Leitsatz (amtlich)

1. Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann auch gegenüber einem rechtskräftigen Beschluß eines Steuergerichts beantragt werden. In diesem Fall ergeht die Entscheidung über das Wiederaufnahmebegehren nicht durch Urteil, sondern durch Beschluß.

2. Zur Geltendmachung von Restitutionsgründen.

 

Normenkette

FGO § 134; ZPO §§ 578-580, 581 Abs. 1, § 589 Abs. 1

 

Tatbestand

Das FG hatte durch Vorbescheid die Klage der Steuerpflichtigen Z auf Fortschreibung des Einheitswerts ihres Grundstücks zum 21. Juni 1948 auf den Wert des Grund und Bodens als unbegründet abgewiesen. Mit Beschluß III B 2/68 hatte der Senat die Beschwerde der Steuerpflichtigen Z gegen die Nichtzulassung der Revision gegen den Vorbescheid des FG als unbegründet zurückgewiesen. Der Senat hatte die Nichtzulassungsbeschwerde deshalb als unbegründet angesehen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hatte, noch der Vorbescheid von einer Entscheidung des BFH abwich und auf dieser Abweichung beruhte, noch Verfahrensmängel vorlagen, auf denen die Entscheidung des FG beruhen könnte (§ 115 Abs. 2 FGO). Mit Schreiben vom 22. Mai 1969 hat der Prozeßbevollmächtigte der Steuerpflichtigen Z gegen den Beschluß des Senats III B 2/68 gemäß § 134 FGO "Restitutionsklage" erhoben. Zur Begründung machte er Ausführungen zur Frage der Streitwertberechnung für die Revisionsinstanz und zu seiner Meinung nach divergierenden Ausführungen des Senats gegenüber der Rechtsmittelbelehrung des FG. "Unter Bezugnahme auf § 580 Ziff. 2 und 7b ZPO" werde darauf hingewiesen, daß im Vorbescheid des FG ausdrücklich betont worden sei, die Standsicherheit des Gebäudes sei nicht gefährdet. Der Bevollmächtigte der Steuerpflichtigen wies darauf hin, daß dies nicht richtig sein könne, weil anderenfalls das Bauaufsichtsamt keine Baumaßnahmen hätte fordern können. Unter Bezugnahme auf zahlreiche bei den Akten befindliche Schreiben und Unterlagen machte der Bevollmächtigte eingehende Ausführungen zur Frage der Unbewohnbarkeit des Gebäudes und zu den Gutachten der einzelnen Sachverständigen und Baubehörden, aus denen sich seiner Ansicht nach ergebe, daß für die Bewertung des Grundstücks nicht § 3 des Gesetzes betreffend Fortschreibungen und Nachfeststellungen von Einheitswerten des Grundbesitzes auf den 21. Juni 1948 (Fortschreibungsgesetz), sondern § 2 des Fortschreibungsgesetzes in Betracht kommen müsse. In den Akten befinde sich bereits eine Bescheinigung des Bauingenieurs X als Wohnungssuchenden. Er füge hier nochmals eine Abschrift dieser Bescheinigung bei. Die Ausführungen darüber, daß das Gebäude nach den tatsächlichen Feststellungen des FG am Währungsstichtag sowohl von der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann als auch von Dritten wie bisher zu Wohnzwecken benutzt worden sei, wenn auch unter den gegebenen erschwerten Verhältnissen, seien auf keinen Fall erwiesen und nicht haltbar. Entgegen den Angaben des FA, die Standsicherheit des Gebäudes sei nach der Überprüfung am 1. April 1957 nicht gefährdet gewesen, stehe als Beweis

1. die Erklärung des Bauaufsichtsamts in A,

2. des Bauaufsichtsamts in B und

3. die Mitteilung des Ministers des Innern - Oberste Bauaufsichtsbehörde - vom 12. April 1957 an das Ehepaar Z.

In allen drei Beweismitteln sei angegeben, daß die Standsicherheit des Gebäudes bei Besichtigung am 1. April 1957 gefährdet gewesen sei (Einsturzgefahr).

Das FA hat beantragt, die "Klage" abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Der Wiederaufnahmeantrag der Steuerpflichtigen ist unzulässig.

Gemäß § 134 FGO kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren nach den Vorschriften des Vierten Buches der ZPO wiederaufgenommen werden. Nach § 578 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeitsklage und Restitutionsklage erfolgen. Im Streitfall handelt es sich allerdings nicht um ein rechtskräftiges Endurteil, gegen das sich der Rechtsbehelf der Steuerpflichtigen richtet, sondern um den Beschluß des Senats, durch den er die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurückgewiesen hatte. Im Gegensatz zu dem enger gefaßten Wortlaut des § 578 ZPO spricht § 134 FGO nicht gleichfalls von einem durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahren, sondern nur von einem "rechtskräftig beendeten Verfahren". Damit hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, daß es sein Ziel war, mit der Wiederaufnahme die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung aufzuheben, die mit einem Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden kann, obwohl sie unter Verletzung wichtigster rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze ergangen ist (vgl. die Fälle der Nichtigkeitsklage des § 579 ZPO) oder obwohl Entscheidungsgrundlagen durch strafbare Handlungen zustande gekommen oder durch ein anderes Urteil oder durch eine nachträglich erst verfügbare Urkunde verändert worden sind (Fälle der Restitutionsklage des § 580 ZPO). Dieses Rechtsschutzbedürfnis kann aber sowohl bei einem durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahren gegeben sein, als auch bei einem Verfahren, das durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Der Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen, indem er in § 134 FGO nur von einem rechtskräftig beendeten Verfahren spricht. Damit ist die in der zivilprozessualen Praxis strittige Frage, ob auch gegen einen Beschluß die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt werden kann, für die FGO im bejahenden Sinne entschieden worden (so auch bereits Entscheidungen des BVerwG I A 19/57/III vom 30. September 1958 in Verwaltungsrechtsprechung Bd. 11 Nr. 183 sowie V A 1/58 vom 11. Mai 1960 in Deutsches Verwaltungsblatt 1960 S. 641). Da durch den Beschluß des Senats über die Nichtzulassungsbeschwerde das Verfahren der Steuerpflichtigen gegen das FA rechtskräftig beendet wurde, bestehen gemäß § 134 FGO insoweit gegen die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens keine Bedenken.

Die Steuerpflichtige hat in ihrem Antrag gemäß § 134 FGO vom 22. Mai 1969 zur Begründung der begehrten Wiederaufnahme des Verfahrens erklärt, daß sie die Restitutionsklage erhebe, und hat sich hierbei auf § 580 Nr. 2 und Nr. 7 Buchst. b ZPO bezogen. Gemäß § 580 Nr. 2 ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn eine Urkunde, auf die das Urteil begründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war. Auf diese Vorschrift könnte die Restitutionsklage jedoch nur gestützt werden, wenn wegen der strafbaren Handlung, nämlich der fälschlichen Anfertigung oder Verfälschung der Urkunde, auf die das Urteil gegründet wäre, eine rechtskräftige Verurteilung ergangen wäre oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen könnte (§ 581 Abs. 1 ZPO). Da diese Voraussetzungen weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich sind, ist die Wiederaufnahme, soweit sie auf § 580 Nr. 2 ZPO gestützt ist, nicht statthaft.

Die Steuerpflichtige hat die Wiederaufnahme aber auch unter Hinweis auf § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO begehrt. Nach dieser Vorschrift findet die Restitutionsklage dann statt, wenn die Steuerpflichtige eine - andere - Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Es muß sich somit um eine Urkunde handeln, die eine der Steuerpflichtigen günstigere Entscheidung des Vorprozesses herbeigeführt hätte, wenn sie diese damals, d. h. im Vorprozeß, schon hätte benutzen können. Die Urkunde muß der Steuerpflichtigen bis zur Rechtskraft der Entscheidung des Vorprozesses mithin unbekannt oder unbenutzbar gewesen sein. In der Begründung ihres Restitutionsantrags hat die Steuerpflichtige ausgeführt, in den Akten befinde "sich bereits eine Bescheinigung von dem Bauingenieur X vom ... als Wohnungssuchender", und hat erklärt "nochmals eine Abschrift von der Bescheinigung" beizufügen. Damit scheidet dieses Schreiben als Restitutionsgrund aus; denn es befindet sich nach dem eigenen Vorbringen der Steuerpflichtigen bereits bei den Akten und ist daher im Vorverfahren nicht unbekannt oder unbenutzbar gewesen. Dasselbe gilt für die im Schreiben der Steuerpflichtigen vom 25. Juli 1969 aufgeführten Erklärungen des Bauaufsichtsamts in A und des Bauaufsichtsamts in B sowie für die Mitteilung des Ministers des Innern - Oberste Bauaufsichtsbehörde - vom 12. April 1957 an das Ehepaar Z, bei denen ebenfalls von der Steuerpflichtigen weder behauptet noch dargetan worden ist, sie seien erst nach Rechtskraft des Vorprozesses aufgefunden oder benutzbar geworden und daher nicht bereits Gegenstand des Vorprozesses und der Beweiswürdigung des FG gewesen. Die Steuerpflichtige greift im übrigen mit ihren Ausführungen nur die Beweiswürdigung und das Beweisergebnis des FG im Vorprozeß an, nicht jedoch die Ausführungen des Senats, mit denen er sowohl die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache als auch das Abweichen von einer Entscheidung des BFH sowie das Vorliegen von Verfahrensmängeln, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen könnte, verneint hat. Auf diese Weise kann aber die Statthaftigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO nicht dargetan werden.

Da andere Gründe, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuließen, nicht vorgetragen sind, war der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig abzuweisen (§ 589 Abs. 1 ZPO). Im Hinblick darauf, daß über die vorausgegangene Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluß zu entscheiden war, hält der Senat es in Übereinstimmung mit dem BVerwG (vgl. Beschluß vom 11. Mai 1960, a. a. O.) für richtig, auch über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht durch Urteil, sondern durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (§§ 90 Abs. 1 Satz 2, 121 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 68728

BStBl II 1970, 216

BFHE 1970, 502

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