungen schlechthin und umfaßt damit alle gerichtlichen Handlungen (so auch Löwe/Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 22. Aufl., § 166 GVG Anm. 1). Dadurch, daß ein Gericht außerhalb seines Gerichtsbezirks Handlungen in einem, Rechtsstreit vornimmt, für den es örtlich zuständig ist, kann die örtliche Zuständigkeit nicht verletzt werden (so Entscheidung des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 15. Oktober 1968 2 ARs 291/68, BGHSt 22, 250, die den von der Klägerin zitierten Kommentarmeinungen ausdrücklich entgegentritt). Denn das FG hat nicht über den Verwaltungsakt einer Behörde mit Sitz in Bayern, sondern einer Behörde mit Sitz in Hessen verhandelt und entschieden. Entgegen der Meinung der Klägerin ergibt sich somit weder aus einer Rechtsnorm noch aus einem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, daß Sitzungen außerhalb des Gerichtsbezirks nur innerhalb des Landes der Bundesrepublik Deutschland abgehalten werden dürfen, dem das Gericht angehört.

Der Senat stimmt der Klägerin allerdings zu, daß das FG für die Durchführung einer Beweisaufnahme in Bad Kissingen der Zustimmung des FG Nürnberg – und nicht des Amtsgerichts Bad Kissingen – bedurft hätte (§ 155 FGO, § 166 GVG). Ein Verstoß gegen diese Ordnungsvorschrift hat jedoch keinerlei prozessuale Folgen (so Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 33. Aufl., § 166 GVG Anm. 1). Dies ist darin begründet, daß die Zustimmung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 GVG ein Akt ist, der der äußeren Ordnung dient, bei dem der Richter als Organ der Justizverwaltung tätig wird. Aus demselben Grund ist auch das Unterlassen der Anzeige nach § 166 Abs. 1 Satz 2 GVG kein Verfahrensmangel, so daß die Vorentscheidung nicht wegen Verstoßes gegen § 166 Abs. 1 GVG aufgehoben werden kann (so auch Löwe/Rosenberg, a.a.O., § 166 GVG Anm. 1).

Das FG hat das rechtliche Gehör der Klägerin nicht verletzt. Es hat in der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 1973, an der die Klägerin teilnahm, den Beschluß verkündet, daß am 6. November 1973 die Beweisaufnahme und die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung in Bad Kissingen durchgeführt werde. Die Klägerin hätte damit an dieser Sitzung teilnehmen können. Sie kann nicht mit Erfolg einwenden, daß ihr die Teilnahme deshalb nicht möglich gewesen sei, weil die Sitzung außerhalb des Gerichtssitzes stattfand. Die Klägerin hat zwar auf ihren angegriffenen Gesundheitszustand hingewiesen, sie hat jedoch keinen Vertagungsantrag gestellt. Die Verfahrensordnung sieht aber nicht vor, daß eine Verhandlung nach Beweisaufnahme erst dann fortgesetzt werden könnte, wenn der abwesenden Klägerin Gelegenheit gegeben wurde, zu den ihr in Protokollabschrift übersandten Zeugenaussagen Stellung zu nehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1644683

BStBl II 1976, 631

BFHE 119, 228

BFHE 1977, 228

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