Sachverhalt

Bei dem französischen Verfahren ging es um die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 168 Buchst. e MwStSystRL). Streitig war die Berechtigung zum Vorsteuerabzug aus Einfuhrumsatzsteuer (EUSt), die durch die Einfuhr von Gegenständen zwar entstanden war, aber nicht gezahlt wurde.

Die Klägerin führte in den Jahren 1992 bis 1995 Fahrräder aus Drittstaaten in die EU ein. Da die Zollverwaltung die Herkunftsangabe der Fahrräder für nicht zutreffend hielt, erlegte sie der Klägerin nachträglich zusätzlichen Zoll sowie darauf entfallende EUSt für die Einfuhr auf. Die Klägerin zahlte diese EUSt nicht. Da über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, war die EUSt-Forderung des Fiskus nicht mehr durchsetzbar, weil sie nicht rechtzeitig angemeldet wurde. Die Klägerin beantragte gleichwohl die Erstattung der EUSt als Vorsteuer. Die französische Steuerverwaltung lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass der Vorsteuerabzug für die bei der Einfuhr anfallende EUSt voraussetze, dass diese auch bezahlt wurde.

Der EuGH musste prüfen, ob Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 168 Buchst. e MwStSystRL) es einem Mitgliedstaat erlaubt, das Recht auf Abzug der EUSt von der tatsächlichen Zahlung der Steuer durch den Steuerschuldner abhängig zu machen, wenn der Steuerschuldner der EUSt und der Vorsteuerabzugsberechtigte, wie in Frankreich, ein und dieselbe Person sind.

 

Entscheidung

Der EuGH hat mit Verweis auf den nach seiner Ansicht eindeutigen Wortlaut von Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 168 Buchst. a MwStSystRL), wonach die Unternehmer berechtigt sind, die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für Gegenstände "geschuldet wird oder entrichtet worden ist", die ihnen geliefert worden sind oder werden, entschieden, dass sich das Vorsteuerabzugsrecht eindeutig nicht nur auf die MwSt bezieht, die der Unternehmer entrichtet hat, sondern auch die auf die von ihm geschuldete, d. h. die von ihm noch zu entrichtende MwSt. Der Begriff "geschuldet" bezieht sich nach dem Urteil auf eine rechtlich durchsetzbare Steuerschuld und setzt somit voraus, dass der Unternehmer zur Zahlung des Mehrwertsteuerbetrags, den er als Vorsteuer abziehen möchte, verpflichtet ist. Des Weiteren ergibt sich für den EuGH aus Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 168 i.V.m. Art. 70 und 71 MwStSystRL), dass das Vorsteuerabzugsrecht unabhängig davon entsteht, ob die für den eingeführten Gegenstand geschuldete Gegenleistung gezahlt worden ist. Folglich kann nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie das Recht auf Abzug der EUSt grundsätzlich nicht davon abhängig gemacht werden, dass diese EUSt zuvor tatsächlich gezahlt worden ist.

 

Hinweis

Nach dem Urteil ist es also möglich, dass ein Unternehmer, der bei erstmaliger Einfuhr eines Gegenstands sowohl Steuerschuldner der EUSt als auch Inhaber des Rechts auf Vorsteuerabzug ist, einen Betrag als Vorsteuer abziehen kann, den er zwar rechtlich schuldet, aber noch nicht entrichtet hat und - mangels Durchsetzbarkeit der Steuerforderung im Insolvenzverfahren - auch nicht mehr entrichten wird.

Die EuGH-Entscheidung steht dem deutschen Recht (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG) entgegen, wonach nur die entrichtete EUSt für Gegenstände, die für das Unternehmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG eingeführt worden sind, zum Vorsteuerabzug berechtigt. Entsprechendes Ergibt sich aus Abschnitt 15.8 Abs. 1 UStAE, wonach die EUSt vom Unternehmer als Vorsteuer abgezogen werden kann, wenn sie tatsächlich entrichtet wird und die Gegenstände für sein Unternehmen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg eingeführt worden sind. Die Entrichtung ist durch einen zollamtlichen Beleg nachzuweisen.

Zwar muss nach deutschem Recht nicht der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug vornehmen möchte, die EUSt entrichtet haben. Eine Einfuhr für das Unternehmen ist gegeben, wenn der Unternehmer den eingeführten Gegenstand im Inland zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr abfertigt und danach im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit zur Ausführung von Umsätzen einsetzt. Diese Voraussetzung ist bei dem Unternehmer gegeben, der im Zeitpunkt der Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr die Verfügungsmacht über den Gegenstand besitzt (vgl. auch BFH v. 24.4.1980, V R 52/73, BStBl II 1980, 615). Nicht entscheidend ist, wer Schuldner der entrichteten EUSt war, wer diese entrichtet hat und wer den für den vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer eingeführten Gegenstand tatsächlich über die Grenze gebracht hat. Überlässt ein ausländischer Unternehmer einem inländischen Unternehmer einen Gegenstand zur Nutzung, ohne ihm die Verfügungsmacht an dem Gegenstand zu verschaffen, ist daher der inländische Unternehmer nicht zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt (vgl. BFH v. 16.3.1993, V R 65/89, BStBl II 1993, 473, vgl. auch Abschnitt 15.8 Abs. 4 UStAE).

Nach deutschem Recht ist es so...

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