Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine grundsätzliche Bedeutung bei einzelfallbezogener Beurteilung

 

Leitsatz (NV)

Eine Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, wenn es um eine Frage geht, die nur anhand einzelfallbezogener Umstände beantwortet werden kann und vom FG auch in diesem Sinne behandelt worden ist.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Urteil vom 19.10.2005; Aktenzeichen 3 K 10541/03)

 

Tatbestand

I. Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Zinseinkünften.

Die miteinander verheirateten Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) sind türkische Staatsangehörige, die seit 1972 in Deutschland leben. Sie gaben für die Streitjahre (1992 bis 1996) Einkommensteuererklärungen ab, von denen allerdings nur noch diejenigen für 1992 und 1996 vorliegen. In der Erklärung für 1992 ist angegeben, dass keine Einkünfte aus Kapitalvermögen angefallen seien; in der Erklärung für 1996 wurde die im Vordruck enthaltene Angabe angekreuzt, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen unterhalb der Freibeträge lägen. Bei den Veranlagungen der Kläger für alle Streitjahre wurden keine Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst.

Nach Eingang einer Kontrollmitteilung forderte der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) die Kläger mit Schreiben vom 21. November 2002 auf, für die Jahre 1991 bis 2001 eine Aufstellung über ihre Kapitalerträge einzureichen. Am 23. Dezember 2002 gingen daraufhin beim FA Aufstellungen über Kapitalerträge aus Anlagen bei der türkischen Zentralbank ein, nach einer weiteren Aufforderung zudem Aufstellungen über Erträge aus Kapitalanlagen bei zwei deutschen Kreditinstituten. In den Streitjahren hatten die Kläger danach Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 4 047 DM (1992), 30 247 DM (1993), 77 341 DM (1994), 38 311 DM (1995) und 45 819 DM (1996) bezogen.

Daraufhin änderte das FA die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, indem es nunmehr zusätzlich zu den bisher berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen Einkünfte aus Kapitalvermögen nach Maßgabe der Angaben der Kläger berücksichtigte. Die Kläger fochten diese Bescheide nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage an. Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht das FA geltend, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen sei.

Die Kläger sind der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Die Rechtssache hat nicht die vom FA geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Nach der genannten Vorschrift ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine solche ist dann gegeben, wenn in einem Verfahren eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die im Interesse der Allgemeinheit der Klärung bedarf. Dafür reicht es indessen nicht generell aus, dass die betreffende Frage in einer Vielzahl weiterer Streitfälle ebenfalls eine Rolle spielt oder spielen kann. Vielmehr fehlt es bei einer solchen Gestaltung jedenfalls dann an der grundsätzlichen Bedeutung, wenn es um eine Frage geht, die nur anhand einzelfallbezogener Umstände beantwortet werden kann und vom FG auch in diesem Sinne behandelt worden ist.

2. Im Streitfall hängt die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide davon ab, ob diese Bescheide innerhalb der jeweils maßgeblichen Festsetzungsfristen ergangen sind. Das ist nur dann der Fall, wenn die streitigen Zinserträge hinterzogen worden sind und deshalb die Festsetzungsfrist zehn Jahre beträgt (§ 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung). Vor diesem Hintergrund geht es hier darum, ob die Kläger bei der Erstellung und Abgabe ihrer Steuererklärungen für die Streitjahre zumindest damit gerechnet und billigend in Kauf genommen haben, dass die Erklärungen im Hinblick auf ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen unrichtig waren.

Das FG hat eine Steuerhinterziehung seitens der Kläger verneint. Es hat dies mit Erwägungen begründet, die sich auf den von ihm festgestellten konkreten Sachverhalt beziehen und keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Das gilt insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, ob die Hinweise in den Erklärungsvordrucken die Kläger veranlassen mussten, sich nach der Steuerpflicht der streitigen Zinsen zu erkundigen; das FG hat dazu ausgeführt, dass zwar bei hinreichend sprachkundigen Personen eine solche Erkundigungspflicht bestehe, den Klägern jedoch angesichts ihrer geringen Sprachkenntnisse eine "verständige Reflexion" der betreffenden Hinweise nicht möglich gewesen sei. Es hat mithin letztlich darauf abgehoben, dass auch unter Berücksichtigung der genannten Hinweise nicht der Schluss gerechtfertigt sei, die Kläger hätten mit einer Steuerpflicht der streitigen Einkünfte zumindest gerechnet. Diese Beurteilung mag nicht die einzig mögliche sein; sie betrifft aber nur den Einzelfall und ist deshalb kein Anknüpfungspunkt für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.

3. Die Entscheidung des FG Düsseldorf (Urteil vom 25. April 2005  16 K 3684/02 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 1661), auf die sich das FA beruft, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Sie wird nicht von dem vom FA angeführten Rechtssatz getragen, "dass eine … Steuerhinterziehung dann vorliegt, wenn Steuerpflichtige mit … geringen Sprachkenntnissen … Kenntnis von der Steuerpflicht inländischer Zinsen haben, sich aber nicht über die zutreffende steuerliche Behandlung der Zinsen informieren" und die Zinsen auch nicht in der Steuererklärung angeben. Vielmehr war das FG Düsseldorf in jenem Fall davon überzeugt, dass die dortigen Kläger auch hinsichtlich der aus der Türkei bezogenen Zinsen mit einer Steuerpflicht gerechnet haben; den Vortrag eines diesbezüglichen Irrtums hat es ausdrücklich als "Schutzbehauptung" gewertet. Angesichts dessen widerspricht die hier zu beurteilende Entscheidung jenem Urteil nicht im Grundsätzlichen, sondern nur in der Würdigung des konkreten Sachverhalts. Entsprechendes gilt im Zusammenhang mit dem Urteil des FG Düsseldorf vom 25. April 2005  16 K 1387/04 E (EFG 2005, 1660), das ebenfalls im Kern darauf abstellt, dass der dortige Klägervortrag nach der Überzeugung des FG unglaubhaft war. Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Entscheidungen beruht mithin auf der Unterschiedlichkeit der jeweiligen tatrichterlichen Würdigung, und deren Vereinheitlichung kann nicht Ziel eines Revisionsverfahrens sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1501931

BFH/NV 2006, 1121

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