Zusammenfassung

 
Überblick

Zur Vermeidung unbilliger Härten hat der Gesetzgeber für den Fall des unverschuldeten Versäumens einer gesetzlichen Frist das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geschaffen. Die Wiedereinsetzung bedeutet keine Verlängerung der versäumten Frist. Sie führt lediglich dazu, dass der Säumige aus Billigkeitsgründen so gestellt wird, als ob er die Frist nicht versäumt hätte.

Im Grunde geht es bei der Wiedereinsetzung stets um den Widerstreit zwischen materieller Richtigkeit der Verwaltungs- bzw. der Gerichtsentscheidung einerseits und formellem Rechtsfrieden andererseits. Speziell im Steuerrecht ist dabei der Grundsatz der Bestandskraft unanfechtbarer Entscheidungen abzuwägen mit den Grundsätzen der Tatbestandsmäßigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.

Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, besteht ein Rechtsanspruch auf die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es handelt sich also nicht etwa um eine Ermessensentscheidung. Anders als die Verlängerung einer Frist (§ 109 Abs. 2 AO) kann die Wiedereinsetzung auch nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht oder nach § 120 AO mit einer Nebenbestimmung verbunden werden.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

Die maßgeblichen steuerverfahrensrechtlichen Regelungen finden sich in § 110 AO sowie im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO zu § 110 AO) und in § 56 Abs. 1 FGO.

1 Definition

Nach § 110 AO ist demjenigen, der ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Liegen die Voraussetzungen vor, so muss Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits von Amts wegen gewährt werden. Hauptanwendungs-, aber keineswegs einziger Fall im Steuerverfahrensrecht ist die Einspruchsfrist. Auch bei Versäumung einer Frist im Finanzgerichtsverfahren (z. B. Klage-, Revisions- oder Revisionsbegründungsfrist) ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Kläger/Revisionskläger ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.[1]

1.1 Gesetzliche Frist

Die Frage der Wiedereinsetzung stellt sich überhaupt nur bei gesetzlichen Fristen, also bei Fristen, deren Dauer im Gesetz bestimmt ist. Und zwar muss eine Frist versäumt worden sein, innerhalb der eine Rechtshandlung (Antragstellung, Einspruch, Klage usw.) vorzunehmen gewesen wäre.

Nach allgemein anerkannter und auch im Steuerverfahrensrecht geltender Definition sind Fristen abgegrenzte, bestimmbare Zeiträume, vor deren Ablauf eine Handlung oder ein Ereignis wirksam werden muss, um fristgerecht zu sein.[1] Mit dem Ablauf einer Frist treten regelmäßig bestimmte Rechtsfolgen ein, die zumeist in einem Rechtsverlust bestehen, der wiederum für den einen oder anderen Beteiligten naturgemäß mit nachteiligen Folgen verbunden sein kann. Während behördliche Fristen und Fristen zur Einreichung von Steuererklärungen (auch rückwirkend) verlängert werden können[2], ist eine Verlängerung gesetzlicher Fristen durch die Verwaltung oder durch das Gericht ausgeschlossen. In derartigen Fällen ist stets die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu prüfen.

Nicht zu den in § 110 Abs. 1 AO genannten Fristen gehören solche, die dem Steuerpflichtigen kein bestimmtes Verhalten nahe legen und von diesem nicht durch eine entsprechende Ausrichtung seines Handelns befolgt werden können. Keine Wiedereinsetzung gibt es daher bei gesetzlichen Fristen, die von den Finanzbehörden als Verwaltungsträger im Verwaltungsverfahren zu beachten sind. Daher kommt nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Fall einer abgelaufenen Festsetzungsfrist nicht in Betracht.[3]

Hat der Steuerpflichtige es unterlassen, einen Antrag auf Steuerfestsetzung bzw. einen Vergütungsantrag innerhalb der Festsetzungsfrist zu stellen, ist das Erlöschen des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis unabweisbar. In diesem Fall kann selbst bei unverschuldeter Säumnis des Steuerpflichtigen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO mit dem Ziel einer rückwirkenden Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO nicht gewährt werden.[4]

Die Normierung nicht wiedereinsetzungsfähiger Festsetzungsfristen[5] begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.[6]

1.2 Versäumnis

Versäumt (nicht eingehalten) ist eine Frist dann, wenn die beabsichtigte Rechtshandlung nicht vor Ablauf der fraglichen Frist in der vorgeschriebenen Form bei der zuständigen Behörde bzw. beim zuständigen Gericht eingegangen ist. Dabei ist die Kürze einer Fristübe...

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