Leitsatz

1. Für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug ist erforderlich, dass der Leistungsempfänger eine Rechnung besitzt, in der eine Anschrift des Leistenden genannt ist, unter der jener postalisch erreichbar ist.

2. Für die Prüfung des Rechnungsmerkmals "vollständige Anschrift" ist der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung maßgeblich.

3. Die Feststellungslast für die postalische Erreichbarkeit zu diesem Zeitpunkt trifft den den Vorsteuerabzug begehrenden Leistungsempfänger.

 

Normenkette

§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, Art. 226 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb eine Gebäudereinigung und ein Internetcafé. Er begehrte für das Jahr 2007 den Vorsteuerabzug für Vorsteuerbeträge i.H.v. 38.994,60 EUR. Diesen versagte das FA i.H.v. 11.923,79 EUR, weil die in den Rechnungen des Unternehmers A Service ­sowie des Unternehmers F Service genannten Adressen Scheinadressen gewesen seien, unter denen diese nicht erreichbar gewesen seien. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG (FG Köln, Urteil vom 12.3.2014, 4 K 2374/10, Haufe-Index 6805910, EFG 2014, 1442) wies die Klage (vor Ergehen des Urteils Geissel und Butin) ab. Es entschied, an den in den Rechnungen genannten Adressen habe sich weder der Sitz noch eine feste Niederlassung der A Service und der F Service befunden.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG muss unter Beachtung der in den Praxis-Hinweisen genannten Grundsätze die postalische Erreichbarkeit prüfen.

Zur offenen Frage des Vertrauensschutzes beim Vorsteuerabzug verwies der BFH in Rz. 23 auf den Vorlageschluss vom 6.4.2016 (XI R 20/14, BFH/NV 2016, 1405). Siehe dazu auch das EuGH-Urteil Litdana (EuGH, Urteil vom 18.5.2017, C-624/15, BFH/NV 2017, 1006, Rz. 36) sowie das EuGH-Urteil SGI und Va­lériane (EuGH, Urteil vom 27.6.2018, C-459/17, C-460/17, BFH/NV 2018, 1070, Rz. 47).

 

Hinweis

1. Die Umsetzung der Grundsätze des EuGH-Urteils Geissel und Butin (EuGH, Urteil vom 15.11.2017, C-374/16, C-375/16, BFH/NV 2018, 173) durch den BFH (BFH, Urteil vom 13.6.2018, XI R 20/14, BFH/NV 2018, 1208, BStBl II 2018, 800, BFH/PR 2018, 313; BFH vom 21.6.2018, V R 25/15, BFH/NV 2018, 1053, BStBl II 2018, 809, BFH/PR 2018, 253) und BMF-Schreiben (BMF vom 7.12.2018, BStBl I 2018, 1401) ist mittlerweile abgeschlossen: Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der dem Unternehmer erteilten Rechnung, für dessen Unternehmen die Lieferungen oder sonstigen Leistungen ausgeführt worden sind, angegeben ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der leistende Unternehmer unter der von ihm angegebenen Rechnungsanschrift erreichbar ist.

2. Folgeprobleme bleiben: Welcher Zeitpunkt ist hierfür maßgeblich? Wer trägt die Beweislast für die Erreichbarkeit?

a) Da die Rechnungsangaben es den Steuerverwaltungen u.a. ermöglichen sollen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer zu kontrollieren und die Beziehung zwischen Leistung und Rechnungsaussteller herzustellen (vgl. EuGH, Urteil vom 15.11.2017, C-374/16, C-375/16, Geissel und Butin, BFH/NV 2018, 173, Rz. 41 und 42), ist maßgeblicher Zeitpunkt der Zeitpunkt der Rechnungserteilung.

b) Die Feststellungs- und Beweislast trifft denjenigen, der den Vorsteuerabzug geltend macht: Er hat die Darlegungs‐ und Feststellungslast für alle Tatsachen, die den Vorsteuerabzug begründen (EuGH, Urteil vom 27.6.2018, C‐459/17, C‐460/17, SGI und ValérianeBFH/NV 2018, 1070; BFH, Beschluss vom 8.7.2015, XI B 5/15, BFH/NV 2015, 1444, Rz. 10).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 5.12.2018 – XI R 22/14

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