Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung der Freistellung inländischer Einkünfte vom Quellensteuerabzug kein vollziehbarer Verwaltungsakt

 

Leitsatz (amtlich)

Lehnt das Bundesamt für Finanzen den Erlaß eines Bescheides über die Freistellung inländischer Einkünfte vom Quellensteuerabzug gemäß § 50a Abs.4 EStG ab, so ist dieser Bescheid kein solcher, dessen Vollziehung ausgesetzt werden kann.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3; EStG § 50a Abs. 4, § 50d Abs. 1 S. 2, Abs. 2; AO 1977 §§ 168, 179; DBA GBR Art. XVIII A Abs. 4

 

Verfahrensgang

FG Köln (Entscheidung vom 17.09.1993; Aktenzeichen 6 V 271/93)

 

Tatbestand

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine Kapitalgesellschaft englischen Rechts ohne Betriebsstätte oder ständigen Vertreter im Inland. Sie schloß am 16. Dezember 1992 mit der inländischen Concertbüro A-GmbH einen Vertrag über die Überlassung der Musikgruppe X im Februar und März 1993 für insgesamt 20 Auftritte in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Dafür sollte der Antragstellerin eine Vergütung in Höhe von 160 000 DM zustehen.

Am 9. Februar 1993 übersandte die Antragstellerin dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Bundesamt für Finanzen --BfF--) einen Antrag auf Freistellung der o.g. Vergütung vom Steuerabzug gemäß § 50a Abs.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Diesen Antrag lehnte des BfF am 2. März 1993 ab, weil es die Antragstellerin nur als Agenten der Musikgruppe X ansah. Die Antragstellerin legte gegen den Bescheid Einspruch ein, über den --soweit bekannt-- noch nicht entschieden wurde, weil das BfF ein Auskunftsersuchen an die britische Finanzverwaltung richtete, das bisher noch nicht beantwortet wurde.

Die Antragstellerin begehrte am 29. April 1993 beim BfF die Aussetzung der Vollziehung des Ablehnungsbescheides vom 2. März 1993. Diesen Antrag lehnte das BfF am 10. Mai 1993 ab. Deshalb richtete die Antragstellerin am 14. Mai 1993 einen gleichlautenden Antrag an das Finanzgericht (FG). Dieses gab dem Antrag statt. Es verfügte die Aussetzung der Vollziehung des Ablehnungsbescheides vom 2. März 1993 gegen Sicherheitsleistung von 24 000 DM und ließ die Beschwerde zu (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1994, 255).

Mit seiner Beschwerde rügt das BfF die Verletzung materiellen Rechts.

Das BfF beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG Köln vom 17. September 1993 6 V 271/93 aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Antrages auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 2. März 1993.

Nach § 69 Abs.3 i.V.m. Abs.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann nur die Vollziehung eines vollziehbaren Verwaltungsaktes (Steuerbescheides) ausgesetzt werden. Daran fehlt es, wenn das BfF die Freistellung inländischer Einkünfte vom Quellensteuerabzug i.S. des § 50a Abs.4 EStG ablehnt. Die Freistellung kann zwar auch die Erstattung einbehaltener und abgeführter Quellensteuern auslösen. Sie hat ihre Rechtsgrundlage in Art.XVIII A Abs.4 des Abkommens vom 26. November 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 --DBA-Großbritannien-- (BGBl II 1971, 46, BStBl I 1971, 140) i.V.m. § 50d Abs.1 Satz 2 und Abs.2 EStG in der in 1993 geltenden Fassung. Der Regelungsinhalt eines entsprechenden Ablehnungsbescheid erschöpft sich aber auch dann in der Feststellung, daß kein Erstattungsanspruch besteht. Ein solcher Bescheid ist nicht zu Lasten seines Adressaten vollziehbar. Dies gilt auch angesichts der Tatsache, daß die Erstattung eine möglicher weise zu Lasten der Antragstellerin einbehaltene und abgeführte Steuer betrifft. Die Abführung der Steuer beruht auf einer Steueranmeldung der A-GmbH i.S. des § 168 der Abgaben ordnung (AO 1977), die ihrerseits ein Verwaltungsakt ist, dessen Vollziehung grundsätzlich ausgesetzt werden kann. Gerade deshalb wird durch den Ablehnungsbescheid nicht über die Rechtmäßigkeit der Abführung, sondern unabhängig davon nur über das Bestehen eines Freistellungs- bzw. Erstattungsanspruches dem Grunde und ggfs. der Höhe nach entschieden. Die Aussetzung der Vollziehung des Ablehnungsbescheides kann nicht die Erstattung eines behaupteten Erstattungsanspruches bewirken. Die Rechtslage ist insoweit vergleichbar mit der bei einem Bescheid über die Ablehnung eines Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich nach dem bis 1990 einschließlich geltenden Recht bzw. mit der bei Bescheiden über die Ablehnung eines Erlaßantrages. In beiden Fällen hat die Rechtsprechung die Annahme von vollziehbaren Verwaltungsakten abgelehnt (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Dezember 1967 VI B 72/67, BFHE 91, 138, BStBl II 1968, 287; vom 24. September 1970 II B 28/70, BFHE 100, 83, BStBl II 1970, 813). Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein zunächst erlassener Erstattungsbescheid später zu Lasten seines Adressaten geändert wird. Dann ist der Änderungsbescheid vollziehbar. Ein solcher Sachverhalt ist jedoch im Streitfall nicht gegeben. Die Rechtslage ist ferner vergleichbar mit der Ablehnung eines Antrags auf Herabsetzung bestandskräftig festgesetzter Vorauszahlungen. Ein solcher Ablehnungsbescheid ist ebenfalls nicht vollziehbar (vgl. BFH-Beschluß vom 27. März 1991 I B 187/90, BFHE 164, 173, BStBl II 1991, 643). Im Streitfall entspricht die Steueranmeldung dem in Bestandskraft erwachsenen Vorauszahlungsbescheid und die Ablehnung der Freistellung bzw. Erstattung dem Bescheid über die Ablehnung der Herabsetzung der Vorauszahlungen.

Der vom FG angestellte Vergleich mit einem Bescheid, durch den die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte abgelehnt wird, greift dagegen nicht durch. Die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte ist die gesonderte Feststellung einer Besteuerungsgrundlage i.S. des § 179 AO 1977, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Will ein Steuerpflichtiger Klage gegen die Eintragung eines zu niedrigen Freibetrages erheben, so steht ihm dafür die Anfechtungsklage zulässigerweise zur Verfügung (vgl. BFH-Beschluß vom 11. Mai 1973 VI B 116/72, BFHE 109, 302, BStBl II 1973, 667). Der Möglichkeit, eine statthafte Anfechtungsklage zu erheben, entspricht es, vorläufigen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Im Streitfall ist die Rechtslage jedoch eine wesentlich andere. Der Antragstellerin stünde in der Hauptsache nur die Erhebung einer Verpflichtungsklage zu. Auch ist der Bescheid vom 2. März 1993 kein solcher i.S. des § 179 AO 1977.

Fehlt es aber an einem vollziehbaren Verwaltungsakt, so kann im Streitfall einstweiliger Rechtsschutz nicht durch Aussetzung der Vollziehung gewährt werden. Der entsprechende Antrag der Antragstellerin ist unzulässig. Er war abzulehnen. Die diesen Grundsätzen nicht entsprechende Vorentscheidung war aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65086

BFH/NV 1994, 69

BStBl II 1994, 835

BFHE 174, 389

BFHE 1995, 389

BB 1994, 1628

BB 1994, 1628 (L)

DB 1994, 1859 (LT)

DStZ 1994, 634 (KT)

HFR 1994, 654-655 (LT)

StE 1994, 477-478 (K)

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