Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Verlangt die Oberfinanzdirektion von den Finanzämtern die Vorlage der Revisionen und wird die Revisionsbegründungsfrist durch innerdienstliche Vorgänge bei der Oberfinanzdirektion versäumt, so kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120 Abs. 1, §§ 124, 126/1

 

Tatbestand

In dem Rechtsstreit ist zunächst zu entscheiden, ob die Revision des Revisionsklägers (FA) wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 2 FGO) zulässig ist oder nicht.

Das Urteil des FG vom 10. November 1966 ist dem FA am 8. März 1967 zugestellt und am 4. April 1967, also rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist, angefochten worden. Die Revisionsbegründungsfrist lief am 8. Mai 1967 ab. Die Revisionsbegründung ging am 10. Mai 1967, demnach verspätet, beim FG (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO), am 12. Mai 1967 beim BFH ein.

Das FA begründete den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) unter Vorlage einer Feststellung der zuständigen OFD wie folgt:

Die Fä seien angewiesen, Revisionen nur über die OFD an das FG einzureichen. Die Revisionsbegründung des FA vom 27. April 1967 sei am 2. Mai 1967 bei der OFD eingegangen. Da die leitenden Beamten der OFD am 2. und 3. Mai 1967 an einer Amtsvorsteherbesprechung teilgenommen hätten, der 4. Mai 1967 ein Feiertag gewesen sei (Christi Himmelfahrt), habe die Sache erst am 5. Mai 1967 bearbeitet werden können, sie sei aber sofort abgefertigt worden. Für das am gleichen Ort befindliche FG werde die Post der OFD von Montag bis Freitag täglich durch einen Boten des FG in der Postausgabestelle der OFD abgeholt. Die Revisionsbegründung des FA sei am Freitag, dem 5. Mai 1967, nachmittags in dem für das FG bestimmten Fach abgelegt, dort aber, weil die Tagespost schon abgeholt war, bis Montag, dem 8. Mai 1967, liegengeblieben. Unter normalen Umständen wäre an diesem Tag die Revisionsbegründung noch rechtzeitig an das FG gelangt. Laut fernmündlicher Auskunft vom 22. Mai 1967 der zuständigen Geschäftsstelle des FG habe der Bote des FG aus Krankheitsgründen ausnahmsweise die Post bei der OFD nicht am 8. Mai 1967, sondern erst am Dienstag, dem 9. Mai 1967, abgeholt. Daraus ergebe sich, daß das FA ohne sein Verschulden die Revisionsbegründungsfrist überschritten habe.

Die Revisionsbeklagte (Stpfl.) hält die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht für gegeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision wird als unzulässig verworfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO).

Nach den Grundsätzen der FGO sind Fristversäumnisse und Anträge der Fä auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ebenso zu behandeln wie bei Steuerpflichtigen, Im Falle des BFH-Beschlusses VI R 250/66 vom 27. Januar 1967 (BFH 88, 75, BStBl III 1967, 291) wurde die Nichteinhaltung der Revisionsbegründungsfrist ebenso wie in dem vom erkennenden Senat im Beschluß I R 123/66 vom 2. November 1966 (BFH 87, 331, BStBl III 1967, 142) abgelehnten Wiedereinsetzungsantrag eines FA mit innerbehördlichen Schwierigkeiten und Verzögerungen der Rechtsmittelbehandlung begründet. Die Grundsätze über die Nachsichtgewährung (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) bei solchen Fristversäumnissen, die trotz eines ordnungsmäßig organisierten Büros von Angestellten eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe verschuldet werden, sind auf Fristversäumnisse des FA- Vorstehers ebensowenig wie bei Steuerpflichtigen anwendbar (Urteil des BFH I 63/60 U vom 10. Oktober 1961, BFH 73, 795, BStBl III 1961, 555).

Daß der OFD als vorgesetzter Behörde die Revisionen vorzulegen sind, läßt sich mit der wünschenswerten frühzeitigen Kenntnis über die rechtliche Entwicklung und auch mit der Möglichkeit der erforderlichen Einwirkung durch entsprechende Anweisungen der Fä begründen und rechtfertigen. Die dadurch in der Erledigung der Rechtsmittelsachen eintretenden Verzögerungen können aber nicht einmal im gleichen Umfang wie beim FA selbst als unverschuldete Verhinderung zur Einhaltung einer gesetzlichen Frist angesehen werden. Die OFD ist weder Vertreter noch Angestellter noch Bote des FA. sondern übt einfach das ihr zustehende Aufsichtsrecht über das FA aus, indem sie sich rein innerdienstlich in den Geschehensablauf bei der Rechtsmittelbehandlung einschaltet. Die "Hindernisse" im Sinn des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO, mit denen die verspätete Revisionsbegründung entschuldigt werden soll, können weder jedes für sich genommen noch in ihrer Gesamtbewertung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen. Das gilt nicht nur allgemein für den durch die Vorlage der Revisionen eintretenden unvermeidlichen Zeitverlust, sondern ebenso für die vorgetragenen Besonderheiten, die Teilnahme der leitenden Beamten der OFD an einer Vorsteherbesprechung die ungünstige Terminsituation durch einige Feiertage mit dazwischenliegendem Wochenende und die am letzten Tag der Frist durch Erkrankung des Boten unterbliebene Abholung der Post bei der OFD.

Für die Organisation der Rechtsmittelbehandlung müßte die OFD gerade im Hinblick auf solche keineswegs seltene und ungewöhnliche Vorkommnisse Vorsorge treffen. In den elf Tagen zwischen der Ausfertigung der Revisionsbegründung durch das FA und dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist wäre diese um so leichter einzuhalten gewesen, als die OFD offensichtlich den Schriftsatz unverändert an das FG weitergeleitet hat.

Die FGO nimmt auf diese Art der Beteiligung der OFD im Revisionsverfahren keine Rücksicht. Daraus ergibt sich, daß die durch die Einschaltung der OFD eintretenden Risiken der rechtzeitigen Revisionsbehandlung voll zu Lasten des innerhalb des Behördenaufbaus der Steuerverwaltung am Verfahren beteiligten FA (§ 57 FGO) gehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412749

BStBl III 1967, 785

BFHE 1968, 93

BFHE 90, 93

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