Leitsatz (amtlich)

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob Differenzgeschäfte i. S. von §§ 764, 762 BGB den Tatbestand der §§ 22 Nr. 2, 23 EStG erfüllen.

 

Normenkette

EStG § 22 Nr. 2, § 23; BGB §§ 764, 762

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) tätigte als Angestellte einer Bank in den Jahren 1973 und 1 974 Differenzgeschäfte mit Devisen.

Die Überschüsse hieraus setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das FA) bei der Veranlagung der Antragstellerin zur Einkommensteuer 1973 und bei der Festsetzung von Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer 1974 als Einkünfte aus Spekulationsgeschäften (§§ 22 Nr. 2, 23 EStG) an. Die Antragstellerin hat gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch eingelegt und gegen den Vorauszahlungsbescheid Beschwerde erhoben. Über beide Rechtsbehelfe ist noch nicht entschieden. Die Antragstellerin verlangt die Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide über die vom FA verfügte Aussetzung der Vollziehung hinaus. Ihre Aussetzungsanträge begründete die Antragstellerin u. a. wie folgt: Differenzgeschäfte erfüllten nicht den Tatbestand der §§ 22 Nr. 2, 23 EStG, weil sie nicht die Anschaffung und die Veräußerung von Wirtschaftsgütern zum Gegenstand hätten, sondern in der Absicht geschlossen würden, daß lediglich der Unterschied zwischen dem vereinbarten Preis und dem Börsen- und Marktpreis am Lieferungszeitpunkt von dem Verlierenden an den Gewinnenden gezahlt verden solle. Nach §§ 764, 762 BGB seien solche Geschäfte als Spiel zu betrachten, so daß Gewinne hieraus nicht einkommensteuerbar seien.

Das FG lehnte die bei ihm gestellten Anträge der Antragstellerin, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1973 und des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids 1974 über die vom FA bereits verfügte Aussetzung der Vollziehung hinaus auszusetzen, mit im wesentlichen folgender Begründung ab: Differenzgeschäfte seien Veräußerungsgeschäfte i. S. des § 23 EStG. Entsprechend der Auslegung des Begriffes "Veräußerungsgeschäfte" durch die Rechtsprechung für die Berechnung der Spekulationsfrist müßten hierunter die auf die Veräußerung von Wirtschaftsgütern gerichteten schuldrechtlichen Verträge verstanden werden. Solche auf Lieferung von Waren oder Wertpapieren lautende Verträge würden auch bei Differenzgeschäften geschlossen (§ 764 Satz 1 BGB). Die einverständliche Absicht, nicht zu liefern, sondern nur die Differenz zu zahlen, stehe der Behandlung des Differenzgeschäfts als Spekulationsgeschäft wegen des Zwecks der Besteuerung von Spekulationsgeschäften nicht entgegen.

Mit der von der Vorinstanz zugelassenen Beschwerde beantragt die Antragstellerin, den Aussetzungsanträgen attzugeben.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegrün let zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Die von der Vorinstanz ausgesprochene Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung läßt sich nicht aufrechterhalten.

Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit in dem Sinne bestehen, daß neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige gegen seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die auf Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder auf Unklarheit bei der Beurteilung von Tatfragen beruhen.

Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist ernstlich zweifelhaft, ob die von der Antragstellerin getätigten Differenzgeschäfte den Tatbestand der §§ 22 Nr. 2, 23 EStG erfüllen. Es ist höchstrichterlich bisher noch nicht entschieden, ob Differenzgeschäfte, bei denen zwar dem Wortlaut der Abmachungen nach Wirtschaftsgüter gekauft oder verkauft werden, die Beteiligten sich jedoch darüber einig sind, daß es zur Abnahme oder zur Lieferung nicht kommt, sondern sich der Leistungsaustausch auf die Zahlung der Differenz zwischen den Kursen bei Abschluß des Geschäfts und bei Abschluß des Gegengeschäfts beschränkt, den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG erfüllen. Die in der Literatur geäußerte Ansicht, daß Differenzgeschäfte, bei denen das Veräußerungsgeschäft dem Erwerbsgeschäft vorangeht, ohne Rücksicht darauf, ob tatsächlich eine Lieferung erfolgt, unter § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG fallen (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 23 EStG Anm. 41; Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, § 23 Anm. 3 e; Nissen in Hartmann-Böttcher-Grass, Großkommentar zur Einkommensteuer, § 23 Anm. 2) ist nicht unbedenklich. Zwarmacht der Umstand, daß das Veräußerungsgeschäft in diesen Fällen dem Erwerbsgeschäft vorangeht, die steuerliche Erfassung des Spekulationsgewinns von der Einhaltung der Spekulationsfrist unabhängig. Es ist aber nicht sicher, daß die Tatbestandsmerkmale "Veräußerung" und "Erwerb" in dieser Vorschrift anders verstanden werden müssen, als die Tatbestandsmerkmale "Anschaffung" und "Veräußerung" in § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG bisher aufgefaßt wurden. Die Entscheidung dieser Rechtsfrage muß dem Verfahren in der Hauptsache vorbehalten bleiben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71641

BStBl II 1976, 644

BFHE 1977, 273

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