Leitsatz (amtlich)

Ein wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnter Richter darf vor rechtskräftiger Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vornehmen, die keinen Aufschub gestatten. Der abgelehnte Richter braucht im Ablehnungsgesuch nicht namentlich bezeichnet zu sein, wenn er auf andere Weise zweifelsfrei bestimmt werden kann.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO §§ 42, 45 Abs. 1, § 47

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige hatte 1961 ein in A gelegenes Grundstück gekauft und beantragt, den Erwerbsvorgang grunderwerbsteuerfrei zu lassen, da er beabsichtige, auf dem Grundstück innerhalb von fünf Jahren ein Gebäude mit grundsteuerbegünstigten Wohnungen zu errichten. Das FA, das dem Antrag zunächst entsprochen hatte, erhob 2 598,95 DM Grunderwerbsteuer nach, weil es festgestellt hatte, daß das Gebäude nicht innerhalb der Fünfjahresfrist bezugsfertig errichtet worden war. Die Fertigstellung des Gebäudes hatte sich verzögert, zumal der Steuerpflichtige das Gebäude teilweise hatte abbrechen müssen. Im Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit des Abbruchgebots war der Steuerpflichtige unterlegen. Noch bevor das FA über seinen Einspruch entschieden hatte, erhob er "Klage gegen die Forderung und Vollziehungsversuche von Grunderwerbsteuern".

Gleichzeitig erklärte er, daß er jene Richter ablehne, die bereits an dem Urteil vom 7. Oktober 1969 mitgewirkt hatten, durch das seine Klage gegen das FA wegen Einheitswertfeststellung für die Grundstücke B und C auf den 1. Januar 1964 als unzulässig abgewiesen worden war. In jenem Verfahren habe er seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand damit begründet, daß er infolge der erwähnten Verwaltungsgerichtsverfahren überlastet gewesen sei. Der Vorsitzende des Gerichts habe auf diesen Hinweis geantwortet: "Dann müssen Sie nicht so oft klagen". Auch keiner der Beisitzer habe erkannt, daß ihm der Rechtsweg auf Grund von Art. 19 Abs. 4 GG offenstehe. Er wolle "nicht noch einmal so überrumpelt werden".

Der damals vorsitzende Richter X äußerte sich zu dem Ablehnungsgesuch wie folgt:

"Ich fühle mich nicht befangen. Nach mehr als zwei Jahren kann ich mich nicht mehr an den genauen Wortlaut meiner Äußerung in der mündlichen Verhandlung vom 7. Oktober 1969 erinnern. Ich weiß aber, daß ich dem Kläger sinngemäß entsprechend geantwortet habe. Damit habe ich m. E. nur das Ergebnis aus seiner eigenen Darstellung gezogen. Der Kläger braucht nicht zu befürchten, deshalb liege ein Grund vor, der Mißtrauen gegen meine Unparteilichkeit rechtfertigen könnte."

Das FG hielt das Ablehnungsgesuch teils für unzulässig, teils für unbegründet. Unzulässig sei es, soweit es die namentlich nicht genannten beisitzenden Richter betreffe. Insoweit sei das Ablehnungsgesuch rechtsmißbräuchlich im Sinne des Beschlusses des BFH VII R 42/66 vom 2. März 1967 (BFH 88, 194, BStBl III 1967, 320). Der den beisitzenden Richtern gemachte Vorwurf, sie hätten Art. 19 Abs. 4 GG nicht beachtet und den Steuerpflichtigen mit einer gesetzeswidrigen Entscheidung überrumpelt, sei offensichtlich unbegründet. Unbegründet sei das Ablehnungsgesuch, soweit es den vorsitzenden Richter betreffe. Dessen damalige Äußerung hätte möglicherweise in jenem Verfahren seine Ablehnung begründen können, nicht aber in dem jetzt anhängigen Rechtsstreit, in dem "Fragen der Fristversäumnis wegen zeitlicher Überbeanspruchung nicht zur Entscheidung" stünden und der zwei Jahre später geführt werde.

Mit der Beschwerde wiederholt der Steuerpflichtige, daß er seinerzeit vorgetragen habe, wie überlastet er gewesen sei "durch die Vielzahl der Verwaltungsverfahren um ein und dasselbe Grundstück, mehrere Bauerlaubnisversuche, die damit verbundenen Instanzwege ohne Rechtsanwalt, das Bauverbot, Abbruchgebot, 17 Zwangsgeldverfahren, alle mit Nebenverfahren; vier mündliche Verhandlungen an einem Tag vor dem Oberverwaltungsgericht - wenige Tage vor der Finanzgerichtsverhandlung". Aus der Tatsache, daß keiner der beiden beisitzenden Richter die Bemerkung des vorsitzenden Richters "Dann müssen Sie nicht so oft klagen" gerügt habe, schließe er, daß "auch nicht ein Mann aus dem ganzen Senat gewillt" sei, "Recht zu sprechen". Der beisitzende Richter Y habe zu Unrecht an dem angefochtenen Beschluß mitgewirkt, da er auch ihn "berechtigt abgelehnt" habe.

Das FG habe der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist begründet.

Die angefochtene Entscheidung muß aufgehoben werden, weil an ihr die Richter Y und Z mitgewirkt haben, obwohl auch sie vom Steuerpflichtigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden waren und infolgedessen vor rechtskräftiger Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen hätten vornehmen dürfen, die keinen Aufschub gestatteten (§ 51 Abs. 1 FGO, §§ 42, 45 Abs. 1, 47 ZPO). Sie wären nicht gehindert gewesen, an der Entscheidung mitzuwirken, wenn das Ablehnungsgesuch des Steuerpflichtigen als mißbräuchlich und daher unzulässig zu beurteilen gewesen wäre (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 22. Februar 1960, 2 BvR 36/60, Monatsschrift für Deutsches Recht 1961 S. 26 und vom 2. November 1960, 2 BvR 473/60, BVerfGE 11, 343, 348). Diese Voraussetzung war jedoch nicht gegeben. Für seine abweichende Auffassung beruft sich das FG zu Unrecht auf den von ihm angeführten Beschluß BFH VII R 42/66 vom 2. März 1967 (BFH 88, 194, BStBl III 1967, 320). In jenem Beschluß hatte der BFH das Ablehnungsgesuch eines Klägers deshalb als mißbräuchlich angesehen, weil es sich gegen einen ganzen Senat richtete, ohne daß gegen die einzelnen, namentlich nicht genannten Richter ernstliche Gründe geltend gemacht worden waren, die geeignet gewesen wären, nach objektiven und vernünftigen Erwägungen vom Standpunkt des Ablehnenden aus, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Demgegenüber hatte im vorliegenden Fall der Steuerpflichtige nicht den Spruchkörper als solchen, sondern "die Richter, welche an dem Verfahren ... teilgenommen" hatten, abgelehnt und dies mit Tatsachen begründet, die jeweils auf die Person des einzelnen Richters bezogen waren. Ob diese Tatsachen geeignet waren, beim Steuerpflichtigen Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des jeweils abgelehnten Richters zu rechtfertigen, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Ablehnungsgesuchs. Daß der den beisitzenden Richtern gemachte Vorwurf, Art. 19 Abs. 4 GG nicht beachtet zu haben, dem FG als "offensichtlich unbegründet" erschien, läßt das Ablehnungsgesuch nicht notwendig als mißbräuchlich erscheinen.

Die abgelehnten Richter brauchten auch nicht unbedingt namentlich bezeichnet zu sein, da sie auf andere Weise (durch ihre Stellung innerhalb des Spruchkörpers, ihren Platz auf der Richterbank, ihre namentliche Bezeichnung im Rubrum des Urteils vom 7. Oktober 1969 und den Geschäftsverteilungsplan) zweifelsfrei bestimmt werden konnten.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Die Möglichkeit der Zurückverweisung ist auch im Beschwerdeverfahren gegeben (§ 155 FGO in Verbindung mit § 575 ZPO; BFH-Beschlüsse IV B 18/66 vom 15. Februar 1967, BFH 87, 502, BStBl III 1967, 181, und III B 56/67 vom 6. Oktober 1967, BFH 90, 284, BStBl II 1968, 65). Das FG darf über das Ablehnungsgesuch des Steuerpflichtigen nicht erneut entscheiden, ohne zuvor die dienstliche Äußerung jedes der beiden beisitzenden Richter über den ihnen gegenüber geltend gemachten Ablehnungsgrund einzuholen (§ 51 Abs. 1 FGO, § 44 Abs. 3 ZPO), sie dem Steuerpflichtigen mitzuteilen und ihm Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern (Art. 103 Abs. 1 GG; BVerfG-Beschluß vom 25. Juni 1968, 2 BvR 599, 677/67, NJW 1968, 1621).

 

Fundstellen

Haufe-Index 69657

BStBl II 1972, 576

BFHE 1972, 337

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