Leitsatz

Der Vorläufigkeitsvermerk in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid ist nicht hinreichend bestimmt, nicht hinreichend verständlich und nicht hinreichend umfassend formuliert. Er vermittelt deshalb nicht den verfassungsrechtlich garantierten effektiven Steuerrechtsschutz.

 

Sachverhalt

Der Kläger wurde für das Jahr 2005 zur Einkommensteuer veranlagt. Den Einkommensteuerbescheid hat das Finanzamt für das Jahr 2005 im Hinblick auf diverse Grundsatzverfahren beim BVerfG und BFH mit Vorläufigkeitsvermerken (§ 165 AO) versehen. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Einspruch eingelegt und gleichzeitig im Hinblick auf eine Vielzahl beim BVerfG und BFH anhängiger Verfahren das Ruhen des Verfahrens beantragt. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos und das Finanzamt erließ einen Teil-Einspruchsbescheid (§ 367 Abs. 2 a AO). Es entschied punktuell nicht über die Frage der "Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zur Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten" und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Der rechtliche und zeitliche Umfang eines Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 AO sei seit dem Urteil des BFH v. 31.5.2006 (X R 9/05, BStBl 2006 II S. 858) geklärt. Danach sei allein die Nennung des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO ausreichend.

 

Entscheidung

Das Finanzgericht hat den angefochtenen Teil-Einspruchsbescheid aufgehoben und daneben das Finanzamt verpflichtet, den Vorläufigkeitsvermerkbestimmter und verständlicher zu formulieren. Ist wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren beim EuGH, beim BVerfG oder bei einem obersten Bundesgericht anhängig und wird der Einspruch hierauf gestützt, ruht nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO das Einspruchsverfahren insoweit. Diese sog. Zwangsruhe gilt nur dann nicht, soweit die Steuer vorläufig festgesetzt worden ist. Soweit das Finanzamt im Streitfall gleichwohl einen Teil-Einspruchsbescheid erlassen hat, ist dies ermessensfehlerhaft. Die Vorläufigkeitsvermerke, die die Finanzämter den Einkommensteuerbescheiden regelmäßig beifügen, sind nicht ausreichend: Wer als steuerlicher Laie den amtlichen Zusatz im Vorläufigkeitsvermerk - "Änderungen dieser Regelungen werden von Amts wegen berücksichtigt; ein Einspruch ist insoweit nicht erforderlich" - liest, wähnt sich in Rechtssicherheit. Unter diesem Gesichtspunkt kann z. B. ein Steuerbescheid aufgrund des Vorläufigkeitsvermerks geändert werden, wenn ein Steuergesetz vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden ist. Eine Änderung kommt nach dem Wortlaut des § 165 Abs. 1 AO dann nicht in Betracht, wenn das Steuergesetz verfassungskonform ausgelegt werden kann, es also nicht zu einer Unvereinbarkeitserklärung mit der Verfassung kommt. In diesen Fällen kann effektiver Rechtsschutz nur durch ein Einspruchsverfahren, verbunden mit einer Verfahrensruhe erreicht werden.

 

Hinweis

Die von dem FG zugelassene Revision wurde eingelegt und wird beim BFH unter dem Az. III R 39/08 geführt. Gegen alle Bescheide mit Vorläufigkeitsvermerken sollte daher unter Hinweis auf das vorstehende Revisionsverfahren Einspruch eingelegt werden. Dies hat zur Folge, dass die Finanzverwaltung nun mit einer Flut von Einspruchsverfahren rechnen muss, welche alle kraft Gesetzes (§ 363 Abs. 2 AO) ruhen. Es bleibt daher abzuwarten, ob und ggf. wann die Vorläufigkeitsvermerke entsprechend den Vorgaben des FG neu formuliert werden, oder ob die Finanzverwaltung eine Entscheidung des BFH abwartet und damit in Kauf nimmt, das alle mit der o. a. Begründung angefochtenen Einkommensteuerbescheide bis zur Entscheidung durch den BFH in allen Punkten offen bleiben.

 

Link zur Entscheidung

Niedersächsisches FG, Urteil vom 12.12.2007, 7 K 249/07

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