Leitsatz

1. Eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 UStG der zuständigen Landesbehörde, dass bestimmte Leistungen einer privaten Schule oder anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten, ist ein Grundlagenbescheid i.S. v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, dem Rückwirkung zukommen kann.

2. Ein solcher Grundlagenbescheid einer ressortfremden Behörde bewirkt nur dann nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO eine Ablaufhemmung, wenn er vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer erlassen wurde.

 

Normenkette

§ 171 Abs. 10, § 175 AO, § 4 Nr. 21 UStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb seit 1991 eine Musikschule und erklärte für die Besteuerungszeiträume 1992 bis 1998 (Streitjahre) steuerpflichtige Umsätze.

Auf Antrag der Klägerin vom 18.2.2010 bescheinigte ihr das Landesverwaltungsamt X mit Bescheid vom 5.3.2010, dass der von ihr durchgeführte Instrumental-Unterricht (schon) ab 1991 i.S.d. § 4 Nr. 21 UStG unmittelbar der beruflichen Bildung gedient habe.

Im Hinblick auf diese Bescheinigung beantragte die Klägerin beim FA, die Umsatzsteuer für die Streitjahre gemäß § 175 AO jeweils auf 0 EUR herabzusetzen. Dies lehnte das FA wegen Verwirkung ab.

Das FG entschied, dass die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1998 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden könnten. Die – hier eingetretene – Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO) stehe einer Änderung nicht entgegen, denn der Ablauf der Festsetzungsfrist sei gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO durch die Bescheinigung vom 5.3.2010, die als Grundlagenbescheid i.S.d. Vorschrift anzusehen sei, gehemmt worden (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 1.8.2013, 3 K 572/13, Haufe-Index 6718741, EFG 2014, 1081).

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des FG auf und wies die Klage ab.

Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179ff. AO unterliegen – hier die Bescheinigung vom 5.3.2010 – könnten eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur bewirken, wenn sie – anders als hier – vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betroffene Steuer erlassen worden sind (BFH, Urteil v. 21.2.2013, V R 27/11, BFH/NV 2013, 1138, BFH/PR 2013, 296, BFHE 240, 487, BStBl II 2013, 529).

Der BFH wies die Kritik des FG und der Literatur an dieser Rechtsprechung mit eingehender Begründung zurück.

Hinweis: Die Regelungslücke in § 171 Abs. 10 Satz 1 AO wurde für antragsgebundene Bescheinigungen erst durch die Einfügung von § 171 Abs. 10 Satz 2 AO beseitigt.

Danach gilt § 171 Abs. 10 Satz 1 AO für einen Grundlagenbescheid, auf den § 181 AO nicht anzuwenden ist, nur sofern dieser Grundlagenbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist (für den Folgebe­scheid) bei der zuständigen Behörde beantragt worden ist.

§ 171 Abs. 10 Satz 2 AO gilt für alle am 31.12.2014 noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen – und damit nicht im Streitfall.

 

Hinweis

Nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO endet die Festsetzungsfrist, soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt bindend ist (Grundlagenbescheid), nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 20.4.2016 – XI R 6/14

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