Leitsatz

Die Übertragung des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf auf Antrag des Elternteils, bei dem das Kind gemeldet ist, verstößt nicht gegen das Grundgesetz.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG i.d.F. des 2. FamFördG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist seit 2002 von seiner früheren Ehefrau, mit der er zwei gemeinsame Kinder hat, geschieden. Für das Streitjahr 2004 wurde er einzeln zur ESt veranlagt. Für seine beiden Kinder, die bei ihrer Mutter lebten, erhielt er zwei Freibeträge i.H.v. jeweils 2.904 EUR (1.824 EUR Kinderfreibetrag und 1.080 EUR BEA-Freibetrag).

Im Oktober 2005 ging beim FA eine schriftliche Mitteilung des Wohnsitz-FA der geschiedenen Ehefrau ein, wonach die BEA-Freibeträge für die beiden Kinder auf die Mutter übertragen worden seien, weil die Kinder nicht in der Wohnung des Vaters gemeldet seien. Das FA änderte daraufhin die Steuerfestsetzung und berücksichtigte die BEA-Freibeträge nicht mehr. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG München (Urteil vom 9.5.2007, 1 K 1324/07, Haufe-Index 1765548, EFG 2007, 1245) hielt § 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG, der die Übertragung des BEA-Freibetrags regelte (jetzt Abs. 6 Sätze 8 und 9), für verfassungsgemäß.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte dies und wies die Revision als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Sowohl die Übertragung des Kinderfreibetrags (für das sächliche Existenzminimum) als auch des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrag) ist durch das StVereinfG 2011 mit Wirkung ab Vz 2012 neu geregelt worden. Der Kinderfreibetrag konnte bisher übertragen werden, wenn der andere Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung im Wesentlichen nicht nachkam; ab 2012 gilt dies auch dann, wenn jener mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist. Für die Übertragung des BEA-Freibetrags genügte es bis 2011, dass der Elternteil, bei dem das Kind gemeldet war, einen Antrag stellte; der andere Elternteil konnte sich gegen die Übertragung nicht wehren. Nunmehr kann der Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, widersprechen, sofern er Kinderbetreuungskosten trägt oder das Kind regelmäßig in nicht unwesentlichem Umfang betreut.

2. Der BFH erachtete die dem Streitfall zugrunde liegende alte Rechtslage als verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber habe typisierend davon ausgehen dürfen, dass das Kind von dem Elternteil, bei dem es gemeldet sei, umfassend betreut werde und diesem Elternteil daher im Regelfall ein höherer Betreuungsaufwand entstehe als dem anderen Elternteil, der das Kind z.B. an Wochenenden oder in den Schulferien betreue oder der Fremdbetreuungsleistungen finanziere.

3. Für das vom Gesetzgeber gewählte Konzept eines einheitlichen BEA-Freibetrags und der antragsabhängigen ausschließlichen Berücksichtigung dieses Freibetrags beim Elternteil, bei dem das Kind gemeldet ist, sprächen auch Praktikabilitätsgründe. Anderenfalls wären zahlreiche aufwändige Ausdifferenzierungen nach den verschiedenen Bedarfsarten (Betreuung, Erziehung, Ausbildung) und Altersstufen sowie ggf. eine Ermittlung und Gewichtung der von den beiden Elternteilen erbrachten materiellen wie immateriellen Leistungen erforderlich gewesen. Dies widerspräche dem Ziel der Einfachheit des Rechts. Die Anknüpfung an die Eintragung im Melderegister sei ebenfalls sachlich gerechtfertigt und verfassungsrechtlich unbedenklich. Mit der Neuregelung habe der Gesetzgeber auch nicht zum Ausdruck gebracht, dass die bisherige Regelung unvertretbar gewesen sei.

4. Nach altem wie nach neuem Recht gilt, dass eine Übertragung des BEA-Freibetrags nicht in Betracht kommt, wenn das Kind in der Wohnung des nicht sorgeberechtigten oder nicht vorwiegend betreuenden Elternteils mit Nebenwohnsitz gemeldet ist. Ab 2012 genügt es auch, wenn dieser Elternteil Kinderbetreuungskosten trägt. Der barunterhaltspflichtige Elternteil sollte daher darauf hinwirken, dass er die Fremdbetreuungsverträge (z.B. Krippe und Kindergarten) abschließt, die materiell erforderlichen Rechnungen erhält und Zahlungen auf das Konto des Leistungserbringers vornimmt, zumal die ab 2012 ausschließlich als Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG zu berücksichtigenden Kinderbetreuungskosten nur von demjenigen abgezogen werden können, der sie geleistet hat; ein Zuordnungswahlrecht existiert insoweit nicht.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 27.10.2011 – III R 42/07

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