Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Nacherhebungsverordnung

 

Leitsatz (NV)

1. Art. 8 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1697/79 des Rates ist nicht anwendbar, wenn die Post die Waren unmittelbar ohne Einschaltung der Zollverwaltung an die Empfänger ausgeliefert hat. Keine Abweichung vom Urteil des Senats vom 3. Mai 1990 VII R 71/88 (BFHE 161, 260).

2. Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor, wenn das Finanzgericht nach dem Verzicht auf mündliche Verhandlung ohne eine solche entscheidet. Die Wirksamkeit des Verzichts auf die mündliche Verhandlung hängt nicht von den Vorstellungen des Beteiligten darüber ab, daß das Gericht bei einer bestimmten Meinung bleibt.

 

Normenkette

EWGV 1697/79 Art. 8 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das Urteil des Finanzgerichts (FG), wonach die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1979 Nr. L 197/1) nicht in Betracht kommt, wenn die Post die Waren unmittelbar ohne Einschaltung der Zollverwaltung an die Empfänger ausgeliefert hat, weicht nicht vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Mai 1990 VII R 71/88 (BFHE 161, 260, 265 f.) ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Denn anders als in dem vom FG entschiedenen Fall wurden in jenem Fall die im Reiseverkehr eingeführten Waren der zuständigen Zollstelle gestellt, so daß diese mit dem Einfuhrvorgang befaßt war und die Waren freigegeben hat.

Das Urteil beruht nicht deshalb auf einem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), weil das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat auf mündliche Verhandlung verzichtet. Dieser Verzicht ist grundsätzlich nicht frei widerruflich (BFH-Urteile vom 26. Oktober 1970 III R 122/66, BFHE 101, 49, BStBl II 1971, 201; vom 26. November 1970 IV R 131/69, BFHE 101, 61, BStBl II 1971, 241; vom 4. April 1974 V R 161/72, BFHE 112, 316, BStBl II 1974, 532). Seine Wirksamkeit ist auch nicht von den Vorstellungen des Beteiligten abhängig, die diesen zu der Verzichtserklärung veranlaßt haben, auch nicht von der, daß das Gericht bei einer geäußerten Meinung bleibe (vgl. Urteil des Senats vom 5. September 1989 VII R 62/87, BFH/NV 1990, 348, 351). Andererseits ist das FG nicht an den Verzicht gebunden und muß eine mündliche Verhandlung anberaumen, wenn sonst das Recht auf Gehör eines der Beteiligten verletzt würde (Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 90 FGO Tz. 3-4; Bundessozialgericht, Urteil vom 13. Januar 1966 - 9 RV 428/65, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966, 474). Hier ist dieser Fall aber nicht gegeben. Der Klägerin war die Bedeutung der streitigen Rechtsfrage für die Vorentscheidung und die von der ihren abweichende Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt) bekannt; sie hat sich dazu geäußert und erst nach dem Hinweis des FG, daß es in dem Rechtsstreit ,,ausschließlich" um die Entscheidung dieser Rechtsfrage gehe, auf die mündliche Verhandlung verzichtet. Die Äußerung des Gerichts in seiner gerichtlichen Verfügung vom 31. Oktober 1990 band dieses nicht; sie gab nur die Auffassung des Senatsvorsitzenden wieder.

 

Fundstellen

Haufe-Index 423082

BFH/NV 1992, 358

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