Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des beschränkten Verlustvortrags gem. § 2 Abs. 3, § 10d EStG

 

Leitsatz (amtlich)

Gegen die in § 10d Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 EStG angeordnete Beschränkung des Verlustvortrags bestehen bei summarischer Prüfung keine ernstlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 3, § 10d Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.07.2004; Aktenzeichen 18 V 2127/04 A (E); EFG 2004, 1679)

 

Tatbestand

I. Der ―einzeln veranlagte― Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erzielte im Streitjahr 2002 positive Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (10 308 €), nichtselbständiger Arbeit (85 590 €) und sonstige Einkünfte (14 487 €) sowie Verluste aus Gewerbebetrieb in Höhe von 16 200 € und aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 22 271 €. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) verrechnete die negativen Einkünfte in vollem Umfang mit den positiven. Von den nach § 10d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zum 31. Dezember 2001 festgestellten negativen Einkünften berücksichtigte er einen Verlustvortrag in Höhe von 42 472 € und setzte für das Streitjahr die Einkommensteuer mit 2 773 € fest. Den verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2002 stellte er in Höhe von 53 329 € fest.

Nachdem das FA es abgelehnt hatte, den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr von der Vollziehung auszusetzen, beantragte der Antragsteller erfolglos dessen Aussetzung der Vollziehung (AdV) durch das Finanzgericht (FG): Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. Die negativen Einkünfte seien in vollem Umfang mit den positiven Einkünften ausgeglichen worden. Gegen die begrenzte Verrechnung der zum 31. Dezember 2001 festgestellten Verluste bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur verfassungsrechtlich gebotenen Freistellung des Existenzminimums garantiere nicht die Berücksichtigung von Verlusten aus früheren Veranlagungszeiträumen. Nicht entscheidungserheblich sei im Streitfall, ob ausnahmsweise eine jahresübergreifende Beurteilung geboten sei, wenn die laufende Liquidität des Steuerpflichtigen im Verlustvortragsjahr infolge steuerlich unberücksichtigter Vorjahresverluste so stark eingeschränkt sei, dass der Lebensunterhalt angesichts der Einkommensbesteuerung des laufenden Jahres nicht mehr bestritten werden könne. Die Verlust verursachenden Teilwertabschreibungen, Rückstellungen und Gewährleistungsverpflichtungen u.Ä. im Rahmen des mitunternehmerischen Engagements des Antragstellers im Vorjahr berührten bei summarischer Prüfung die persönliche Liquidität des Antragstellers nicht. Darauf, ob es sich insoweit um sog. echte oder unechte Verluste handele, komme es nicht an.

Mit seiner Beschwerde macht der Antragsteller ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der beschränkten Verlustverrechnung nach § 2 Abs. 3, § 10d EStG geltend. Nach dem Beschluss des erkennenden Senats vom 9. Mai 2001 XI B 151/00 (BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552) sei ―wie sich auch aus einer Vielzahl von finanzgerichtlichen Entscheidungen ergebe― zwischen unechten Verlusten, insbesondere aus der Inanspruchnahme von Abschreibungen und echten Verlusten aus unternehmerischer Tätigkeit wie im Streitfall zu unterscheiden. Eine Durchbrechung des Grundsatzes des vertikalen Verlustausgleichs bei echten Verlusten sei nur aus besonderen sachlichen Gründen zu rechtfertigen. Solche seien nicht ersichtlich. Echten Verlusten liege stets existenzsichernder Aufwand zugrunde. Blieben echte Verluste steuerlich unberücksichtigt, läge eine verfassungswidrige Substanzbesteuerung vor (insbesondere Hinweis auf Niedersächsisches FG, Beschluss vom 13. Juni 2003 13 V 131/03, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2003, 1316). Bei der Ermittlung des steuerlichen Existenzminimums seien zudem neben der Saldierung von Einnahmen und Ausgaben auch die Bedienung von in den Vorjahren aufgenommenem Fremdkapital zu berücksichtigen. Insoweit sei eine den Veranlagungszeitraum des Streitjahres übergreifende Betrachtung geboten. So sei die Liquidität des Antragstellers im Streitjahr 2002 allein durch Tilgungsleistungen für Bankdarlehen in Höhe von 96 922 € belastet gewesen.

Der Antragsteller beantragt, unter Aufhebung der Entscheidung des FG die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides für 2002 in Höhe des gesamten Nachzahlungsbetrags von 2 998,14 € auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Die im Streitjahr erzielten negativen Einkünfte seien vollumfänglich mit den positiven Einkünften ausgeglichen worden. Zwar müsse bei der Veranlagung des Streitjahres das Existenzminimum steuerfrei bleiben; eine den Veranlagungszeitraum übergreifende Betrachtung finde jedoch nicht statt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Das FG hat zu Recht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides 2002 verneint.

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsaktes neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen. Dies gilt auch für ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO an der verfassungsrechtlichen Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 6. März 2003 XI B 7/02, BFHE 202, 141, BStBl II 2003, 516, m.w.N.). Derartige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides für 2002 bestehen bei summarischer Prüfung im Streitfall nicht.

1. Die verfassungsrechtlichen Einwendungen des Antragstellers gegen einen beschränkten Verlustausgleich bei sog. echten Verlusten sind im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Die im Streitjahr insgesamt erzielten negativen Einkünfte in Höhe von 38 471 € wurden im angefochtenen Bescheid gemäß § 2 Abs. 3 Satz 3 EStG vollumfänglich ausgeglichen.

2. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu früheren gesetzlichen Begrenzungen des Verlustvortrags und des erkennenden Senats zu § 2 Abs. 3 EStG bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Vortrag der zum Ende des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten negativen Einkünfte nach § 10d Abs. 2 EStG zeitlich gestreckt werden kann.

a) Das BVerfG hat sich bereits mehrfach, wenn auch noch nicht zu § 10d Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/2002, zu Einschränkungen des Verlustvortrags geäußert. Nach dieser Rechtsprechung ist ein uneingeschränkter Verlustvortrag verfassungsrechtlich nicht garantiert. So war die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte Einkunftsarten und damit der Ausschluss anderer Einkunftsarten von jeglichem Verlustvortrag ebenso wenig verfassungsrechtlich zu beanstanden (BVerfG 1. Senat, Beschluss vom 8. März 1978 1 BvR 117/78, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1978, 293), wie die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte, durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Betriebsverluste (BVerfG in HFR 1978, 293; vgl. auch BVerfG 1. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 1980 1 BvR 785/80, HFR 1981, 181). Nach der Rechtsprechung des BVerfG bestanden ferner unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Beschränkung des Verlustabzugs auf einen einjährigen Verlustrücktrag und einen fünfjährigen Verlustvortrag (BVerfG 1. Senat, 3. Kammer, Beschluss vom 22. Juli 1991 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423). Dieser Rechtsprechung ist mit der in diesem vorläufigen Verfahren notwendigen, aber auch ausreichenden Gewissheit zu entnehmen, dass das aus dem Grundgesetz abgeleitete Leistungsfähigkeitsprinzip § 10d Abs. 2 EStG nicht entgegen steht (vgl. auch z.B. Palm, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2002, 152). Wenn für einzelne Einkunftsarten der Vortrag negativer Einkünfte gänzlich ausgeschlossen werden kann, gilt dies erst recht für § 10d Abs. 2 EStG, der den Verlustvortrag nicht ausschließt, sondern nur ―zeitlich unbegrenzt― streckt.

b) Der erkennende Senat hat mit Beschluss in BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552 entschieden, dass nach dem verfassungsrechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzip nicht jedweder Verlust mit positiven Einkünften einer anderen Einkunftsart im selben Veranlagungszeitraum auszugleichen ist. Es genüge vielmehr, dass Verluste nach der im Gesetz angelegten Systematik überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, verrechnet werden können. Wenn danach im Grundsatz die in einem Veranlagungszeitraum erzielten negativen Einkünfte von Verfassungs wegen nicht im Verlustentstehungsjahr auszugleichen sind, sondern auch mit positiven Einkünften in anderen Veranlagunsgzeiträumen verrechnet werden können, begegnet eine gesetzliche Regelung, wonach der Vortrag der Verluste zeitlich über mehrere Veranlagungszeiträume gestreckt wird, ebenfalls keinen ernstlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Kritik an der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. z.B. Lang/Englisch, Steuer und Wirtschaft 2005, 3, 4) enthält im Kern keine neuen, bislang unberücksichtigten verfassungsrechtlichen Aspekte. Über die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn negative Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen (vgl. z.B. Vorlage des erkennenden Senats zur Vererbbarkeit von Verlusten, Beschluss vom 10. April 2003 XI R 54/99, BFH/NV 2005, 269) nicht mehr vorgetragen werden können, ist im Streitfall mangels konkreter Anhaltspunkte hierfür nicht zu befinden.

Der Beschluss des Niedersächsischen FG vom 13. Juni 2003 (13 V 131/03, EFG 2003, 1316), auf den sich der Antragsteller insbesondere beruft, ist nicht zur Beschränkung des Verlustvortrags ergangen.

c) Da es sich um die Beschränkung des Verlustvortrags handelt, ist es auch unerheblich, dass die hier streitigen negativen Einkünfte nicht auf Sonderabschreibungen ―wie in BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552― beruhen. Im Übrigen hat der erkennende Senat an den Grundsätzen dieser Entscheidung auch für den Fall sog. echter Verluste aus Vermietung und Verpachtung (vgl. Beschluss in BFHE 202, 141, BStBl II 2003, 516) als auch aus Gewerbebetrieb (Beschluss vom 6. März 2003 XI B 76/02, BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523) im Prinzip festgehalten (vgl. auch BFH-Beschluss vom 25. Juni 2004 XI B 20/03, BFH/NV 2005, 176).

d) Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 10d Abs. 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ergeben sich auch nicht aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Sicherung des Existenzminimums. Danach begegnet die Festsetzung einer Einkommensteuer zwar dann ernstlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn dem Steuerpflichtigen auf Grund der Beschränkung des Verlustausgleichs nach § 2 Abs. 3 EStG von seinem im Veranlagungszeitraum Erworbenen ―unter Berücksichtigung der festgesetzten Einkommensteuer― nicht einmal das Existenzminimum verbleibt (BFH in BFHE 202, 141, BStBl II 2003, 516, und in BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523). Die von Verfassungs wegen gebotene einkommensteuerrechtliche Freistellung des Existenzminimums betrifft aber nur den Verlustausgleich im Verlustentstehungsjahr. Aus der Natur der verfassungsrechtlichen Garantie des Existenzminimums ist "nur" zu folgern, dass dem Steuerpflichtigen von seinem Erworbenen in jedem Jahr das für seinen Lebensunterhalt tatsächlich und unabweisbar Benötigte steuerfrei belassen werden muss, mithin insoweit keine Veranlagungszeitraum übergreifende Betrachtung Platz greift (vgl. z.B. BFH in BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523, unter II.2.c). In diesem Sinn wurde im Rahmen vorläufiger Verfahren auch bereits entschieden, dass das verfassungsrechtliche Gebot der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums einer Begrenzung des Verlustrücktrags nicht entgegen steht (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 176; bestätigt durch Beschluss vom 25. Februar 2005 XI B 78/02, juris Nr. STRE200550470). Für die hier streitige Beschränkung des Verlustvortrags durch § 10d Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 EStG gilt Entsprechendes. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang darauf hinweist, seine Liquidität sei im Streitjahr 2002 durch Tilgung von Bankdarlehen eingeschränkt gewesen, ist dieser Vortrag schon deswegen unbehelflich, weil die Tilgung von Darlehen einkommensteuerrechtlich irrelevant ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1374475

BFH/NV 2005, 1189

BStBl II 2005, 609

BFHE 2005, 379

BFHE 209, 379

BB 2005, 1434

BB 2005, 1549

DB 2005, 1429

DStR 2005, 1047

DStRE 2005, 800

DStZ 2005, 465

DStZ 2005, 489

HFR 2005, 833

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