Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksame Bekanntgabe einer fehlerhaft adressierten und angebrachten Briefsendung mit einem Umsatzsteuerbescheid

 

Leitsatz (NV)

Ein Umsatzsteuerbescheid wird wirksam bekanntgegeben, wenn die Briefsendung von dem Postbediensteten bei der vom FA unrichtig angegebenen Anschrift angebracht wird und der Empfänger die Sendung dem Steuerpflichtigen aushändigt.

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 2, 5, § 124 Abs. 1; VwZG § 9 Abs. 1; UStG 1980 § 18 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb ein . . . Da sie für 1981 keine Umsatzsteuererklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in dem am 23. September 1983 zur Post gegebenen Umsatzsteuerbescheid 1981 die Besteuerungsgrundlagen. Der bezeichnete Umsatzsteuerbescheid enthielt die Anschrift ,,Frau A, X-straße 10, B . . .". Tatsächlich wohnte die Klägerin im Anwesen X-straße 12. Am 4. September 1984 legte sie gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1981 Einspruch ein und begehrte dessen Aufhebung. Zur Begründung führte sie aus, der Bescheid sei ihr nicht wirksam bekanntgegeben worden. Er sei ihr von einer Angestellten des Nachbarn in geöffnetem Zustand überreicht worden. Das FA sah den Einspruch als verspätet an und verwarf ihn als unzulässig.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es führte dazu aus, der Umsatzsteuerbescheid sei wirksam bekanntgegeben worden und habe die Rechtsbehelfsfrist in Lauf gesetzt.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 122 der Abgabenordnung (AO 1977). Sie ist der Ansicht, der Umsatzsteuerbescheid sei ihr nicht bekanntgegeben und deshalb nicht wirksam geworden. Im vorliegenden Fall sei durch einen Fehler des FA der Bescheid nicht ihr als Adressaten, sondern einem außenstehenden Dritten bekanntgegeben worden. Voraussetzung für eine wirksame Bekanntgabe sei jedoch, daß ein Bescheid so zur Post aufgegeben werde, daß er bei einem normalen Verlauf der Dinge ohne Zutun Dritter dem Empfänger unmittelbar zugehe. Das sei im Streitfall nicht geschehen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht ausreichen, um zu entscheiden, ob die Klägerin verspätet Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1981 eingelegt hat.

1. Das FG hat zutreffend entschieden, daß der Umsatzsteuerbescheid für 1981 gegen die Klägerin durch Bekanntgabe wirksam geworden ist.

Nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 wird ein Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er demjenigen bekanntgegeben wird, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ein Steuerbescheid wird dadurch bekanntgegeben, daß derjenige, für den er nach dem Willen der erlassenden Behörde bestimmt ist, die Möglichkeit der Kenntnisnahme erhält. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Klägerin hat von dem Inhalt des trotz der unzutreffenden Hausnummer zweifelsfrei an sie gerichteten Umsatzsteuerbescheids für 1981 Kenntnis nehmen können, nachdem er ihr von einer Angestellten des Nachbarn übergeben worden war.

Dies entsprach zwar keiner der im Gesetz vorgesehenen Formen der Bekanntgabe eines Steuerbescheids (Übermittlung durch die Post oder Zustellung, § 122 Abs. 2, 5 AO 1977). Der Formmangel bewirkte aber nicht die Unwirksamkeit der Bekanntgabe, sondern beeinflußte nur den Beginn der Einspruchsfrist.

Die Vorschriften über die Form der Bekanntgabe (§ 122 Abs. 1, 2 AO 1977) genügen keinem Selbstzweck und verlieren ihre Bedeutung, wenn ihre Aufgabe - dem Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt des Verwaltungsakts zu verschaffen - auf andere Weise erreicht worden ist (Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 21. Dezember 1983 IV ZB 29/82, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 926, 927 m. w. N.).

Für förmliche Zustellungen nach dem Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) ist ausdrücklich geregelt (§ 9 Abs. 1 VwZG), daß ein Schriftstück auch bei Zustellungsmängeln als in dem Zeitpunkt zugegangen gilt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Dies gilt erst recht für das formschwächere Verfahren der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts, der durch die Post übermittelt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH vom 8. Dezember 1988 IV R 24/87, BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346 m. w. N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 122 AO 1977 Tz. 6; Schwarz / Frotscher, Abgabenordnung, § 122 Tz. 11 a).

2. Die Vorentscheidung enthält jedoch keine Feststellungen, die eine Beurteilung ermöglichen, ob die Klägerin die Einspruchsfrist gewahrt hat. Das FG hat weder festgestellt, ob und mit welchem Inhalt eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden war, noch an welchem Tag die Klägerin den Umsatzsteuerbescheid für 1981 erhalten hat. Es ist daher nicht möglich, die Dauer (§ 355 Abs. 1, § 356 Abs. 2 AO 1977) und den Beginn der Rechtsbehelfsfrist zu bestimmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416927

BFH/NV 1991, 2

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