Leitsatz

1. Unter "Aufgabe zur Post" i.S. des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO wird auch die Übermittlung eines Verwaltungsakts durch einen privaten Postdienstleister erfasst.

2. Die Einschaltung eines privaten Postdienstleisters sowie die weitere Einschaltung eines Subunternehmers können für die Zugangsvermutung innerhalb der Dreitagesfrist von Bedeutung sein, weil hierdurch möglicherweise ein längerer Postlauf gegeben ist. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob nach den bei den privaten Dienstleistern vorgesehenen organi­satorischen und betrieblichen Vorkehrungen regelmäßig von einem Zugang des zu befördernden Schriftstücks innerhalb von drei Tagen ausgegangen werden kann.

 

Normenkette

§ 122 Abs. 2 Nr. 1, § 366, § 126 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, § 47, § 76, § 96 Abs. 1 Satz 1, § 118 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Die Familienkasse wies den Einspruch gegen den Kindergeldablehnungsbescheid am 5.11.2015 als unbegründet zurück. Auf der Einspruchsentscheidung ist vermerkt: "abgesandt am: 06.11.2015" (Freitag). Nach Auskunft der Familienkasse wurde die ­versandfertige Ausgangspost am Freitag zwischen 12:30 Uhr und 13:00 Uhr durch einen Kurierdienst als Subunternehmer eines privaten Postdienstleisters abgeholt.

Der Kläger erhob am 10.12.2015 Klage und trug vor, die Einspruchsentscheidung sei ihm erst am 12.11.2015 zugegangen. Das FG wies die Klage wegen Versäumung der Klagefrist durch Prozessurteil ab (FG Münster, Urteil vom 30.3.2017, 13 K 3907/15 Kg, Haufe-Index 11638510).

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies ­zurück, damit tatsächliche Feststellungen zum Zugangszeitpunkt nachgeholt werden.

 

Hinweis

1. Klage- und Einspruchsfristen beginnen mit der Bekanntgabe des zugrunde liegenden Bescheids. Bei Übermittlung durch die Post gilt dieser gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde nachzuweisen, dass der Verwaltungsakt überhaupt zugegangen ist und wann dies geschehen ist.

2. Für den Steuerpflichtigen ist es einfach, den Zu­gang des Schriftstücks überhaupt zu bestreiten: Durch das bloße Bestreiten ist die Zugangsvermutung widerlegt, wenn sich der Steuerpflichtige nicht widersprüchlich verhält oder "verplappert".

Schwierig wird es für ihn, wenn der Bescheid nach Ablauf des Dreitageszeitraums eingeht: Er muss sein Vorbringen dann im Rahmen des Möglichen substanziieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen. Dazu muss er Tatsachen vortragen, die den Schluss zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Einfaches Bestreiten genügt dafür nicht. Die ständige Rechtsprechung sagt dazu zwar, das Erfordernis eines substanziierten Tatsachenvortrags dürfe nicht dazu führen, dass die ­Regelung über die objektive Beweislast, die die Behörde trifft, zulasten des Steuerpflichtigen umgekehrt wird. Tatsächlich ist Steuerpflichtigen die Begründung der erforderlichen Zweifel aber bisher nur selten gelungen, wenn der Tag der Aufgabe zur Post (zusätzlich zum Bescheiddatum) feststand und vom FA dokumentiert wurde.

3. Unter welchen Voraussetzungen ein FG von der Bekanntgabe innerhalb des Dreitageszeitraums nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO auszugehen hat, lässt sich nicht allgemeingültig bestimmen, sondern ist Inhalt der jeweiligen tatrichterlichen Überzeugungsbildung. Diese ist für den BFH grundsätzlich bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) und kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob das FG von einem unzureichend aufgeklärten Sachverhalt ausgegangen ist oder mit seiner Sachverhaltswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemei­ne Erfahrungssätze verstoßen hat.

4. Trotz dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs beanstandet der BFH die vom FG vorgenommene Würdigung, weil das FG verfahrensfehlerhaft nähere Ermittlungen zum Zugangszeitpunkt unterlassen hat, obwohl sich entsprechende Ermittlungen aufdrängen mussten.

Die "Aufgabe zur Post" i.S.d. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erfasst zwar auch eine Übermittlung des Verwaltungsakts durch einen privaten Postdienstleister.

Im Rahmen der Lizenzierung privater Postdienstleister wird aber die Einhaltung konkreter Postlaufzeiten nicht geprüft. Daher ist grundsätzlich zu ermitteln, ob deren organisatorische und betriebliche Vorkehrungen einen regelmäßigen Zugang des zu befördernden Schriftstücks innerhalb von drei Tagen erwarten lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn neben einem privaten Zustelldienst, der bei bundesweiten Zustellungen nur über Verbundgesellschaften tätig wird, ein ­weiteres Dienstleistungsunternehmen zwischengeschaltet wird. Die Einschaltung privater Postdienstleister kann daher bei der Frage von Bedeutung sein, ob die Zugangsvermutung als widerlegt gilt. Das hier eingesetzte Subunternehmen war zudem kein Universalanbieter für Postdienstleistungen. Die Zugangsvermutung würde auch nicht eingreifen, wenn der private Postdienstleister die Sendung erst einen Tag nach E...

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