Leitsatz (amtlich)

1. Wird die ursprüngliche, für die Bemessung der Säumniszuschläge maßgebende Steuer in einem Rechtsbehelfsverfahren herabgesetzt, ermäßigen sich entsprechend die Säumniszuschläge, die wegen Nichtentrichtung der rückständigen Steuer verwirkt sind.

2. Eine Divergenz i. S. des § 11 Abs. 3 FGO liegt auch dann vor, wenn der Senat, von dessen Entscheidung der anrufende Senat abweichen will, die Zuständigkeit für seine Entscheidung nur deshalb bejaht hat, weil er die umstrittene Rechtsfrage im Gegensatz zur Auffassung des anrufenden Senats beurteilte. Es ist nicht erforderlich, daß die umstrittene Rechtsfrage auch noch für die dann von dem Senat zu treffende materiell-rechtliche Entscheidung entscheidungserheblich war.

 

Normenkette

FGO § 11 Abs. 2 S. 2, Abs. 3-4; StSäumG 1961 § 1 Abs. 1, 3, § 6 Abs. 1-2

 

Tatbestand

A.

Der IV. Senat des BFH hat mit Beschluß vom 17. April 1975 IV R 18/71 (BFHE 115, 422, BStBl II 1975, 622) dem Großen Senat gemäß § 11 Abs. 3 FGO, hilfsweise gemäß § 11 Abs. 4 FGO, folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Bleiben die wegen Nichtbezahlung eines rückständigen Steuerbetrags verwirkten Säumniszuschläge (§ 1 Abs. 1 StSäumG 1961) in unveränderter Höhe bestehen, wenn später die ursprüngliche, für die Bemessung der Säumniszuschläge maßgebliche Steuerschuld herabgesetzt wird oder entfällt?

B.

I. Der Anrufung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist freiberuflicher Ingenieur. Bei ihm wurde eine Steuerfahndungsprüfung durchgeführt. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) erließ auf Grund dieser Prüfung berichtigte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1961 bis 1963, mit denen Steuern in Höhe von insgesamt 22 542 DM nachgefordert wurden. Dieser Betrag wurde am Fälligkeitstage (13. April 1966) nicht gezahlt. Auf den Einspruch des Klägers wurde die Steuerschuld durch berichtigten Bescheid auf 10 478 DM herabgesetzt. Die herabgesetzte Steuerschuld wurde durch zwei Teilzahlungen und Umbuchungen von Überzahlungen getilgt.

Das FA forderte durch Verfügung vom 4. Januar 1967 nach § 1 Abs. 1 StSäumG 1961 Säumniszuschläge für die Zeit von der Fälligkeit bis zur Tilgung der Schuld bzw. bis zu dem Tage, an dem die Beitreibung ausgesetzt wurde, in Höhe von 1 070 DM an. Der Betrag wurde nach der ursprünglich festgesetzten Steuerschuld von 22 542 DM berechnet. Die Beschwerde des Klägers hatte nur teilweise Erfolg. Die OFD berechnete die Säumniszuschläge zwar auch nach der ursprünglichen Steuerschuld. Sie setzte sie aber auf 900 DM herab, weil das FA die Zeit, in der die Beitreibung ausgesetzt war, irrtümlich in die Berechnung einbezogen hatte. Das FG München gab in dem Urteil vom 13. Oktober 1970 II 134/67 (EFG 1971, 158) der Klage statt. Es berechnete die Säumniszuschläge nach der herabgesetzten Steuerschuld von 10 478 DM und setzte die Säumniszuschläge in Abweichung von der Beschwerdeentscheidung der OFD auf 300 DM herab. Das FG war der Auffassung, die Ermäßigung der Bemessungsgrundlage müsse mindestens in den Fällen zu einer entsprechenden Herabsetzung auch der Säumniszuschläge führen, in denen die Bemessungsgrundlage noch nicht rechtskräftig festgesetzt gewesen sei.

Das FA beantragt mit der Revision, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen. Es trägt vor, die Herabsetzung der Säumniszuschläge sei nicht gerechtfertigt.

Der BdF ist dem Revisionsverfahren nach § 122 Abs. 2 FGO beigetreten. Er schließt sich in seiner Stellungnahme der Auffassung des FA an.

II. Der IV. Senat beabsichtigt, der Revision des FA stattzugeben. Er sieht sich hieran durch den Beschluß des II. Senats des BFH vom 22. Oktober 1971 II S 8/71 (BFHE 103, 312) gehindert. Der II. Senat hat dem IV. Senat auf Anfrage mitgeteilt, daß er an seiner in diesem Beschluß vertretenen Auffassung festhält.

Der IV. Senat teilt die Auffassung des BdF, daß es bei der hier zu entscheidenden Frage nicht darauf ankommen könne, ob es sich um Säumniszuschläge auf vorläufige oder endgültig festgesetzte Steuern, auf rückständige Vorauszahlungen oder Abschlußzahlungen, auf bestandskräftig festgesetzte oder angefochtene Steuerbeträge handle. Es müsse eingeräumt werden, daß die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung in § 6 StSäumG zwischen den in Abs. 1 genannten Säumniszuschlägen und den in Abs. 2 ausdrücklich als Steuernebenleistung bezeichneten Zinsen bei Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nur geringe Aussagekraft habe. Denn den Grund dafür, daß die im Regierungsentwurf in § 6 Abs. 1 vorgesehene Gleichstellung von Säumniszuschlägen und Zinsen als Steuernebenleistung (vgl. Bundestags-Drucksache 3/2573 S. 11) nicht Gesetz geworden sei, hätten in erster Linie fiskalische Einwendungen des Bundesrats geboten (vgl. Bundestags-Drucksache 3/2573 S. 43). Der objektivierte, von der Entstehungsgeschichte losgelöste Wortlaut des § 6 StSäumG spreche jedoch für eine auch hinsichtlich der Akzessorietät unterschiedliche Behandlung der Säumniszuschläge und Zinsen. Damit stimme auch überein, daß die Rechtsprechung schon bisher die Säumniszuschläge als Druck- und Zwangsmittel besonderer Art und nicht als Steuernebenleistung oder eine Art von Verzugszinsen angesehen habe. Auch aus der Regelung hinsichtlich der Verspätungszuschläge in § 168 Abs. 2 AO könne entnommen werden, daß der Gesetzgeber es ausdrücklich ausgesprochen hätte, wenn er die Abhängigkeit des Zuschlags von "der endgültig festgesetzten Steuer" gewollt hätte. § 1 Abs. 1 StSäumG knüpfe die Pflicht zur Zahlung einer Steuer an den Ablauf des Fälligkeitstages an und schreibe vor, daß die Höhe des Säumniszuschlags nach dem rückständigen Steuerbetrag zu bemessen sei. Es spreche alles dafür, daß der Gesetzgeber, wenn er in dieser Art Fälligkeit und Steuerbetrag in Verbindung setze, als bleibenden Maßstab der Säumniszuschläge den am Fälligkeitstag rückständigen Steuerbetrag meine. Ein anderer Betrag komme im Zeitpunkt der "Verwirkung" des Säumniszuschlags schlechthin nicht in Betracht. Die damit vorhandene unterschiedliche Behandlung zum Verspätungszuschlag sei systemgerecht. Der Verspätungszuschlag solle den Steuerpflichtigen zwingen, eine Steuererklärung abzugeben. Da im Zeitpunkt des Ablaufs der Steuererklärungsfrist die Höhe der Steuerschuld noch nicht festgestellt sei, könne sich der Zuschlag nur nach dem später festzusetzenden Steuerbetrag richten. Beim Anfall von Säumniszuschlägen dagegen liege immer schon eine Steuerfestsetzung und damit eine Bemessungsgrundlage für den Zuschlag vor. Sie könne in jedem Fall die Grundlage des mit Ablauf des Fälligkeitstages kraft Gesetzes entstehenden Säumniszuschlages sein. Dafür, daß sie nach der Systematik des Gesetzes diese Grundlage auch bilden solle, und zwar endgültig, sprächen mehrere Überlegungen. Erstens verfolge das Abgabenrecht ganz allgemein das Ziel, daß Steuern alsbald nach ihrer Entstehung erfaßt, festgesetzt, gezahlt und notfalls auch beigetrieben werden sollten. Ein Kennzeichen dafür sei der Ausschluß des Suspensiveffekts bei Rechtsbehelfen, der zeige, daß es der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen habe, daß aus einem Steuerbescheid vollstreckt werde, der sich später als rechtswidrig i. S. des § 100 Abs. 1 FGO erweise. Es müsse beachtet werden, daß ein mit der Zahlung rückständiger Steuerpflichtiger die Kosten und die u. U. sehr schwerwiegenden Folgen einer Zwangsvollstreckung auch dann zu tragen habe, wenn sich nachträglich die beigetriebene Steuer als unrichtig erweise. Ähnliches gelte auch bei sofort vollziehbaren Verwaltungsakten, die strafbewehrt seien. Auch bei ihnen lasse die nachfolgende, selbst die rückwirkende Beseitigung des Verwaltungsaktes die Strafbarkeit des Verstoßes gegen diesen nachträglich als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt nach dem Beschluß des BGH vom 23. Juli 1969 -- 4 StR 371/68 (NJW 1969, 2023, 2025 re. Sp.) unberührt. Dementsprechend müsse auch ein einmal verwirkter Säumniszuschlag bestehenbleiben, selbst wenn die Steuerschuld, nach der er bemessen sei, später geändert werde. Zweitens sei die mögliche "Rechtswidrigkeit" des rückständigen Steuerbetrages im Zeitpunkt der Verwirkung des Säumniszuschlages nicht überschaubar. Diese Herabsetzung des Steuerbetrages könne noch nach jahrelanger Bestandsklaft, z. B. durch Berichtigungsbescheid, etwa auf Grund einer Betriebsprüfung, in Betracht kommen. Dabei sei völlig offen, wer "die Schuld" an der ursprünglich zu hohen Festsetzung der Steuer trage. Drittens fielen die Säumniszuschläge ohne Rücksicht auf irgend ein Verschulden an (vgl. BFH-Urteil vom 17. Januar 1964 I 256/59 U, BFHE 79, 385, BStBl III 1964, 371, und BFH-Beschluß vom 14. April 1975 VI B 72/74, BFHE 115, 95, BStBl II 1975, 452). Das sei keine willkürliche gesetzliche Regelung, zumal dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit gegeben sei, die ihm durch § 1 StSäumG drohenden Gefahren durch Antrag auf Aussetzung der Vollziehung oder auf Stundung oder auf Vollstreckungsaufschub oder bei Vorauszahlungen auf Anpassung in Grenzen zu halten. Außerdem könne in den Fällen, in denen sich die Verwirkung der Säumniszuschläge als unbillig erweise, immer noch über § 131 AO geholfen werden.

III. Stellungnahme des BdF

Der BdF hat sich in seiner Stellungnahme der Auffassung des IV. Senats in seinem Vorlagebeschluß angeschlossen. Er ist ebenfalls der Auffassung, daß die Säumniszuschläge nicht das rechtliche Schicksal der zugrunde liegenden Steuer teilten. Sie seien automatisch verwirkt, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet werde. Bemessungsgrundlage sei die rückständige Steuer. Das sei die Steuer, die nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages geleistet sei. Eine Bindung an die materiell richtige Steuerschuld bestehe nicht. Eine Änderung dieser ursprünglich festgesetzten Steuerschuld beseitige nicht den bereits eingetretenen Säumnistatbestand. Die Steuerzahlungsschuld sei unabhängig von dem Bestehen der Steuerschuld zu beurteilen. Die Regelung der Fälligkeit knüpfe ausschließlich an die Zahlungsverpflichtung des Steuerschuldners an (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1955 II 55/54 U, BFHE 61, 264, BStBl III 1955, 298). Hinsichtlich der Akzessorietät der Säumniszuschläge könne es nicht darauf ankommen, ob sich die Säumniszuschläge auf vorläufig oder endgültig festgesetzte Steuern, auf rückständige Vorauszahlungen oder Abschlußzahlungen, auf Steuerbeträge aus bestandskräftigen oder angefochtenen Steuerbescheiden beziehe. Der Gesetzgeber habe bei Rechtsbehelfen den Suspensiveffekt ausgeschlossen und bewußt in Kauf genommen, daß aus einem Steuerbescheid vollstreckt werde, dessen rechtlicher Bestand noch ungewiß sei. Die Rechtmäßigkeit eines zur Durchsetzung eines Leistungsgebots eingesetzten Zwangsmittels könne deshalb nicht davon abhängen, in welcher Höhe der Steueranspruch endgültig bestehe. Der Säumniszuschlag solle vielmehr die rechtzeitige Zahlung einer fälligen, nicht gestundeten Steuer sichern, von deren Bestehen man ausgehen könne. Dem Interesse des Steuerpflichtigen, bei angefochtenen Steuerbescheiden Säumniszuschläge zu vermeiden, sei durch die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung, der Stundung, des Vollstreckungsaufschubs oder bei Vorauszahlungen der Anpassung und schließlich eines Billigkeitserlasses Rechnung getragen. § 95 AO könne nicht angewandt werden. Es handle sich entgegen der Auffassung des II. Senats in dem Beschluß II S 8/71 bei dem Steuerbescheid nicht um einen Grundlagenbescheid für den Bescheid über die Säumniszuschläge. Im übrigen werde ein Druckmittel, dessen Anwendung im Zeitpunkt der Fälligkeit einer Steuerschuld gerechtfertigt gewesen sei, nicht dadurch unangemessen, daß nachträglich eine niedrigere Steuerschuld festgesetzt werde. Schließlich sei darauf hinzuweisen, daß nach dem Beschluß des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags (vgl. Bundestags-Drucksache 7/4292) in dem Entwurf des § 240 Abs. 1 letzter Satz der neuen Abgabenordnung ausdrücklich zum Zweck der Klarstellung bestimmt worden sei, daß im Falle der Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung oder Steuervergütung die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge bestehenblieben.

 

Entscheidungsgründe

C.

Entscheidung des Großen Senats

I. Zulässigkeit der Anrufung und Besetzung des Großen Senats.

1. Der IV. Senat hat die Anrufung in erster Linie auf § 11 Abs. 3 FGO und nur hilfsweise auf § 11 Abs. 4 FGO gestützt. Der II. Senat hat auf Anfrage erklärt, daß er beschlossen habe, einen weiteren Richter zu den Sitzungen des Großen Senats nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO zu entsenden. Die Zulässigkeit der Entsendung dieses Richters hängt davon ab, daß die Anrufung nach § 11 Abs. 3 zulässig ist. Denn nur in diesem Fall kommt nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO die Entsendung eines weiteren Richters durch den Senat, von dessen Entscheidung der vorlegende Senat abweichen will, in Betracht. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet der Große Senat in der Besetzung des § 11 Abs. 2 Satz 1 FGO (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 27. Mai 1968 GrS 1/68, BFHE 92, 188, BStBl II 1968, 473). Ein Fall, in dem über mehrere Fragen in verschiedener Besetzung zu entscheiden wäre, so daß in der Besetzung des § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO entschieden werden könnte (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 16. Juli 1968 GrS 7/67, BFHE 94, 124, BStBl II 1969, 108), liegt nicht vor.

2. Für die Zulässigkeit einer Anrufung des Großen Senats nach § 11 Abs. 3 FGO ist Voraussetzung, daß die vorgelegte Rechtsfrage sowohl für die Entscheidung des Senats, von der der anrufende Senat abweichen will, als auch für die Entscheidung des anrufenden Senats entscheidungserheblich ist. Der Große Senat hält die erste Voraussetzung, nämlich die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage für den Beschluß des II. Senats II S 8/71 für erfüllt. Er ist in Übereinstimmung mit der Auffassung des IV. Senats der Meinung, daß der II. Senat sich nur dann als Gericht der Hauptsache i. S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO ansehen und damit zu der von ihm getroffenen Entscheidung gelangen konnte, wenn er die Akzessorietät der Säumniszuschläge zur Steuerschuld bejahte. Der II. Senat hätte also, wenn er diese Frage verneint hätte, sich nicht für zuständig ansehen und damit über die Aussetzung der Vollziehung der Säumniszuschläge nicht entscheiden können. Für eine Anwendung des § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO wäre dann kein Raum gewesen. Das reicht für die Annahme einer Divergenz i. S. des § 11 Abs. 3 FGO aus. Der Große Senat hält es nicht für erforderlich, daß diese Frage auch für die dann vom II. Senat zu treffende materiell-rechtliche Entscheidung entscheidungserheblich war. Die vom II. Senat beschlossene Entsendung eines weiteren Richters ist deshalb nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO zulässig.

II. Entscheidung der vorgelegten Rechtsfrage.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Säumniszuschläge weder Steuern noch steuerartige Abgaben; sie haben auch nicht den Charakter von Steuerzinsen. Ihr Zweck besteht darin, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anzuhalten (vgl. zuletzt BFH-Urteile vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727; vom 21. September 1973 III R 153, 154/72, BFHE 110, 318, BStBl II 1974, 17, und die dort zitierten Entscheidungen). Die Säumniszuschläge entstehen bei Nichtzahlung der Steuer bis zum Fälligkeitstag kraft Gesetzes, ohne daß es auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen ankommt. Das ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 StSäumG 1961, wonach bei Nichtzahlung ein Säumniszuschlag "verwirkt" ist (vgl. auch BFH-Urteil I 256/59 U). Die Festsetzung oder Anforderung des Säumniszuschlags durch das FA ist deshalb keine Ermessenssache (so auch z. B. das BFH-Urteil vom 23. September 1960 III 43/59, StRK, Lastenausgleichsgesetz, § 16, Rechtsspruch 5). Die Säumniszuschläge können nach der gegenüber dem Regierungsentwurf geänderten Fassung des § 6 Abs. 1 und 2 StSäumG 1961 auch nicht mehr als Nebenleistungen der Steuer angesehen werden (so auch BFH-Urteil III R 153, 154/72, unter 2 a). Es besteht jedoch, wie der BFH in dem Beschluß vom 21. Juli 1972 VI S 5/72 (BFHE 106, 186, BStBl II 1972, 737, vgl. dazu auch das BFH-Urteil III R 153, 154/72 unter 2 d) ausgeführt hat, ein enger Zusammenhang zwischen Säumniszuschlag und Steuer.

2. Bemessungsgrundlage für den Säumniszuschlag ist nach § 1 Abs. 1 StSäumG 1961 "der rückständige Steuerbetrag". Das kann, wenn man den Zweck der Erhebung von Säumniszuschlägen berücksichtigt, zunächst nur der Steuerbetrag sein, der auf Grund der Steuerfestsetzung am Fälligkeitstage geschuldet, aber nicht entrichtet worden ist. Der Große Senat stimmt deshalb dem IV. Senat darin zu, daß der Säumniszuschlag am Fälligkeitstag nach diesem Maßtab entsteht. Er teilt jedoch nicht die Auffassung des IV. Senats, daß der einmal kraft Gesetzes verwirkte Säumniszuschlag auf jeden Fall in unveränderter Höhe bestehen bleiben muß.

a) Für die Frage, ob und inwieweit eine Akzessorietät der Säumniszuschläge zur Steuer besteht, läßt sich, wie auch der IV. Senat und der BdF einräumen, aus dem Steuersäumnisgesetz 1961 selbst unmittelbar nichts entnehmen. Das gilt für die Neufassung des § 6 Abs. 2 des Gesetzes, in dem die Säumniszuschläge nicht mehr wie früher als Nebenleistungen der Steuer bezeichnet werden, weil diese Änderung mit der Änderung des § 6 Abs. 1 des Gesetzes in Zusammenhang steht und diese wiederum auf rein fiskalischen Erwägungen beruht. Es gilt auch für § 1 Abs. 1 des Gesetzes, während § 1 Abs. 3 des Gesetzes eher für eine Akzessorietät als gegen sie spricht. Der Große Senat verkennt nicht, daß die vom IV. Senat in seinem Anrufungsbeschluß (vgl. oben zu B II) und vom BdF in seiner Stellungnahme (vgl. oben zu B III) aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Abgabenrechts und anderer Rechtsgebiete abgeleiteten Gründe, die gegen die Annahme einer Abhängigkeit der Säumniszuschläge von der Steuer sprechen sollen, gewichtig sind. Sie können jedoch bei der Beantwortung der vorgelegten Rechtsfrage in der vorliegenden Sache nicht den Ausschlag geben. Denn es ist zu beachten, daß der IV. Senat in dem bei ihm anhängigen Revisionsverfahren nur darüber zu entscheiden hat, ob ein Säumniszuschlag, der nach einer noch nicht bestandskräftig festgesetzten Steuer bemessen ist, herabzusetzen ist, wenn diese Steuer in einem Rechtsbehelfsverfahren ermäßigt wird. Diese Frage ist aus folgenden Gründen zu bejahen: Solange eine Steuerfestsetzung noch nicht bestandskräftig geworden ist, steht sie unter dem Vorbehalt einer Änderung in dem anhängigen Rechtsbehelfsverfahren. In dem Rechtsbehelfsverfahren wird darüber entschieden, ob und inwieweit der Steuerpflichtige in seinen Rechten verletzt ist. Soweit eine Rechtsverletzung bejaht wird, ist die Steuerfestsetzung rechtswidrig und muß aufgehoben werden. Diese Aufhebung wirkt auf den Tag der Entstehung der Steuerschuld nach § 3 StAnpG zurück. Deshalb kann, solange die Steuerfestsetzung noch nicht bestandskräftig ist, unter dem Begriff "rückständiger Steuerbetrag" i. S. des § 1 Abs. 1 StSäumG 1961 nur der Steuerbetrag verstanden werden, der schließlich in Rechtskraft erwächst.

b) Der Große Senat ist der Auffassung, daß die zu a) dargelegten Gründe nur für die Bejahung einer Akzessorietät der Säumniszuschläge zu der Steuer bei einer nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzung ausschlaggebend sind. Mit ihnen kann insbesondere nicht die Akzessorietät der Säumniszuschläge bei einer rechtskräftig gewordenen Steuerfestsetzung begründet werden. Der Große Senat ist deshalb der Meinung, daß er die vorgelegte Rechtsfrage auch nur für Säumniszuschläge auf noch nicht bestandskräftige Steuerfestsetzungen beantworten kann. Er kann im vorliegenden Verfahren nicht entscheiden, ob in anderen Fällen bestandskräftiger Steuerfestsetzungen die Akzessorietät der Säumniszuschläge gleichfalls zu bejahen ist. Die Rechtslage ist hier anders als im Falle des Beschlusses des Großen Senats vom 26. November 1973 GrS 5/71 (BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132). Denn dort lag es in der Zuständigkeit des anrufenden Senats, im Rahmen einer möglichen Auslegung des Gesetzes die auch für andere Fälle maßgebenden übergeordneten Rechtssätze zu bestimmen, aus denen er seine Entscheidung ableitet. Der vorlegende Senat war dort zutreffend davon ausgegangen, daß die vorgelegte Rechtsfrage für zum Privatvermögen gehörende Gebäudeteile ebenso entschieden werden muß wie für die entsprechenden Gebäudeteile im Betriebsvermögen.

c) Die Entscheidung gilt in ihrem eingeschränkten Umfang auch, wenn noch nicht bestandskräftig festgesetzte Vorauszahlungen in einem Rechtsbehelfsverfahren herabgesetzt werden. Der Große Senat läßt jedoch ausdrücklich die vom Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 26. Oktober 1973 VII C 25.72 (BStBl II 1974, 279) entschiedene Frage offen, ob Säumniszuschläge auf Vorauszahlungen auch dann herabzusetzen sind, wenn die endgültig festgesetzte Steuerschuld kleiner ist als die Summe der Vorauszahlungen. Eine Anrufung des Gemeinsamen Senats nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl I 1968, 661) ist deswegen nicht erforderlich.

III. Aus den dargelegten Gründen entscheidet der Große Senat die vorgelegte Rechtsfrage wie folgt:

Wird die ursprüngliche, für die Bemessung der Säumniszuschläge maßgebende Steuer in einem Rechtsbehelfsverfahren herabgesetzt, ermäßigen sich entsprechend die Säumniszuschläge, die wegen Nichtentrichtung der rückständigen Steuer verwirkt sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71599

BStBl II 1976, 262

BFHE 117, 352

BFHE 1976, 352

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge