Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung; maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für PKH-Antrag; heilbare Ermessensfehler

 

Leitsatz (NV)

1. Zu der Frage, ob bei der PKH-Entscheidung auf die im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Beweisergebnisse abgestellt werden kann, insbesondere wenn das Gericht das PKH-Verfahren und das Hauptsache-Verfahren einstweilen zurückgestellt hat, um den Ausgang eines anderweit anhängigen Rechtsstreits abzuwarten und daraus Folgerungen für die Beurteilung des PKH-Gesuchs zu ziehen.

2. An die Überwachungsmaßnahmen eines Geschäftsführers müssen um so größere Anforderungen gestellt werden, je weniger dieser sich ein auf Tatsachen gegründetes Urteil bilden konnte, ob hinzugezogene Personen die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft bieten.

3. Wenn sich eine Schwangere trotz der bevorstehenden Geburt ihres Kindes dafür entscheidet, ihre berufliche Tätigkeit fortzusetzen, befreit sie das MuSchG nicht von der Beachtung ihrer Pflichten als Geschäftsführerin.

4. Ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß ein Ermessensmangel von dem FA in dem noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahren behoben werden kann und behoben werden wird, so ist nicht deshalb AdV zu gewähren, weil die Heilung des betreffenden Fehlers noch nicht durchgeführt worden ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 34 Abs. 1, §§ 69, 191 Abs. 1; FGO § 142

 

Tatbestand

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) begehrt PKH für ein Klageverfahren, in dem sie sich dagegen wendet, daß ihr der Beklagte (das FA) die Aussetzung der Vollziehung des wegen Haftung für Umsatzsteuerschulden der Fa. A- GmbH ergangenen Bescheides vom ... versagt hat.

Mit diesem Bescheid ist die Antragstellerin aufgrund des §71 der Abgabenordnung (AO 1977) auf einen Haftungsbetrag von ... DM in Anspruch genommen worden. Der Bescheid ist darauf gestützt, die Antragstellerin sei ihrer Verpflichtung als Geschäftsführerin der vorgenannten GmbH zur Abgabe wahrheitsgemäßer Umsatzsteuer-Voranmeldungen in den Monaten Februar bis Juni 1987 nicht nachgekommen. Sie habe gewußt, daß die Rechnungen der Fa. B-GmbH, aus denen in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen Vorsteuern geltend gemacht worden sind, gefälscht waren bzw. Eingangsrechnungen mit Umsatzsteuerausweis nicht vorlagen.

Die A-GmbH war im Februar 1987 von der Antragstellerin zusammen mit ihrer Mutter erworben worden, die ebenfalls zur Geschäftsführerin bestellt wurde. Unternehmensgegenstand sollte der Handel mit ... sein. Die Geschäfte wurden aufgrund einer Generalvollmacht, welche die Antragstellerin erteilt hatte, tatsächlich von einem Herrn H. geführt, dem damaligen Partner der Antragstellerin und Vater des Kindes, das die Antragstellerin Ende Februar 1987 gebar. Daß H. eine Haftstrafe als Freigänger verbüßte, als ihn die Antragstellerin Ende ... kennenlernte, will diese nicht gewußt haben. H. besaß aufgrund seiner Tätigkeit für eine Firma B-GmbH einschlägige geschäftliche Erfahrungen und von der Geschäftsführerin der B-GmbH unterschriebene Blankorechnungen, die er dazu benutzte, für in Wahrheit ohne Umsatzsteuerausweis erworbene ... Vorsteuerabzug in Anspruch zu nehmen. Für Mai und Juni machte er Vorsteuer ohne entsprechende Eingangsrechnungen geltend.

Das FG hat den Antrag, der Antragstellerin für das Klageverfahren PKH zu gewähren -- soweit das Klageverfahren die Aussetzung der Vollziehung des vorgenannten Haftungsbescheides betrifft -- abgelehnt. Es führt dazu aus, bei summarischer Prüfung ergäben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Haftungsbescheides. Aufgrund der Vernehmung der Antragstellerin als Zeugin in dem Klageverfahren ihrer Mutter (Az. des FG: ... ) sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, daß die Antragstellerin wegen grob fahrlässiger Vernachlässigung ihrer Pflichten als Geschäftsführerin für die Umsatzsteuer-Schulden der Gesellschaft hafte. Nach den in diesem Verfahren erhobenen Zeugenaussagen habe sie in der Gesellschaft nur unwesentliche Tätigkeiten ausgeführt und den Geschäftsbetrieb im wesentlichen H. überlassen, dem sie fast blindes Vertrauen entgegengebracht habe. Die mangelhafte Überwachung des H. werte das Gericht als grob fahrlässige Pflichtverletzung. Selbst wenn man aufgrund der in der Beweiserhebung gewonnenen Erkenntnisse davon ausgehe, daß der Antragstellerin der Vorwurf vorsätzlicher Steuerhinterziehung nicht gemacht werden könne, bestünden keine Zweifel, daß die Antragstellerin nach den §§34, 69 AO 1977 hafte. Das Auswahlermessen des FA sei ausreichend betätigt und dargestellt worden.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, zu deren Begründung im wesentlichen folgendes vorgetragen wird:

Für die Beurteilung der PKH-Voraussetzungen sei auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf Entscheidungsreife bestanden habe. Dies sei hier Ende April/Anfang Mai ... gewesen, nachdem das FA auf den Antrag am 26. März ... erwidert habe. Zu diesem Zeitpunkt hätten dem FG die Erkenntnisse aus dem Verfahren gegen die Mutter der Antragstellerin noch nicht vorgelegen.

Aus der umfangreichen Beweisaufnahme in jenem Verfahren sei auch nicht zu schließen, daß deren Tochter eine grob fahrlässige Pflichtverletzung begangen habe. Es habe im Rahmen des Möglichen durchaus eine Mitwirkung und Überwachung der Tätigkeit des H. stattgefunden, wie eine Zeugenvernehmung der Mutter der Antragstellerin ergeben werde. Die Zeugenaussagen in dem Verfahren gegen die Mutter der Antragstellerin dürften nicht berücksichtigt werden. Die Zeugen hätten sich zu einem anderen Beweisthema geäußert und müßten im Verfahren der Antragstellerin erneut gehört werden. Ihre Aussagen wiesen im übrigen Widersprüche und Unzulänglichkeiten auf, wie in dem vor dem erkennenden Senat anhängig gewesenen Verfahren Az. ... bereits dargelegt worden sei. Im übrigen sei zu berücksichtigen, daß die Antragstellerin in dem Haftungszeitraum hochschwanger gewesen sei bzw. ihr neugeborenes Kind zu betreuen hatte.

Das Strafverfahren gegen die Antragstellerin sei gemäß §153a Abs. 2 der Strafprozeßordnung gegen Zahlung einer Geldbuße von ... DM eingestellt worden; dies bedeute, daß ein Verschulden der Antragstellerin jedenfalls an der untersten Grenze gelegen habe und jenes Verfahren eher als Indiz zugunsten der Antragstellerin gewertet werden könne. Im übrigen sei dem FA niemals eine unterschriebene Steuererklärung vorgelegt worden; die vom FA vorgenommenen Verrechnungen, Erstattungen oder ähnliches beruhten also auf dessen eigenem Verschulden.

Schließlich sei das Auswahlermessen nicht richtig ausgeübt worden. Der eigentliche Täter der Umsatzsteuer-Manipulation, H., solle zwar ebenfalls in Anspruch genommen worden sein; dies sei jedoch niemals belegt worden. Jedenfalls seien keine Versuche unternommen worden, die Haftungsbescheide gegen H. zu vollstrecken, obwohl dieser in ... über Immobilienbesitz verfüge. Auch eine im Zusammenhang mit einem Strafverfahren gestellte Kaution sei nicht in Anspruch genommen worden.

Die Vollziehung des Haftungsbescheides bedeute überdies eine nicht durch öffentliche Interessen gerechtfertigte unbillige Härte, da das FA im Besitz einer Bankbürgschaft der Mutter der Antragstellerin sei.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben, soweit der Antrag auf PKH abgelehnt wurde, der Antragstellerin PKH für das Verfahren Az. ... zu gewähren und ihr ihren Prozeßbevollmächtigten beizuordnen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die zulässige Beschwerde (§128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) ist unbegründet. Das FG hat es im Ergebnis mit Recht abgelehnt, der Antragstellerin PKH für ihre Klage wegen Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides zu gewähren.

Anspruch auf Gewährung von PKH hat nach §142 Abs. 1 FGO i.V.m. §114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, sofern die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Es kann unerörtert bleiben, ob die erste dieser Voraussetzungen, die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin, in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des beschließenden Senats (noch) vorliegt (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 8. Mai 1996 V B 32/95, BFH/NV 1996, 941). Denn es fehlt jedenfalls daran, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung in dem Verfahren ... hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Die Klage gegen die Beschwerdeentscheidung wegen Aussetzung der Vollziehung des strittigen Haftungsbescheides ist zwar trotz §69 Abs. 7 FGO nach Art. 7 des FGO- Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2109) zulässig (vgl. BFH- Beschluß vom 6. Juni 1994 I S 3/94, BFH/NV 1995, 224). In der Sache bietet die Klage jedoch keine für die Gewährung von PKH hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil das FA die Antragstellerin auf Haftung für die Umsatzsteuer-Schulden der A- GmbH aus den Umsatzsteuer-Voranmeldungen Februar bis Juni 1987 in Anspruch genommen hat, ohne dadurch ihre Rechte zu verletzen. In der Vollziehung des Haftungsbescheides liegt auch keine unbillige, nicht gerechtfertigte Härte.

Bei der in diesem Verfahren wegen Gewährung von PKH für ein AdV-Verfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ergibt sich im einzelnen folgendes:

1. Der Geschäftsführer einer GmbH ist nach §34 Abs. 1 AO 1977 verpflichtet, deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß der Geschäftsführer einer GmbH nicht verpflichtet ist, die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH selbst zu erledigen. Er hat den Geschäftsführer vielmehr für befugt gehalten, die Erledigung anderen Personen zu übertragen. Der Geschäftsführer darf aber nur innerhalb gewisser Grenzen der Redlichkeit seiner Hilfspersonen Vertrauen schenken, wenn er sich nicht dem Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung aussetzen will (Urteil des Senats vom 30. August 1994 VII R 101/92, BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278). Der Geschäftsführer ist verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten überträgt, sorgfältig auszuwählen (vgl. Urteil des Senats vom 30. Juni 1995 VII R 85/94, BFH/NV 1996, 2) und laufend zu überwachen, insbesondere sich ständig so eingehend über den Geschäftsgang zu unterrichten, daß er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann bzw. daß ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird. Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen hat der Senat regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung ("Überwachungsverschulden") eingestuft, wenn er auch betont hat, daß die Entscheidung, welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten auf andere überträgt, weitgehend von den Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl. Entscheidungen des Senats vom 5. März 1985 VII R 134/80, BFH/NV 1986, 61; vom 16. April 1985 VII R 132/80, BFH/NV 1987, 273; vom 7. Mai 1985 VII R 111/78, BFH/NV 1987, 210; vom 11. November 1986 VII R 201/83, BFH/NV 1987, 212; vom 2. Juli 1987 VII R 162/84, BFH/NV 1988, 220; vom 10. Mai 1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72; vom 25. April 1989 VII S 15/89, BFH/NV 1989, 757; vom 8. Mai 1990 VII B 173/79, BFH/NV 1991, 12; vom 29. Mai 1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283, und in BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278). An die Überwachungsmaßnahmen eines Geschäftsführers müssen jedoch um so größere Anforderungen gestellt werden, je weniger dieser sich ein auf Tatsachen gegründetes Urteil bilden konnte, ob die für die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft hinzugezogenen Personen die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft bieten.

Auf sein eigenes Unvermögen, seinen Aufgaben als Geschäftsführer nachzukommen, kann sich niemand berufen (vgl. z.B. Entscheidungen des Senats in BFH/NV 1987, 212, und in BFH/NV 1987, 210). Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muß vielmehr von der Übernahme des Geschäftsführeramtes absehen bzw. es niederlegen (Beschluß des Senats vom 5. März 1985 VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422). Wer hingegen die Stellung eines Geschäftsführers nominell und formell übernimmt, haftet, sofern ihm auch der Vorwurf persönlichen Verschuldens mindestens vom Grade grober Fahrlässigkeit gemacht werden kann, nach §69 AO 1977 grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben und seiner Pflicht, diejenigen Personen sorgfältig auszuwählen, denen er die Erledigung steuerlicher Angelegenheiten der GmbH und damit die Erfüllung seiner eigenen Pflichten überläßt, nachzukommen.

2. Wenn diese Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt werden, kann nicht ernstlich zweifelhaft sein, daß die Antragstellerin ihre Pflichten als Geschäftsführerin nicht ordnungsgemäß erfüllt und damit den Tatbestand des §69 AO 1977 verwirklicht hat. Insbesondere hat die Antragstellerin selbst nicht bestritten, daß sie H., ohne dessen beruflichen Werdegang außer aus seinen eigenen Bekundungen zu kennen oder sonst Anhaltspunkte für dessen Zuverlässigkeit zu besitzen, im bloßen Vertrauen auf seine Rechtschaffenheit Generalvollmacht erteilt und in dem Haftungszeitraum bei der Führung der Geschäfte der GmbH weitgehend freie Hand gelassen hat. Als Geschäftsführerin der GmbH war es indes nach §34 Abs. 1 AO 1977 ihre eigene Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß die GmbH die von ihr geschuldeten Steuern zahlt. Gerade wenn sich die Antragstellerin aufgrund ihrer Schwangerschaft und der bevorstehenden Entbindung nicht in der Lage sah, während der ersten Monate der Geschäftstätigkeit die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH selbst wahrzunehmen oder den damit betrauten H. wirkungsvoll zu überwachen, durfte sie die Erfüllung ihrer Pflichten aus §34 Abs. 1 AO 1977 einem Dritten wie H. nicht überlassen, ohne über dessen Geschäftsgebaren genau Bescheid zu wissen und seine Persönlichkeit anhand von Tatsachen zuverlässig einschätzen zu können. Daß die Antragstellerin sich im Hinblick auf H. dieses Urteil hat zutrauen dürfen, kann nicht ihrem Vorbringen entnommen werden, H. habe "offensichtlich" in wirtschaftlich guten und gesicherten Verhältnissen gelebt, zwei Ferienhäuser in ... besessen und ein "vertrautes, fast freundschaftliches Verhältnis" zu einem Steuerberater unterhalten.

Daß die Antragstellerin die danach gerade in der Anfangszeit der Geschäftstätigkeit der GmbH dringend gebotenen Vorkehrungen getroffen hätte, um steuerunehrliches Verhalten von H. ggf. rechtzeitig erkennen und unterbinden zu können, ist weder vorgetragen worden noch sonst erkennbar. Die Behauptung der Beschwerde, es habe "im Rahmen des Möglichen durchaus eine Mitwirkung und Überwachung der Tätigkeit des H. stattgefunden", ist unsubstantiiert und daher ungeeignet, hinreichend darzutun, daß die Antragstellerin ihre Geschäftsführerpflichten erfüllt hat.

Schon die Klageschrift der Antragstellerin zum Aktenzeichen ... und ihre Erwiderung auf die eingehende Klagebeantwortung des FA vom 12. Februar ... , aus denen sich dieser Sachverhalt ergibt, boten folglich für die Annahme keine Grundlage, es sei ernstlich zweifelhaft, daß die Antragstellerin ihre Pflichten als Geschäftsführerin der A- GmbH verletzt hat. Auf die Frage, ob das Ergebnis der vom FG im Verfahren ihrer Mutter durchgeführten Beweisaufnahme bei der Entscheidung des FG über den PKH-Antrag zu Lasten der Antragstellerin berücksichtigt werden darf, kommt es folglich nicht entscheidend an. Der erkennende Senat hat im übrigen hierzu in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum bereits mehrfach entschieden, daß für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung (§114 ZPO) die Verhältnisse und der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über den PKH-Antrag maßgeblich sind (Beschlüsse vom 6. November 1991 VII B 207/91, BFH/NV 1992, 489, m.w.N; vom 8. August 1995 VII B 42/95, BFH/NV 1996, 66). Von dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Entscheidung sei sowohl hinsichtlich der festgestellten Tatsachen als auch hinsichtlich der rechtlichen Entscheidungsgrundlagen deshalb auszugehen, weil kein Gericht befugt ist, seine Entscheidung wider besseres Wissen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu treffen. Der Senat hat zwar in BFH/NV 1996, 66 letztlich die Frage offen gelassen, ob im Falle einer Verzögerung der gerichtlichen Entscheidung über das PKH-Gesuch für die Prüfung der Erfolgsaussicht die Sach- und Rechtslage maßgeblich sein kann, die zum Zeitpunkt einer rechtzeitigen Entscheidung bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf bestanden hätte (Zeitpunkt der Entscheidungsreife), und ob eine zwischenzeitliche Veränderung der Tatsachengrundlage berücksichtigt werden dürfte, wenn die Entscheidung ohne schuldhaftes Versäumnis des Antragstellers unterblieben ist oder wenn das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Diese Fragen bedürfen indes auch in diesem Verfahren keiner abschließenden Erörterung, weil der PKH- Antrag, was den Haftungstatbestand angeht, ungeachtet der Frage, ob die Antragstellerin Steuern hinterzogen und dadurch den Haftungstatbestand des §71 AO 1977 erfüllt hat, wegen §69 AO 1977 von Anfang an nicht begründet war. Deshalb kann auch dahinstehen, ob nicht auf den Entscheidungszeitpunkt in jedem Fall dann abgestellt werden müßte, wenn das Gericht -- wie hier -- das PKH-Verfahren und das Hauptsache-Verfahren -- hier: die AdV-Klage -- einstweilen zurückgestellt hat, um den Ausgang eines anderweit anhängigen Rechtsstreits abzuwarten und daraus Folgerungen für die Beurteilung des PHK-Gesuchs zu ziehen.

3. Es ist auch nicht ernstlich zweifelhaft, daß die Antragstellerin schuldhaft, zumindest im Sinne grober Fahrlässigkeit, gehandelt hat. Den diesbezüglichen Schuldvorwurf indiziert bereits die Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens (vgl. Beermann, AO-Geschäftsführerhaftung und ihre Grenzen nach der Rechtsprechung des BFH, Deutsches Steuerrecht 1994, 805, 810). Daß sie bei der Bestellung von H. zum Generalbevollmächtigten kurz vor der Entbindung stand, entschuldigt sie nicht.

Der Senat hat allerdings in seinem Urteil vom 29. Mai 1990 VII R 85/89 (BFHE 161, 486, BStBl II 1990, 1008) offen gelassen, ob die Geburt eines Kindes durch die Geschäftsführerin einer GmbH und die nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) bestehenden Beschäftigungsverbote vor und nach der Entbindung (§3 Abs. 2, §6 Abs. 1 MuSchG) sowie der Mutterschaftsurlaub (§8a MuSchG a.F.) eine in den Zeitraum des Mutterschutzes fallende Pflichtverletzung oder das Verschulden der Geschäftsführerin i.S. des §69 AO 1977 ausschließen oder mildern können, obwohl das MuSchG mangels Bestehens eines Arbeitsverhältnisses keine unmittelbare Anwendung findet (§1 Nr. 1 MuSchG). Der Senat braucht zu dieser Frage auch hier nicht abschließend Stellung zu nehmen. Denn jedenfalls verbietet §3 Abs. 2 MuSchG einer werdenden Mutter nicht eine berufliche Tätigkeit, sondern erlaubt sie ausdrücklich, sofern die Schwangere mit der Weiterbeschäftigung einverstanden ist. Wenn sich jedoch eine Schwangere trotz der bevorstehenden Geburt ihres Kindes dafür entscheidet, ihre berufliche Tätigkeit fortzusetzen, befreit sie das MuSchG nicht von der Beachtung ihrer dabei zu erfüllenden Pflichten. Wenn sich also die Antragstellerin noch kurz vor ihrer Niederkunft am Erwerb der GmbH beteiligte, die Geschäftsführung (mit-)übernahm und H. zum Generalbevollmächtigten bestellte, mußte sie insoweit die Pflichten einer gewissenhaften Geschäftsführerin erfüllen. Jedenfalls von dem Vorwurf, H. nicht sorgfältig ausgewählt zu haben, würde sie deshalb die entsprechende Anwendung des MuSchG nicht befreien.

Da der dem FA entstandene Steuerausfall durch ihr diesbezügliches pflichtwidriges Verhalten mitverursacht worden ist, haftet sie folglich schon deshalb für die nicht entrichtete Umsatzsteuer nach §69 AO 1977.

4. Die Inanspruchnahme der Antragstellerin steht nach §191 Abs. 1 AO 1977 im Ermessen des FA. Sofern sich die Antragstellerin, wie das FA in seinem Haftungsbescheid zunächst angenommen hat, als Mittäterin an der von H. begangenen Steuerhinterziehung beteiligt haben sollte, ist das Ermessen des FA allerdings nach der Rechtsprechung des Senats dahin vorgeprägt, daß die Antragstellerin angesichts der Uneinbringlichkeit der Steuerschuld der GmbH in Anspruch genommen werden muß (Urteile vom 12. April 1983 VII R 3/80, BFHE 138, 157, 161; vom 5. Juni 1985 VII R 57/82, BFHE 144, 290, BStBl II 1985, 688, 689, und vom 26. Februar 1991 VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504). Dementsprechend konnte das FA, das neben der Antragstellerin die (angeblichen) weiteren Mittäter bzw. aus anderem Rechtsgrund Mithaftenden ebenfalls in Anspruch genommen hat (vgl. Senatsurteil vom 24. November 1987 VII R 82/84, BFH/NV 1988, 206), in seinem Haftungsbescheid davon absehen, seine Ermessenserwägungen näher darzulegen.

Ob der Antragstellerin eine Steuerhinterziehung nachgewiesen werden kann, erscheint indes ernstlich zweifelhaft. Das FA selbst geht davon offenbar nicht (mehr) aus. Sollte die Antragstellerin jedoch nicht nach §71 AO 1977, sondern nach §69 AO 1977 haften, so dürfte es an einer Vorprägung der Ermessensbetätigung des FA fehlen. Allein der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, der die Antragstellerin trifft und die gesetzliche (Mindest-)Voraussetzung dafür ist, daß sie nach §69 AO 1977 überhaupt haftet, führt nicht zu einer solchen Vorprägung (Urteil des Senats vom 8. November 1988 VII R 141/85, BFHE 155, 243, BStBl II 1989, 219). Ob darüber hinaus der Antragstellerin der Vorwurf der Leichtfertigkeit i.S. einer besonders groben Fahrlässigkeit bei der Nichterfüllung ihrer Geschäftsführerpflichten gemacht werden kann, erscheint in tatsächlicher Hinsicht nicht zweifelsfrei und wirft in rechtlicher Hinsicht die vom Senat bisher nicht entschiedene Frage auf, ob in diesem Falle eine Vorprägung der Ermessenserwägungen bestehen würde (vgl. für Fälle des Vorsatzes die Urteile des Senats in BFHE 155, 243, BStBl II 1989, 219; vom 13. November 1990 VII R 96/88, BFH/NV 1991, 641, und vom 13. Juni 1997 VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4).

Bei einer auf §69 AO 1977 gestützten Haftungsinanspruchnahme wäre zu berücksichtigen, daß die Antragstellerin bei der Erfüllung ihrer Geschäftsführerpflichten während des Haftungszeitraums wegen der Geburt ihres Kindes tatsächliche Beeinträchtigungen ihrer Arbeitsfähigkeit hinzunehmen hatte, die in die Ermessenserwägungen des FA für die Ausübung des Auswahlermessens einbezogen werden müssen (Urteil des Senats in BFHE 161, 486, BStBl II 1990, 1008). Das FA wird diesbezügliche Erwägungen in seiner noch ausstehenden Entscheidung über den von der Antragstellerin gegen den Haftungsbescheid erhobenen Einspruch nachzuholen Gelegenheit haben (vgl. Senatsurteil vom 24. November 1987 VII R 138/84, BFHE 152, 289, BStBl II 1988, 364); denn ein diesbezügliches Nachschieben von Ermessensgründen, die schon bei Ergehen des Haftungsbescheides vorlagen, würde diesen nicht in seinem Wesen verändern und die Antragstellerin nicht in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigen.

Das FA hat jedoch sein Ermessen insoweit bisher nicht ausgeübt, sondern dies zu tun vielmehr in seiner Klageerwidrung lediglich angekündigt. Darin liegt ebensowenig wie in der Annahme der Beschwerdeerwiderung, das Auswahlermessen sei bereits ausgeübt und dargestellt worden, die erforderliche nachgeholte Ermessensausübung. Ob ein Nachschieben fehlender Ermessenserwägungen im Rahmen der Verteidigung des angegriffenen Haftungsbescheides oder einer sonstigen Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren möglich wäre, kann dahinstehen; denn das FA hat die fehlenden Ermessenserwägungen bislang nicht nachgeholt, sondern unterstellt, daß sie bereits ausreichend angestellt worden seien. Zumindest zweifelhaft erscheint, ob in dem internen, vom FA im Beschwerdeverfahren der Oberfinanzdirektion erstatteten Bericht, der von einer Haftung der Antragstellerin nach §69 AO 1977 ausgeht, die erforderliche Ermessensausübung gesehen werden könnte; auch das bedarf aber keiner Entscheidung, denn die besonderen persönlichen Lebensumstände der Antragstellerin sind auch dort nicht berücksichtigt worden.

Die Einlassungen des FA in diesem Verfahren lassen freilich ebenso wie die objektive Sachlage nicht erwarten, daß das FA von einer Haftungsinanspruchnahme der Antragstellerin bei Ausübung seines Auswahlermessens doch noch absehen und seinen Haftungsbescheid im Einspruchsverfahren aufheben könnte, welches Entscheidungsergebnis nach der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Beurteilung rechtlich auch nicht geboten erscheint. H. kann derzeit offenbar nicht -- auch nicht mit seinem angeblichen ausländischen Immobilienvermögen -- zur Haftung erfolgreich herangezogen werden. Das FA kann daher mit Aussicht auf Erfolg seine Forderungen allenfalls gegen die Mutter der Antragstellerin durchsetzen, die dem haftungsbegründenden Geschehen nicht näher stehen dürfte als die Antragstellerin, was gegen ihre vorrangige Inanspruchnahme ins Gewicht fällt.

Bei dieser Sachlage erscheint nicht ernstlich zweifelhaft, daß der Einspruch der Antragstellerin im Ergebnis ohne Erfolg bleiben wird, und daher das Begehren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, das FA zur Aussetzung der Vollziehung seines Haftungsbescheides zu verurteilen. Der angegriffene Haftungsbescheid leidet zwar derzeit (möglicherweise) an einem Rechtsfehler, der jedoch in dem weiteren (Verwaltungs-)Verfahren behebbar ist; es ist auch nicht ernstlich zweifelhaft, daß er von dem FA behoben werden wird. In einem solchen Fall kann einem Rechtsschutzsuchenden nicht deshalb Aussetzung der Vollziehung gewährt werden, weil die Heilung des betreffenden Fehlers von der Verwaltungsbehörde noch nicht durchgeführt worden ist (ebenso hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs bei einem Formfehler Schmidt in Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., 1998, §80 Rdnr. 75; kritisch Renck, Sofort vollziehbares Unrecht?, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1988, 700). Zwar kann ein Gericht eine Ermessensentscheidung nicht aus Gründen, die für die Verwaltung nicht oder nicht allein ausschlaggebend waren, im Ergebnis aufrechterhalten (vgl. z.B. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1960 IV C 68.60, BVerwGE 11, 170; BFH-Urteile vom 5. Mai 1977 IV R 116/75, BFHE 122, 283, BStBl II 1977, 639, und vom 29. Juli 1981 VII R 27/79, BFHE 135, 95). Nicht darum geht es hier jedoch, sondern um die im AdV-Verfahren erforderliche Prognose des voraussichtlichen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens, in dem vom FA noch über den Einspruch der Antragstellerin zu entscheiden und dabei Ermessen auszuüben ist.

5. Eine unbillige Härte liegt in der Vollziehung des Haftungsbescheides nicht. Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Pflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom 19. November 1985 VIII R 18/85, BFH/NV 1987, 277; vom 1. August 1986 V B 79/84, BFH/NV 1988, 335, und vom 21. Februar 1990 II B 98/89, BFHE 160, 61, BStBl II 1990, 510). Härten, die nicht mit der Zahlung vor endgültiger Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des ihr zugrundeliegenden Steuer- oder Haftungsbescheides zusammenhängen, sondern die typischerweise mit der Vollziehung eines Bescheides als solcher verbunden sind, rechtfertigen daher die Aussetzung der Vollziehung nicht (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 31. Januar 1967 VI S 9/66, BFHE 87, 600, BStBl III 1967, 255; vom 19. April 1968 IV B 3/66, BFHE 92, 314, BStBl II 1968, 538). Nur solche Nachteile macht die Antragstellerin jedoch geltend.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67548

BFH/NV 1998, 1325

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