Leitsatz (amtlich)

Eine Ordnungsgemäße Revisionsbegründung ist nicht gegeben, wenn der Revisionskläger zwar die nach seiner Meinung verletzte Rechtsnorm bezeichnet, im übrigen aber lediglich die Verletzung geltenden Rechts rügt und auf sein Vorbringen in der Vorinstanz verweist.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Kläger haben gegen das klageabweisende Urteil des FG Revision eingelegt. Gegenstand der Klage ist die Frage gewesen, ob dem Kläger als alleinzeichnungsberechtigtem, mit 30 % beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH Tantiemezahlungen der GmbH als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder aus Kapitalvermögen zugeflossen sind. Das Urteil des FG ist den Klägern am 2. Juli 1970 zugestellt worden. Am 31. Juli 1970 hat der Bevollmächtigte der Kläger Revision eingelegt. Da das Urteil gegen geltendes Recht verstoße, hat er beantragt, die Tantiemezahlungen in vollem Umfang als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) zu berücksichtigen und darauf § 34 Abs. 3 und 4 EStG anzuwenden. Zur Begründung hat er auf das Vorbringen in der Vorinstanz verwiesen, wobei er sich eine weitere Begründung vorbehalten hat.

Mit Schreiben vom 8. September 1970, das dem Bevollmächtigten am 14. September 1970 zugestellt wurde, wies der Vorsitzende des Senats darauf hin, daß die Revisionsbegründungsfrist abgelaufen sei. Er stellte gleichzeitig anheim, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, welcher die versäumte Revisionsbegründung und die Gründe für die Säumnis enthalten müsse.

Am 28. September 1970 stellte der Bevollmächtigte der Kläger den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Darin führt er zunächst aus, daß - wie sich aus seinem Vorbehalt einer weiteren Revisionsbegründung ergebe - die Revisionsbegründung in der Revisionsschrift enthalten sei. Seine Angabe der einschlägigen Paragraphen des EStG weise auch darauf hin, daß er sich, wie es Sinn einer Revision sein müsse, eingehend mit dem Urteil des FG auseinandergesetzt habe. Das FG habe sich mit der Rechtsänderung, die durch den Beschluß des BVerfG vom 6. Mai 1968 (DB 1968, 1002) eingetreten sei, nicht auseinandergesetzt. Bei einer Änderung der Rechtsprechung des BVerfG gebe es noch keine Formel, wie dies in einer Revisionsbegründung ausgedrückt werden müsse. Man könne hier nur Verstoß gegen die geltende Rechtsprechung vorbringen. Bei der Außergewöhnlichkeit des Falles wäre es seines Erachtens richtig gewesen, wenn der Senat unverzüglich geklärt hätte, daß die Wiederholung des Vorbringens der ersten Instanz keine Begründung sei, und dann mitgeteilt hätte, daß innerhalb der Begründungsfrist eine neue Begründung erwartet werde. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trägt der Bevollmächtigte vor, daß die Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist aus zwei Gründen entschuldbar sei. Er habe sich in einem Rechtsirrtum (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 56 FGO Anm. 15 m) hinsichtlich des Umfangs der Revisionsbegründung befunden. Da fraglich sei, ob das Urteil des FG gegen Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuer-Paragraphen verstoße, und die Rechtsprechung auf dem Gebiet sehr umfangreich und ineinander verzahnt sei, habe er sein Vorbringen als kurze Begründung für ausreichend erachtet. Außerdem sei er am 25. Juni 1970 mit einem Herzinfarkt in das Krankenhaus eingeliefert worden. Dadurch habe er den Gang der Ereignisse in den nächsten Wochen in seinem Büro nicht bzw. nur geringfügig wahrnehmen können. Die Ärzte hätten ihm jegliche Tätigkeit verboten und ihn ständig unter Narkotika gesetzt. Die Nachprüfung der von ihm angeordneten kurzen Revisionseinlegung sei ihm wegen seiner schweren Erkrankung nicht möglich gewesen. Da der Herzinfarkt plötzlich und intensiv eintrete, habe er auch keine Vorsorge für einen Vertreter treffen können.

Dem Antrag lagen eine Ablichtung der ärztlichen Einweisung des Bevollmächtigten wegen Herzinfarkts in das Krankenhaus vom 25. Juni 1970 sowie eidesstattliche Erklärungen der Sekretärin des Bevollmächtigten und seines Assistenten bei. Beide bestätigen, daß der Bevollmächtigte am 25. Juni 1970 wegen Herzinfarkts in das Krankenhaus eingeliefert und dort etwa sieben Wochen behandelt worden sei.

Das FA hat beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unzulässig.

Die Kläger haben die Revisionsbegründungsfrist versäumt; denn sie haben innerhalb der Frist von zwei Monaten seit Zustellung des Urteils des FG am 2. Juli 1970 bis 2. September 1970 eine Revisionsbegründung nicht eingereicht. Die Ausführungen in der am 31. Juli 1970 rechtzeitig eingelegten Revision sind keine Revisionsbegründung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO. Die allgemein gehaltene Erklärung daß das Urteil gegen geltendes Recht verstoße, reicht nicht aus. Sie läßt ebensowenig wie der Antrag der Kläger, die Tantiemezahlungen in vollem Umfang als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) zu berücksichtigen, erkennen, aus welchen Gründen die Kläger mit dem angefochtenen Urteil nicht einverstanden sind. Durch die Bezugnahme auf das Vorbringen in der Vorinstanz wird den Erfordernissen der Revisionsbegründung nicht Genüge getan. Die Revisionsbegründung muß aus sich heraus erkennen lassen, daß der Revisionskläger sich mit den Gründen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, auseinandersetzt. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, das bisherige Vorbringen der Beteiligten auf mögliche Revisionsgründe zu überprüfen. Das Revisionsgericht muß der Revisionsbegründung entnehmen können, aus welchen Gründen und mit welchen Erwägungen die Vorentscheidung angegriffen wird. Zweck der Revisionsbegründung ist, darzutun, daß die Gründe des angefochtenen Urteils unter gleichzeitiger Überprüfung des eigenen bisherigen Vorbringens nachgeprüft wurden (vgl. Beschlüsse des BFH IV R 168/66 vom 23. August 1966, BFH 86, 567, BStBl III 1966, 596; I R 185/66 vom 8. März 1967, BFH 88, 230, BStBl III 1967, 342; VI R 129/67 vom 21. Juli 1967, BFH 89, 509, BStBl III 1967, 706). Dieselbe Rechtsauffassung kommt erneut in den BFH-Beschlüssen V R 58/67 vom 13. August 1970 (BFH 100, 177, BStBl II 1970, 849), V R 80/67 vom 28. Januar 1971 (BFH 101, 356, BStBl II 1971, 331) und im BFH-Urteil III R 32/70 vom 18. Dezember 1970 (BFH 101, 349, BStBl II 1971, 329) zum Ausdruck, denen sich der erkennende Senat anschließt. Diese Auslegung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO durch den BFH ist auch verfassungsrechtlich nicht beanstandet worden (BVerfG-Beschluß 1 BvR 409/70 vom 10. Juli 1970, HFR 1970, 454).

Da die Anforderungen, die an eine Revisionsbegründung gestellt werden, durch ständige Rechtsprechung des BFH - wie die vor der Einlegung der Revision ergangenen Beschlüsse zeigen - festgelegt waren, hatte der Vorsitzende des Senats keine Veranlassung, den Bevollmächtigten darauf hinzuweisen, daß die Ausführungen in der Revisionsschrift für eine Revisionsbegründung nicht ausreichen.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, da die Kläger nicht ohne ihr Verschulden verhindert waren, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Die Kläger müssen sich nach § 155 FGO in Verbindung mit § 232 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung das Verschulden ihres Bevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (vgl. BFH-Beschluß VI R 155/66 vom 27. Januar 1967, BFH 88, 106, BStBl III 1967, 290). Ein entschuldbarer Rechtsirrtum des Bevollmächtigten kann nicht anerkannt werden, da auf Grund der Rechtsprechung des BFH Zweifel hinsichtlich des Umfangs einer Revisionsbegründung bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht bestehen konnten. Die Tatsache, daß die den vorliegenden Fall betreffende Rechtsprechung sehr umfangreich und ineinander verzahnt ist, entbindet den Bevollmächtigten nicht von der Verpflichtung, sich in der Revisionsbegründung mit den Gründen des Urteils des FG auseinanderzusetzen.

Ob im Hinblick auf den Rechtsirrtum des Bevollmächtigten die Krankheit kausal für die Fristversäumnis werden konnte, ob der Bevollmächtigte nicht vielmehr wegen seines Irrtums auch in gesundem Zustand eine Revisionsbegründung nicht mehr eingereicht hätte, kann dahinstehen; denn, geht man von der Möglichkeit der Fristversäumnis infolge Krankheit des Bevollmächtigten aus, so ist diese doch kein Entschuldigungsgrund im Sinne des § 56 Abs. 1 FGO. Bei Krankheit kann die Fristversäumnis nur dann als unverschuldet angesehen werden, wenn diese auch durch äußerste, den Umständen des Falles angemessene, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (vgl. BFH-Beschluß VI R 76/67 vom 25. April 1968, BFH 92, 320, BStBl II 1968, 585). Diese Sorgfalt ließ der Prozeßbevollmächtigte vermissen. Zwar ist der Herzinfarkt eine plötzliche, nicht voraussehbare Erkrankung, die vorsorgliche Maßnahmen zur Fristwahrung nicht zuläßt. Die stationäre Behandlung des Bevollmächtigten, während der er an der Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte gehindert war, endete jedoch auf Grund der glaubhaften Bekundungen seiner Sekretärin und seines Assistenten am 14. August 1970, damit über zwei Wochen vor Ablauf der Begründungsfrist am 2. September 1970. Bereits während seines Krankenhausaufenthalts war der Bevollmächtigte in der Lage, Anweisungen hinsichtlich der Revisionsschrift zu geben. Er hätte wohl auch einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist stellen lassen können. Spätestens nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus konnte aber von ihm erwartet werden, daß er Vorsorge für die Wahrung der Begründungsfrist traf. Er hatte reichlich Zeit, entweder die Revisionsbegründung einzureichen oder zumindest die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist zu beantragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69234

BStBl II 1971, 588

BFHE 1971, 217

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