Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss des Verlustabzugs gem. § 8 Abs. 4 KStG a.F.

 

Leitsatz (NV)

Aus dem Missbrauchsverhinderungszweck der Regelung des § 8 Abs. 4 KStG a.F., der auf einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung und der Betriebsvermögenszuführung aufbaut, folgt zwar einerseits, dass es auf die steuerrechtliche Qualifikation des zugeführten Betriebsvermögens als Anlage- oder Umlaufvermögen grundsätzlich nicht ankommen kann. Andererseits sind solche Betriebsvermögenszuführungen im Bereich des Umlaufvermögens aus dem Tatbestand auszuklammern, die sich als Ergebnis eines fortlaufenden Wirtschaftens mit dem nämlichen Betriebsvermögen darstellen bzw. sich auf ein nicht die wirtschaftliche Identität des Unternehmens prägendes Umlaufvermögen beziehen.

 

Normenkette

KStG 1999 § 8 Abs. 4 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 15.10.2008; Aktenzeichen 12 K 8367/05 B; EFG 2009, 216)

 

Tatbestand

I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines zum 31. Dezember 2000 festgestellten verbleibenden Verlustabzugs bzw. eines vortragsfähigen Fehlbetrags im Streitjahr 2001 entfallen sind.

Mit Vertrag vom 29. Juni 2000 wurden 90 % des Stammkapitals der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, übertragen. Der Unternehmensgegenstand der Klägerin blieb unverändert. Im Jahr 2001 gewährte ein (Alt-)Gesellschafter der Klägerin ein Darlehen (ca. 35 000 DM). In den Jahresabschlüssen der Klägerin sind folgende Positionen ausgewiesen:

1999

2000

2001

Aktiva

Software

1

1

1

Sachanlagen

12 106

977

13

Rückdeckung Lebensversicherung

107 862

132 521

158 306

unfertige Leistungen

0

0

132 000

Forderungen

19 568

2 704

40 704

Kassenbestand

21 299

14 641

6 862

Rechnungsabgrenzungsposten

2 501

1 131

304

nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag

5 488

40 885

31 120

Summe Aktiva

 168 825

 192 860

 369 310

Passiva

gezeichnetes Kapital

50 000

50 000

50 000

Gewinn-/Verlustvortrag

2 543

./.55 488

./.90 884

Jahresfehlbetrag/-überschuss

./.58 031

./.35 396

9 765

Kapitalfehlbetrag

5 488

40 885

31 120

Sonderposten

1 836

494

0

Pensionsrückstellungen

142 769

170 762

201 216

sonstige Rückstellungen

4 700

4 450

8 738

Erhaltene Anzahlungen

0

0

49 000

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen

400

658

58 843

partiarisches Darlehen

0

0

35 511

sonstige Verbindlichkeiten

19 120

16 495

16 001

Summe Passiva

168 825

192 860

369 310

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -FA-) stellte unter Hinweis darauf, dass der zum 31. Dezember 2000 festgestellte verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer bzw. der festgestellte vortragsfähige Fehlbetrag (§ 10a Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes 1999 --GewStG 1999--) gemäß § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 (KStG 1999), hinsichtlich des Gewerbeverlustes i.V.m. § 10a Satz 4 GewStG 1999, nicht zu berücksichtigen sei, mit Bescheiden zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer und zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Fehlbetrags auf den 31. Dezember 2001 die vortragsfähigen Verluste auf 0 DM fest. Die anschließende Klage führte zur Änderung dieser Bescheide unter Anerkennung eines vortragsfähigen Verlusts (Finanzgericht --FG-- Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Oktober 2008  12 K 8367/05 B, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2009, 216).

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht angenommen, dass der zum 31. Dezember 2000 festgestellte verbleibende Verlustabzug/vortragsfähige Fehlbetrag im Streitjahr nicht gemäß § 8 Abs. 4 KStG 1999 (i.V.m. § 10 Satz 4 GewStG 1999) unberücksichtigt bleiben muss.

1. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 setzt der Verlustabzug nach § 10d des Einkommensteuergesetzes 1997 (EStG 1997) i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1999 bei einer Körperschaft voraus, dass diese nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Die erforderliche wirtschaftliche Identität liegt nach Satz 2 insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Gesellschaft danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wieder aufnimmt. Für die Gewerbesteuer gilt dies gemäß § 10a Satz 4 GewStG 1999 entsprechend.

2. Die Voraussetzungen für den Ausschluss des Verlustabzugs gemäß § 8 Abs. 4 KStG 1999 liegen im Streitfall nicht vor.

a) Ziel des § 8 Abs. 4 KStG 1999 ist es in erster Linie, missbräuchlichen Gestaltungen vorzubeugen und in diesem Zusammenhang vor allem den "Handel" mit vortragsfähigen Verlusten zu unterbinden (z.B. Senatsurteil vom 28. Mai 2008 I R 87/07, BFHE 222, 245). Zu diesem Zweck verlangt das Gesetz die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Voraussetzung für den Verlustabzug gemäß § 10d EStG 1997.

§ 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 definiert die sog. wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft ("insbesondere"), wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Satz 2 des § 8 Abs. 4 KStG 1999 als Regelbeispiel bzw. als Hauptanwendungsfall (so Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 16. April 1999, BStBl I 1999, 455 Tz. 01) setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter ihren Satz 1 zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind (vgl. etwa Senatsurteile vom 5. Juni 2007 I R 9/06, BFHE 218, 207, BStBl II 2008, 988; in BFHE 222, 245).

Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn --erstens-- bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden, --zweitens-- überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und --drittens-- der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird. Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Rechtsperson bestimmt sich damit durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr verfügbares Betriebsvermögen (Senatsurteil in BFHE 222, 245, m.w.N.).

Zur Auslegung des Begriffs des "neuen Betriebsvermögens" in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 hat der Senat in seinem Urteil vom 5. Juni 2007 I R 106/05 (BFHE 218, 195, BStBl II 2008, 986) entschieden, dass dieses Tatbestandsmerkmal nicht darauf abzielt, einer Verlagerung zusätzlichen Ertrags- und damit Verlustverrechnungspotentials in die Gesellschaft zu begegnen. Vielmehr sind jegliche Änderungen der Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftlichen Bedeutung des Betriebsvermögens zu erfassen. Denn diese Änderungen lassen typischerweise darauf schließen, dass bei der Anteilsübertragung letztlich nicht der Geschäftsbetrieb in seiner bisherigen Form erworben werden sollte. Entscheidend ist damit die Nämlichkeit des Betriebsvermögens. Das rechtfertigt es, auf die einzelnen im Betrieb verwendeten Vermögensgegenstände abzustellen (s. insoweit nun auch BMF-Schreiben vom 4. Dezember 2008, BStBl I 2008, 1033, unter I.) und den Begriff des Betriebsvermögens in entsprechender Weise normspezifisch zu verengen.

Nach dem Missbrauchsverhinderungszweck der Regelung ist ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung und der Betriebsvermögenszuführung erforderlich (z.B. Senatsurteile vom 14. März 2006 I R 8/05, BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602; vom 29. April 2008 I R 91/05, BFHE 222, 240). Daraus ist die --durch die quantitative Grenze des "Überwiegens" nicht abgeschnittene-- Notwendigkeit abzuleiten, einzelne Betriebsvermögensmehrungen daraufhin zu untersuchen, ob sie die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft berühren. Dies ist bei Anlagevermögen in aller Regel erfüllt (s. z.B. Senatsurteil in BFHE 218, 195, BStBl II 2008, 986), kann sich aber auch auf Umlaufvermögen beziehen (s. z.B. Senatsurteil in BFHE 218, 207, BStBl II 2008, 988).

b) Nach den zwischen den Beteiligten nicht streitigen und im Revisionsverfahren bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG ist das "Aktivvermögen" der Klägerin (Summe Aktiva abzüglich des Postens "nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag") vom 31. Dezember 2000 (151 975 DM) um 186 215 DM auf 338 190 DM (31. Dezember 2001) angestiegen. Dieser Umstand ist jedoch nicht als "Zuführung neuen Betriebsvermögens" i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 anzusehen.

aa) Das FG hat, was zwischen den Beteiligten im Revisionsverfahren nicht mehr streitig ist, die Veränderung des Postens "Rückdeckung Lebensversicherung" (Erhöhung um 25 785 DM) nicht als tatbestandsrelevante Zuführung neuen Betriebsvermögens gewertet. Dem ist beizupflichten. Die hier streitige und durch die fortlaufende Beitragszahlung bewirkte Aufstockung eines Finanzierungsmittels einer schon vor der Anteilsübertragung zugesagten Altersversorgung weist einen sachlichen Zusammenhang weder mit der Anteilsübertragung noch mit dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Tätigkeit der Kapitalgesellschaft auf.

bb) Der Posten "unfertige Leistungen" (132 000 DM), der den wesentlichen Teil des Anstiegs des Werts des Aktivvermögens ausmacht und der im Streitjahr erstmals ausgewiesen worden ist, ist vom FG in die Vergleichsberechnung ebenfalls nicht einbezogen worden. Das FG hat insoweit auf die "signifikante Erhöhung der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen" verwiesen und daraus abgeleitet, dass die Erhöhung nicht auf einer "Zuführung von außen", sondern auf der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin beruht habe. Wenn eine Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb nach einer Anteilsübertragung in derselben Branche fortsetze, komme eine abweichende Prägung des Betriebsvermögens durch die Veränderung des Umlaufvermögens nicht in Betracht (s. bereits FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Januar 2008  12 K 8403/04 B, EFG 2008, 723, rechtskräftig; im Anschluss an die Vorinstanz ebenso FG Köln, Urteil vom 12. Februar 2009  13 K 787/05, EFG 2009, 967 [Revision anhängig unter Az. I R 27/09]; s. auch FG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 14. Januar 2009  12 K 8489/05 B, EFG 2009, 683, und 12 K 8293/06 B, EFG 2009, 684, jeweils rechtskräftig). Dem ist im Ergebnis ebenfalls beizupflichten.

Aus dem Missbrauchsverhinderungszweck der Regelung, der auf einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung und der Betriebsvermögenszuführung aufbaut, folgt zwar einerseits, dass es auf die steuerrechtliche Qualifikation des zugeführten Betriebsvermögens als Anlage- oder Umlaufvermögen grundsätzlich nicht ankommen kann (s. II.2.a der Gründe). Andererseits sind Vermehrungen des Umlaufvermögens aus dem Tatbestand auszuklammern, die sich als Ergebnis eines fortlaufenden Wirtschaftens mit dem nämlichen Betriebsvermögen darstellen bzw. sich auf ein nicht die wirtschaftliche Identität des Unternehmens prägendes Umlaufvermögen beziehen (s. bereits Gosch, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung 2008, 18; Heger, Juris-PraxisReport Steuerrecht 4/2008 Anm. 5; Stalbold, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 155). Die Würdigung des FG, den Zugang beim Posten "unfertige Leistungen" als Ergebnis eines fortlaufenden Wirtschaftens mit dem nämlichen Betriebsvermögen anzusehen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und damit für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend.

c) Das FA nimmt an, dass jedenfalls die Generalklausel in § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 anzuwenden ist. Eine Erhöhung des Umlaufvermögens führe, sobald sich aus ihr ein "überwiegendes" neues Betriebsvermögen ergebe, auch ohne Branchenwechsel zu einem Verlust der wirtschaftlichen Identität. Dem ist nicht beizupflichten.

Die Forderung nach wirtschaftlicher Identität der Kapitalgesellschaft ist Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Das Merkmal der wirtschaftlichen Identität in § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 ist jedoch mit bestimmten tatbestandlichen Vorgaben verknüpft, die aus dem Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 abzuleiten sind. Zu diesen tatbestandlichen Vorgaben gehört es, dass die Veränderung der wirtschaftlichen Identität als Folge der Nutzung eines der Kapitalgesellschaft "zugeführten" Betriebsvermögens eintritt. Insoweit wird auch in der Literatur hervorgehoben, dass § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 ermöglichen könnte, solche Fälle zu erfassen, in denen eine mit der Zuführung neuen Betriebsvermögens vergleichbare Situation vorliege bzw. es werden im Zusammenhang mit § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 "andere Fälle der Betriebsvermögensverstärkung" erörtert (Nachweise im Senatsurteil in BFHE 222, 245).

Eine solche Vergleichbarkeit besteht im Streitfall nicht. So wie es ausgeschlossen ist, den Bereich des durch § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 gesetzten Vergleichsrahmens auszudehnen und die Verlustabzugsbeschränkung ohne Berücksichtigung einer Betriebsvermögenszuführung auf jede Form eines Branchenwechsels zu erstrecken (Senatsurteil in BFHE 222, 245), kann nicht --ohne Branchenwechsel-- jegliche Änderung des Betriebsvermögens, die aus dem Einsatz des bisher vorhandenen Betriebsvermögens (als Ergebnis eigenen Wirtschaftens) herrührt, als Ausdruck eines Verlusts der wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft verstanden werden.

3. Die Rüge des FA, das FG hätte die Frage der Verwendung der Darlehensmittel aufklären müssen, ist nicht ordnungsgemäß erhoben worden. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2212644

BFH/NV 2009, 1838

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