Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Ermessen bei der zusammengefassten Aufforderung zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses und der eidesstattlichen Versicherung

 

Leitsatz (NV)

1. Das Verhältnis der Anforderung des Vermögensverzeichnisses nach § 284 Abs. 1 AO 1977 zur Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 3 AO 1977 und die Notwendigkeit anzustellender Ermessenserwägungen ist geklärt.

2. Die Frage, ob in der zusammengefassten Aufforderung zu beiden Teilakten der Hinweis auf ein mögliches Absehen von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erforderlich ist, ist zu verneinen.

3. Es besteht auch im Hinblick auf vereinzelte abweichende Literaturmeinungen keine Veranlassung, die im Beschluss in BFH/NV 2003, 139 dargelegte Rechtsauffassung zum Verhältnis von § 284 Abs. 1 AO 1977 zu § 284 Abs. 3 AO 1977 (oben 1.).

 

Normenkette

AO 1977 § 284 Abs. 1, 3; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 116 Abs. 5 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln (Urteil vom 19.12.2005; Aktenzeichen 15 K 215/05)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde mit Haftungsbescheid für die Abgabenverbindlichkeiten der S-GmbH in Anspruch genommen. Der als Wohnsitz-Finanzamt mit der Vollstreckung beauftragte Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) traf anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung beim Kläger und einer fruchtlosen Pfändung Feststellungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Vollstreckungsschuldners. Die Angaben des Klägers waren unvollständig, und er leistete auch keine Unterschrift auf dem Vordruck.

Unter dem 26. November 2004 forderte das FA den Kläger gemäß § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) auf, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und lud ihn zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vor. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wies das Finanzgericht (FG) die Auffassung des Klägers zurück, dass die zweite Ermessensentscheidung, die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, erst nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses ergehen dürfe. Der zweite Akt der eidesstattlichen Versicherung, deren förmliche Abgabe, sei aufschiebend bedingt durch die Erfüllung des ersten Aktes, der Vorlage des Vermögensverzeichnisses, so dass nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses eine erneute Ermessensprüfung vorgenommen werde, verbunden mit der Möglichkeit, auch in diesem Stadium trotz Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung noch von deren Abgabe abzusehen (Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 27. November 2003 VII B 278/03, BFH/NV 2004, 607, und BFH-Urteil vom 26. Juli 2005 VII R 57/04, BFHE 210, 205, BStBl II 2005, 814). Allerdings stelle sich die Frage einer erneuten Ermessensausübung nicht, wenn --wie im Streitfall-- ein Vermögensverzeichnis gar nicht abgegeben worden sei.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hinsichtlich der Fragen geltend, ob die in § 284 Abs. 1 und 3 AO 1977 geregelten Ermessensentscheidungen so verknüpft werden könnten, dass die Vollständigkeit und Richtigkeit des Vermögensverzeichnisses bei dessen Abgabe zwingend an Eides statt zu versichern sei und ob der Ermessensspielraum des § 284 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 so ausgestaltet sei, dass von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nur im Ausnahmefall abgesehen werden könne. Nach wie vor sei die Frage offen, ob trotz der Möglichkeit, den Vollstreckungsschuldner zu beiden Teilakten gleichzeitig aufzufordern, der Hinweis auf ein mögliches Absehen von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erforderlich sei.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die vom Kläger mit der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die aufgeworfene Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden kann und klärungsbedürftig ist (z.B. BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2001 III B 103/01, BFH/NV 2002, 652). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn auf den Sachverhalt durch die Rechtsprechung geklärte Rechtsgrundsätze anzuwenden sind und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung der Frage geboten erscheinen lassen (z.B. BFH-Beschluss vom 22. Oktober 2002 VII B 306/01, BFH/NV 2003, 208).

Beide für bedeutsam gehaltenen Rechtsfragen sind --abgesehen von ihrer Klärbarkeit im Streitfall-- nicht klärungsbedürftig.

1. Mit den vom FG und vom Kläger selbst zitierten Entscheidungen hat der Senat das Verhältnis der Anforderung des Vermögensverzeichnisses nach § 284 Abs. 1 AO 1977 zur Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 3 AO 1977 und die Notwendigkeit anzustellender Ermessenserwägungen geklärt.

Im Beschluss vom 7. Dezember 2000 VII B 206/00 (BFH/NV 2001, 577) hat der Senat judiziert, dass die Verpflichtungen des Vollstreckungsschuldners, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und die Richtigkeit desselben zu Protokoll an Eides statt zu versichern, trotz der gesetzlichen Regelung in unterschiedlichen Absätzen des § 284 AO 1977 als Einheit anzusehen seien. Die Aufforderungen hierzu könnten daher grundsätzlich in einem einheitlichen Vorgang, in der Regel in der Ladung zu dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, erfolgen. Wenn die Vollstreckungsbehörde es im Einzelfall für geboten halte, könne sie auch abgestuft vorgehen und die den Vollstreckungsschuldner treffenden Verpflichtungen Schritt für Schritt einfordern. Auf welche Weise die Vollstreckungsbehörde letztendlich vorgehe, stehe in ihrem pflichtgemäßen Ermessen und bedürfe in der Ladungsverfügung keiner besonderen Begründung.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde lässt sich mit diesen Ausführungen ohne weiteres die Frage beantworten, ob in der zusammengefassten Aufforderung zu beiden Teilakten der Hinweis auf ein mögliches Absehen von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erforderlich ist. Die Frage ist zu verneinen.

Da der Gesetzgeber in § 284 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 zum Ausdruck gebracht hat, dass die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zur Bekräftigung des abgegebenen Vermögensverzeichnisses den Regelfall darstellt und nach § 284 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 das Ermessen der Vollstreckungsbehörde erst bei der Frage einsetzt, ob sie im konkreten Einzelfall von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung absehen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 5. September 2002 VII B 71/02, BFH/NV 2003, 139), ist offenkundig, dass die zusammengefasste Aufforderung zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses und der eidesstattlichen Versicherung keinen Hinweis auf --nur im Ausnahmefall-- noch anzustellende Ermessenserwägungen enthalten muss (vgl. zum sog. "intendierten Ermessen" Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juni 1997  3 C 22.96, BVerwGE 105, 55, und Senatsurteil in BFHE 210, 205, BStBl II 2005, 814).

2. Entgegen der Auffassung der Beschwerde bedarf es auch keiner weiteren oder erneuten Klarstellung des BFH zur Frage, ob und in welchem Umfang das FA Ermessenserwägungen anstellen muss, wenn es die eidesstattliche Versicherung nach Vorlage und Prüfung des Vermögensverzeichnisses verlangt.

a) Im Streitfall ist diese Frage nicht entscheidungserheblich, denn der Kläger hat ein Vermögensverzeichnis nicht vorgelegt. Insoweit fehlt es an der entscheidenden gesetzlichen Voraussetzung, unter der von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 abgesehen werden kann.

b) Erneuten oder weiteren Klärungsbedarf vermag der Senat im Übrigen auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu erkennen.

Der Senat hat in seinem Beschluss in BFH/NV 2003, 139 hervorgehoben, der Gesetzgeber habe selbst in § 284 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 zum Ausdruck gebracht, dass die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorrangig das abgegebene Vermögensverzeichnis bekräftigen solle ("hat abzugeben") und dass das Ermessen der Vollstreckungsbehörde erst bei der Frage einsetze, ob sie im konkreten Einzelfall von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung absehen könne. Deshalb obliege es der Behörde in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens, nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses durch den Vollstreckungsschuldner, im Einzelfall nochmals zu prüfen, ob nicht von der Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung abgesehen werden könne. Und nur wenn ausnahmsweise Gründe, die eine Abstandnahme von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nahe legen könnten, ersichtlich seien, bedürfe die Aufforderung dazu einer besonderen Begründung.

Da sich an der gesetzlichen Regelung seither nichts geändert hat, besteht keine Veranlassung, diese Rechtsprechung zu überprüfen. Die vom Kläger angeführten Literaturmeinungen --soweit sie nicht nur die vom Senat nicht in Frage gestellte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall betonen-- gewichten die gesetzgeberische Vorgabe in § 284 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 anders als der Senat, ohne sich mit dieser Vorgabe aber auseinander zu setzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1560793

BFH/NV 2006, 1795

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge