Entscheidungsstichwort (Thema)

Mantelkaufregelungen teilweise verfassungswidrig; unzulässige Rückwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

Es wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung (BGBl I 1997, 3121, BStBl I 1998, 7) insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) für Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität --gemessen an den Maßstäben der Neuregelung-- vor dem 1. Januar 1997 verloren haben, bereits 1997 anzuwenden ist, dagegen für Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August verloren haben, erst im Jahr 1998.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14, 20 Abs. 3; KStG 1996 § 8 Abs. 4, § 54 Abs. 6; KStG 1999 § 34 Abs. 6

 

Verfahrensgang

FG Köln (Entscheidung vom 20.01.2004; Aktenzeichen 13 K 5241/02; EFG 2005, 565)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 01.04.2014; Aktenzeichen 2 BvL 2/09)

 

Tatbestand

A. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, war bei ihrer Gründung im Jahre 1994 die Herstellung und der Vertrieb von visuellen Programmen jeder Art zur Verwendung auf allen Trägern einschließlich Film, Fernsehen und neuen Medien, insbesondere Video und CD. Sie erwarb Auswertungsrechte für Videos, CD's, CD-ROM's und CDI's, hauptsächlich im esoterischen und astrologischen Themenbereich und bot entsprechende Videos in Fachzeitschriften einem speziell interessierten Publikum an. Ihre Gesellschafter waren im Jahre 1994 G und A mit jeweils 12 500 DM und K mit 25 000 DM des Stammkapitals von 50 000 DM.

Mit Vertrag vom 20. Dezember 1995 hatte A ihren Anteil von 12 500 DM auf G übertragen. Zugleich wurde das Kapital um 100 000 DM erhöht und von G und K jeweils hälftig übernommen, so dass nunmehr beide Gesellschafter mit je 75 000 DM an der Klägerin beteiligt waren.

1995 erwirtschaftete die Klägerin erhebliche Verluste. Am 26. Juni 1996 schloss sie einen Vertrag mit der X-Gruppe, in dem sie sich verpflichtete, für diese Prospekte, Kataloge, Handzettel und Plakate herzustellen. K übertrug ihren Gesellschaftsanteil mit Vertrag vom 18. Juli 1996 auf G. Die Rechte an den Filmen sowie noch vorhandene Filme verkaufte die Klägerin am 16. April 1996.

1996 wurden der Klägerin erhebliche Konzessionen und gewerbliche Schutzrechte (31. Dezember 1996: 889 978 DM, 31. Dezember 1995: 100 000 DM) sowie Anlagen, Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattung (31. Dezember 1996: 2 278 466 DM, zum 31. Dezember 1995: 20 429 DM) zugeführt. Ferner erhöhten sich der Personalaufwand (1996: 726 310,45 DM; 1995: 37 204,29 DM) und die sonstigen betrieblichen Aufwendungen (z.B. Raumkosten 1996: 106 435,32 DM; 1995: 19 152 DM) beträchtlich. Die Umsatzerlöse steigerten sich von 127 011,37 DM (1995) auf 1 666 064,72 DM im Jahr 1996.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte den auf den 31. Dezember 1996 festgestellten Verlustabzug bei der Körperschaftsteuer 1997 und im Bescheid zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 1997 nicht, da er der Auffassung war, die Klägerin habe ihre wirtschaftliche Identität i.S. von § 8 Abs. 4 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG) vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) i.V.m. § 54 Abs. 6 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997 (BGBl I 1997, 3121, BStBl I 1998, 7 --KStG 1996 i.d.F. des RVFinG--, nunmehr § 34 Abs. 6 KStG 1999 i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes --StSenkG-- vom 23. Oktober 2000, BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428), verloren. Mit ihrer dagegen gerichteten Klage machte die Klägerin u.a. geltend, § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG sei nicht anwendbar, weil die Anteilsübertragung bereits 1996 abgeschlossen gewesen sei.

Das Finanzgericht (FG) Köln wies die Klage mit Urteil vom 20. Januar 2004  13 K 5241/02, veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 565, ab. Es war der Auffassung, wegen der ab 1997 geltenden verschärften Voraussetzungen für den Verlustabzug bestehe keine Bindung an den auf den 31. Dezember 1996 gesondert festgestellten vortragsfähigen Verlust. Nach dem eindeutigen Wortlaut erfasse die Neuregelung alle Altfälle. Nur für den Sonderfall eines Identitätsverlusts im Jahr 1997 werde eine abweichende Regelung getroffen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis bestünden nicht.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, das Urteil des FG verstoße gegen materielles Recht, da es § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG i.V.m. § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG anwende, obwohl der Verlust der wirtschaftlichen Identität in einem Veranlagungszeitraum vor 1997 liege.

Sie beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid 1997 und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 1997 vom 18. Juni bzw. 4. September 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. August 2002 dahingehend zu ändern, dass der auf den 31. Dezember 1996 festgestellte Verlust in Höhe von 454 192 DM berücksichtigt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das im Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf entsprechende Aufforderung durch den Senat (Beschluss vom 6. April 2005 I R 95/04, BFHE 209, 350) beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat sich in der Sache dem FA angeschlossen, jedoch keine eigenen Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

B. Das durch Beschluss des Senats vom 19. Juli 2006 gemäß § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten zum Ruhen gebrachte Revisionsverfahren ist fortzuführen. Der Ruhensgrund ist entfallen, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Beschluss vom 15. Januar 2008  2 BvL 12/01 (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2008, 556) über die ihm vom Senat durch Senatsbeschluss vom 18. Juli 2001 I R 38/99 (BFHE 196, 232, BStBl II 2002, 27) nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zur Vorabentscheidung vorgelegte Rechtsfrage entschieden hat.

C. Infolge der vom Senat angenommenen Verfassungswidrigkeit von § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG war das Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen.

Nach Überzeugung des Senats ist die zu § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG ergangene Anwendungsregelung des § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG jedenfalls insoweit verfassungswidrig, als für Körperschaften, die nach Maßgabe der Neufassung ihre wirtschaftliche Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August verloren haben, die Neufassung erst ab 1998, für Körperschaften, die nach Maßgabe der Neufassung ihre wirtschaftliche Identität vor dem 1. Januar 1997 verloren haben, die Neufassung jedoch bereits 1997 gelten soll. Diese Regelung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

I. Rechtsentwicklung der im Streitfall maßgeblichen Vorschriften

Das Körperschaftsteuergesetz enthielt zunächst keine § 8 Abs. 4 KStG entsprechende Regelung. Jedoch war nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 19. Dezember 1973 I R 137/71, BFHE 111, 155, BStBl II 1974, 181; vom 17. Mai 1966 I 141/63, BFHE 86, 369, BStBl III 1966, 513; vom 15. Februar 1966 I 112/63, BFHE 85, 217, BStBl III 1966, 289) bei einer Kapitalgesellschaft der Verlustabzug zu versagen, wenn sie vor einem grundlegenden Gesellschafterwechsel ihre wesentlichen Geschäftsgrundlagen und Vermögenswerte verloren hatte und durch die Zuführung von Mitteln der Neugesellschafter wirtschaftlich wieder belebt wurde. Diese Rechtsprechung wollte verhindern, dass Verlustvorträge gemäß § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Veräußerung der Geschäftsanteile im wirtschaftlichen Ergebnis verkauft werden (sog. Mantelkauf).

Mit Urteilen vom 29. Oktober 1986 I R 202/82 (BFHE 148, 153, BStBl II 1987, 308) und I R 318-319/83 (BFHE 148, 158, BStBl II 1987, 310) gab der Senat diese Rechtsprechung auf, da sie weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 10d EStG entnommen werden könne.

Als Reaktion hierauf wurde § 8 Abs. 4 erstmals durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) in das Körperschaftsteuergesetz aufgenommen. Danach ist Voraussetzung für den Verlustabzug nach § 10d EStG bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Wirtschaftliche Identität liegt insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als drei Viertel der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Gesellschaft danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen wieder aufnimmt. Hierdurch sollte verhindert werden, dass Verlustvorträge von vermögenslosen Kapitalgesellschaften durch Veräußerung der Geschäftsanteile und Zuführung neuer Mittel auf neue Unternehmen übertragen werden konnten (s. BTDrucks 11/2157, S. 171).

Durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform wurde § 8 Abs. 4 KStG 1996 geändert. Zum einen ist nach der Neufassung eine Anteilsübertragung bereits schädlich, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an der Kapitalgesellschaft übertragen werden. Ferner ist nicht mehr die Einstellung und Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes erforderlich. Ausreichend ist vielmehr, dass der Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortgeführt wird.

Die Neufassung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 ging auf eine Initiative des Vermittlungsausschusses zurück (vgl. BTDrucks 13/8325, S. 4, sowie Beschluss des Senats in BFHE 196, 232, BStBl II 2002, 27) und sollte erstmals für den Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden sein (§ 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform). Da eine Änderung des Körperschaftsteuergesetzes im Gesetzgebungsverfahren zunächst nicht beabsichtigt war (s. dazu Senatsbeschluss vom 22. August 2006 I R 25/06, BFHE 214, 424, BStBl II 2007, 793), gibt es hierzu keine Begründung. Das Gleiche gilt für die Anwendungsregelung des § 54 Abs. 6 KStG 1996 (nunmehr § 34 Abs. 6 KStG 1999 i.d.F. des StSenkG), die durch das Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung ihre jetzige Fassung erhalten hat. Danach ist § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG erstmals für den Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden. Ist der Verlust der wirtschaftlichen Identität aber erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August eingetreten, gilt die Neufassung erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1998. Bei dem Stichtag (5. August 1997) handelt es sich um jenen Tag, an dem der Bundestag das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform beschlossen hat (vgl. Plenarprotokoll der Sitzung des Deutschen Bundestages 13/186, S. 16860).

II. Einfachgesetzliche Rechtslage

Die Revision der Klägerin ist unbegründet, wenn § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG i.V.m. § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG verfassungsgemäß ist. Sie hat jedoch Erfolg, wenn § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und der Gesetzgeber die bestehende Vertrauensschutzregelung auf Körperschaften ausdehnt, die ihre wirtschaftliche Identität vor dem 1. Januar 1997 verloren haben.

1. Wie ausgeführt, ist Voraussetzung für den Verlustabzug nach § 10d EStG, dass die Körperschaft, die den Verlust geltend machen will, nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG 1996 in seinen hier streitigen Fassungen definiert die "wirtschaftliche Identität" einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft, wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist (BFH-Urteile vom 22. Oktober 2003 I R 18/02, BFHE 204, 273, BStBl II 2004, 468, und vom 13. August 1997 I R 89/96, BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829). Nach dem Regelbeispiel der bis einschließlich 1996 geltenden Fassung des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität insbesondere dann, wenn mehr als 75 v.H. (drei Viertel) aller Geschäftsanteile übertragen werden und die Gesellschaft danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen wieder aufnimmt.

Die Klägerin hat hiernach ihre wirtschaftliche Identität im Jahr 1996 nicht verloren, da nicht mehr als 75 v.H. aller Geschäftsanteile übertragen wurden. Zwar kann der Verlust der wirtschaftlichen Identität auch dann eintreten, wenn nicht mehr als 75 v.H. aller Geschäftsanteile übertragen werden, jedoch der Anteilserwerber eine Rechtsposition erhält, die mit der eines Gesellschafters wirtschaftlich vergleichbar ist, der mehr als 75 v.H. der Geschäftsanteile einer Kapitalgesellschaft hält (BFH-Urteil in BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829). Ein derartiger Sachverhalt liegt hier jedoch nicht vor.

Da die Klägerin durch die Anteilsübertragung und die Zuführung neuen Betriebsvermögens ihre wirtschaftliche Identität im Jahr 1996 nicht eingebüßt hat, hat das FA zu Recht den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 1996 festgestellt.

2. Die Klägerin kann diesen Verlust jedoch im Streitjahr 1997 nicht mehr geltend machen, weil sie nach den Maßstäben des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG mit der Kapitalgesellschaft, die den Verlust erlitten hat, wirtschaftlich nicht mehr identisch ist und diese Vorschrift bereits 1997 anwendbar ist.

a) Nach der Neuregelung geht die wirtschaftliche Identität schon dann verloren, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und der Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Zum einen hat G am 20. Dezember 1995, bezogen auf das damalige Stammkapital der Klägerin, 25 % der Anteile von A, darüber hinaus am 18. Juli 1996 weitere 50 % von K erworben. Im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Anteilsübertragung (vgl. Senatsurteile vom 29. April 2008 I R 91/05, BFH/NV 2008, 1965, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; vom 14. März 2006 I R 8/05, BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602) wurde der Klägerin in erheblichem Umfang neues Betriebsvermögen zugeführt und mit einem anderen Geschäftsgegenstand der Betrieb fortgeführt.

b) § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG ist --seine Wirksamkeit vorausgesetzt-- bei der Besteuerung der Klägerin für das Streitjahr anzuwenden.

Nach § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG (nunmehr § 34 Abs. 6 KStG 1999 i.d.F. des StSenkG) ist § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG erstmals für den Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden. Ist der Verlust der wirtschaftlichen Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August eingetreten, gilt die Neufassung erstmals für den Veranlagungszeitraum 1998.

aa) Wie der Senat bereits in seinen Beschlüssen in BFHE 196, 232, BStBl II 2002, 27 und in BFHE 209, 350 im Einzelnen ausgeführt hat, wird § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG (§ 34 Abs. 6 KStG 1999 i.d.F. des StSenkG) unterschiedlich ausgelegt. Während ein Teil des Schrifttums die Auffassung vertritt, der Verlustabzug richte sich ausnahmslos nach § 8 Abs. 4 KStG 1996, wenn die wirtschaftliche Identität --gemessen an § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG-- erstmals vor dem 6. August 1997 verloren gegangen ist (z.B. Ulbrich, DStR 1998, 445; Füger/Rieger, DStR 1998, 64 und 1153; Plewka/ Höppner, Neue Wirtschafts-Briefe, Fach 2, 6899, 6905), vertritt die Gegenmeinung im Einklang mit der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 16. April 1999, BStBl I 1999, 455, Tz. 35) die Auffassung, Satz 2 der Vorschrift solle keine Ausnahme für den Verlust der wirtschaftlichen Identität allgemein vorsehen, sondern lediglich für den erstmaligen Verlust im Jahr 1997 (vgl. z.B. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8 KStG Rz 182c; Bott in Ernst & Young, KStG, § 34 Rz 77; B. Lang in Ernst & Young, a.a.O., § 8 Rz 1302 ff., sowie weitere Nachweise in BFHE 196, 232, BStBl II 2002, 27). Schließlich wird § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG dahingehend ausgelegt, dass der "Verlust der wirtschaftlichen Identität" in allen Fällen, in denen er sich nur aus der Neufassung des Gesetzes ergibt, erst mit dem Inkrafttreten dieser Neufassung eintritt und somit alle "Altfälle" unter die Vertrauensschutzregelung des § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG fallen (Roser in Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 8 Rz 1489). § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG wäre danach für alle "Altfälle" erst ab 1998 anzuwenden.

bb) § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG (§ 34 Abs. 6 KStG 1999 i.d.F. des StSenkG) ist nach Auffassung des Senats im Sinne der Finanzverwaltung und der dieser zustimmenden Literatur auszulegen. § 8 Abs. 4 KStG i.d.F. des UntStRFoG gilt demnach bereits im Veranlagungszeitraum 1997 auch für solche Körperschaften, die --wie die Klägerin-- nach den Maßstäben der Neuregelung ihre wirtschaftliche Identität bereits vor dem 1. Januar 1997 verloren haben. Lediglich für diejenigen Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August verloren haben, ist § 8 Abs. 4 KStG 1996 erst ab dem Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden. Der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG lassen hinreichend klar erkennen, dass er auf den Zeitpunkt des Verlustabzugs und nicht auf den Zeitpunkt des Verlusts der wirtschaftlichen Identität abstellt (s. im Einzelnen die Ausführungen unter C.III.3.).

III. Verfassungsrechtliche Beurteilung

§ 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG, nach dem nur bei Körperschaften, bei denen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August verwirklicht wurden, die erstmalige Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG auf das Jahr 1998 hinausgeschoben wird, nicht dagegen bei denjenigen Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität bereits vor dem 1. Januar 1997 verloren haben, verletzt Art. 3 Abs. 1 GG.

1. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 21. Juni 2006  2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164). Dabei ist es Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinne als gleich ansehen will. Der Gesetzgeber muss allerdings eine Auswahl sachgerecht treffen (BVerfG-Beschlüsse vom 8. April 1987  2 BvR 909, 934, 935, 936, 938, 941, 942, 947/82, 64/83 und 142/84, BVerfGE 75, 108, 156; vom 12. Februar 2003  2 BvL 3/00, BVerfGE 107, 218, 244).

2. a) Körperschaften, die --nach den Maßstäben der Neuregelung-- ihre wirtschaftliche Identität bereits vor dem 1. Januar 1997 verloren haben, können nach der Anwendungsregelung ihre Verluste im Jahr 1997 nicht geltend machen, während Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August verloren haben, einen Verlustvortrag im Jahr 1997 nutzen können. Ein hinreichend sachlicher Grund für diese Benachteiligung ist nicht ersichtlich.

b) Auch wenn eine Begründung der Gesetzesinitiative fehlt, ist offenkundig, dass der an § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG angefügte Satz 2 Vertrauensschutz in Fällen gewähren will, in denen die wirtschaftliche Identität im Jahr 1997 vor dem Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses verloren gegangen ist. Der Gesetzgeber hat damit auf die im Schrifttum geäußerte Kritik an § 54 Abs. 6 KStG 1996 in seiner ursprünglichen Fassung des UntStRFoG reagiert, nach der die Neuregelung in § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG unterschiedslos ab dem Veranlagungszeitraum 1997 gelten sollte. Hielt der Gesetzgeber aber eine das Vertrauen in die bisherige Rechtslage schützende Übergangsregelung in diesen Fällen für geboten, ist nicht erkennbar, weswegen Körperschaften, die --gemessen an der Neuregelung-- ihre wirtschaftliche Identität bereits vor dem 1. Januar 1997 verloren haben, weniger schutzwürdig sein sollen als die Körperschaften, bei denen dies erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August der Fall war. Beide haben sich an der bisherigen Rechtslage orientiert (Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2001 I R 58/01, BFHE 197, 248, BStBl II 2002, 395).

c) Soweit das BMF vorträgt, die Benachteiligung der Unternehmen, die nach der Neuregelung ihre wirtschaftliche Identität bereits vor dem 1. Januar 1997 verloren haben, sei deshalb gerechtfertigt, weil diese mindestens einmal ihre Verluste hätten geltend machen können, ist dem nicht zu folgen. Die Möglichkeit der Verlustverrechnung mit künftig anfallenden Gewinnen in diesen Fällen entsprach geltendem Recht. Sie war keine Maßnahme des Vertrauensschutzes und war daher nicht geeignet, das Vertrauen in den Fortbestand der geltenden Rechtslage zu mindern. Diese Körperschaften erscheinen eher schutzwürdiger als diejenigen, die den Tatbestand des § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August verwirklicht haben, da ihr Vertrauen in die bestehende Rechtslage zusätzlich durch den Ablauf mindestens eines Veranlagungszeitraums sowie gegebenenfalls den Erlass eines rechtmäßigen Verwaltungsakts (Feststellungsbescheid gemäß § 8 Abs. 1 KStG 1996, § 10d EStG zum 31. Dezember 1996) bekräftigt wurde, nach dem sie die festgestellten Verluste mit künftigen Gewinnen verrechnen können.

Es kann auch nicht unterstellt werden, dass die Neuregelung diese Unternehmen wirtschaftlich weniger hart trifft. Insbesondere in Fällen, in denen der Verlust der wirtschaftlichen Identität nach den Maßgaben der Neuregelung erst Ende 1996 eingetreten ist, konnten die Verluste regelmäßig noch nicht genutzt werden. Da die Gesetzesänderung nicht angekündigt wurde, haben die betroffenen Körperschaften auch keine Maßnahmen zur Aufdeckung eventuell vorhandener stiller Reserven ergreifen können.

d) Diese Beurteilung gilt unabhängig davon, ob der Gesetzgeber verpflichtet war, aus rechtsstaatlichen Gründen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) eine Übergangsregelung zu schaffen oder ob er auch berechtigt gewesen wäre, die Neuregelung übergangslos auf alle "Altfälle" anzuwenden. Denn entschließt sich der Gesetzgeber zu einem bestimmten Regelungskonzept --hier: zu einer Übergangsregelung-- muss er diese Entscheidung folgerichtig weiterverfolgen. Er darf daher nicht eine Person oder Gruppe, die unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes eher schutzwürdiger erscheint, gegenüber einer anderen Person oder Gruppe benachteiligen (BVerfG-Urteil vom 30. Juli 2008  1 BvR 3262/07, 402/08, 906/08, BGBl I 2008, 1686; Beschluss in BVerfGE 116, 164, 180 f., jeweils m.w.N.).

3. Die Anwendungsregelung lässt eine verfassungskonforme Auslegung nicht zu.

a) Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z.B. Beschlüsse vom 17. März 1993  1 BvR 720/90, BVerfGE 88, 144, 166; vom 7. April 1997  1 BvL 11/96, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1997, 2230, m.w.N.).

b) Eine Auslegung des § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG dahingehend, dass § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG für Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität nach den Maßstäben der Neuregelung vor dem 1. Januar 1997 verloren haben, überhaupt nicht gilt, ist nicht möglich. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut als auch der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.

Wie ausgeführt, war § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG ursprünglich unterschiedslos bereits im Veranlagungszeitraum 1997 anwendbar. Dies wurde in der Literatur kritisiert; dabei wurde insbesondere die rückwirkende Zerstörung der steuerlichen Dispositionsgrundlagen beklagt (z.B. Rödder, DStR 1997, 1425; Blumers/Beinert, Betriebs-Berater --BB-- 1997, 1880 f.; Goutier/Müller, BB 1997, 2242; Orth, Der Betrieb --DB-- 1997, 2242; Füger/Rieger, DStR 1997, 1427). Der Gesetzgeber fügte daraufhin durch das Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997 in § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG einen Satz 2 an, nach dem § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG erstmals im Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden ist, wenn der Verlust der wirtschaftlichen Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August eingetreten ist. Die ursprünglich in § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG getroffene allgemeine Anwendungsregelung wurde in diesem Zusammenhang hingegen nicht geändert. Daraus kann nur geschlossen werden, dass für die nicht von § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG erfassten "Altfälle" die Neuregelung weiterhin bereits im Jahr 1997 anwendbar sein sollte.

c) Ebenso wenig ist eine Auslegung dahingehend möglich, dass § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG für Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität nach den Maßstäben der Neuregelung vor dem 1. Januar 1997 verloren haben, erst ab 1998 gilt. Die Formulierung in § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG, nach der in Fällen, in denen der Verlust der wirtschaftlichen Identität "erstmals" im Jahr 1997 vor dem 6. August eingetreten ist, § 8 Abs. 4 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1998 gilt, schließt es aus, auch Körperschaften einzubeziehen, die ihre wirtschaftliche Identität "erstmals" vor diesem Zeitraum verloren haben.

IV. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

Im Rahmen des anhängigen Revisionsverfahrens ist eine abschließende Sachentscheidung zu treffen. Ist die Anwendungsregelung verfassungsgemäß, ist die Revision der Klägerin unbegründet. Hält das BVerfG hingegen § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG für verfassungswidrig und erklärt es die Vorschrift insoweit für unvereinbar mit dem Grundgesetz, muss der Gesetzgeber eine neue Regelung treffen. Für die Klägerin besteht die Chance, dass der Gesetzgeber --sofern er hierzu nicht bereits aus rechtsstaatlichen Gründen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet ist-- eine neue Regelung trifft, die die bestehende Vertrauensschutzregelung auf Körperschaften erstreckt, die ihre wirtschaftliche Identität vor dem 1. Januar 1997 verloren haben. In diesem Fall wäre die Revision der Klägerin erfolgreich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2098235

BFH/NV 2009, 500

BFH/PR 2009, 150

BFHE 2008, 105

DB 2009, 263

DStR 2009, 161

DStRE 2009, 188

HFR 2009, 375

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