Leitsatz

1. Trägt das Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko, ist es entgegen bisheriger Rechtsprechung nicht als Unternehmer tätig.

2. Ist eine Gutschrift nicht über eine Leistung eines Unternehmers ausgestellt, steht sie einer Rechnung nicht gleich und kann keine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG begründen.

 

Normenkette

§ 2 Abs. 1, § 14c Abs. 2, § 14 Abs. 2 UStG, Art. 9, Art. 10 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Der Kläger war in den Streitjahren 2013 bis 2015 leitender Angestellter der S‐AG und bis zum 2.3.2015 Aufsichtsratsmitglied der E‐AG, deren Alleingesellschafter die S‐AG war. Nach der Satzung der E‐AG erhielt jedes Aufsichtsratsmitglied für seine Tätigkeit eine jährliche Festvergütung von 20.000 EUR oder einen zeitanteiligen Anteil hiervon.

Die E‐AG rechnete gegenüber dem Kläger die Aufsichtsratsvergütung für 2013 mit Gutschrift vom 10.12.2013 mit Steuerausweis (Entgelt: 20.000 EUR und Umsatzsteuer zum Regelsteuersatz: 3.800 EUR) ab. Dieser Gutschrift widersprach der Kläger mit Schreiben vom 16.12.2014. Der Kläger zahlte die Umsatzsteuer i.H.v. 3.800 EUR im Jahr 2015 an die E‐AG zurück.

Für 2014 rechnete die E‐AG die Aufsichtsratsvergütung per Gutschrift ohne Steuerausweis i.H.v. 20.000 EUR ab. Auch für den Zeitraum 1.1.2015 bis 2.3.2015 rechnete die E‐AG die Aufsichtsratsvergütung per Gutschrift i.H.v. 3.342,47 EUR ohne Umsatzsteuerausweis ab. Der Kläger machte geltend, dass er seine Tätigkeit nicht zu versteuern habe.

Das FA folgte dem nicht. Einspruch und Klage zum FG hatten keinen Erfolg (FG Münster, Urteil vom 26.1.2017, 5 K 1419/16 U, Haufe-Index 11526518, EFG 2018, 323).

 

Entscheidung

Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und gab der Klage statt. Der Kläger sei in Bezug auf seine Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft mangels Vergütungsrisiko kein Unternehmer gewesen. Es bestehe auch aufgrund der Gutschrift keine Steuerschuld, da eine Gutschrift über die Leistung eines Unternehmers erteilt werden müsse, an der es fehle.

 

Hinweis

1. Der BFH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung Aufsichtsratsmitglieder unabhängig von weiteren Voraussetzungen als Unternehmer angesehen (BFH, Urteil vom 27.7.1972, V R 136/71, Haufe-Index 425954, BStBl II 1972, 810; BFH, Urteil vom 2.10.1986, V R 68/78, Haufe-Index 414777, BStBl II 1987, 42 und BFH, Urteil vom 20.8.2009, V R 32/08, BFH/NV 2009, 1916, BStBl II 2010, 88).

Die Finanzverwaltung hat sich dem angeschlossen (Abschn. 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE), wobei sie aber eine mit dieser Rechtsprechung wohl nicht vereinbarte Bereichsausnahme für Aufsichtsratsmitglieder aus dem Bereich der öffentlichen Hand verfügte (vgl. z.B. OFD Hannover vom 13.7.1994, UR 1995, 200).

2. Demgegenüber hat der EuGH für einen Einzelfall die Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds bei einer niederländischen Stiftung verneint (EuGH, Urteil vom 13.6.2019, C 420/18, IO, BFH/NV 2019, 1053, EU:C:2019:490).

Danach kommt es für die Beurteilung der Unternehmereigenschaft nicht entscheidend darauf an, dass das Aufsichtsratsmitglied weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat hierarchisch untergeordnet ist und dabei für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handelt.

Maßgeblich ist für den EuGH vielmehr, ob das Aufsichtsratsmitglied das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt. Dies verneinte der EuGH, da das Aufsichtsratsmitglied im Urteilsfall eine feste Vergütung erhielt, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängig war. Zudem verwies der EuGH darauf, dass eine durch das Aufsichtsratsmitglied begangene Fahrlässigkeit keine unmittelbaren Auswirkungen auf seine Vergütung gehabt hätte.

3. Mit seinem neuen Urteil hat der BFH dies auf das deutsche Aktienrecht übertragen und entschieden, dass auch das Aufsichtsratsmitglied bei einer Aktiengesellschaft – entgegen bisheriger BFH-Rechtsprechung – kein Unternehmer ist, wenn er wegen einer Festvergütung kein Vergütungsrisiko trägt.

4. Damit stellt sich die Frage, ob es hier zu weitergehenden Beurteilungsänderungen kommt. Dabei ist zwischen drei Bereichen zu unterscheiden.

a) In Bezug auf die Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern bei Aktiengesellschaften stellt sich die Frage, ob sie überhaupt ein Vergütungsrisiko tragen können. Ein solches könnte für Aufsichtsratsmitglieder zu bejahen sein, die eine vom Unternehmenserfolg abhängige Zusatzvergütung erhalten oder z.B. durch Aktienoptionen vergütet werden. Allerdings besteht auch hier kein Risiko dergestalt, dass sie – wie in anderen Bereichen – bei einer Schlechtleistung durch Unternehmer ihren Vergütungsanspruch (vollständig) verlieren. Auch das Risiko eines Zahlungsausfalls dürfte jedenfalls im Regelfall eher als gering einzuschätzen sein.

Im Hinblick hierauf könnte über die jetzt vollzogene Einschränkung der Rechtsprechung die Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern allgemein zu verneinen sein. Wäre demgegenüber...

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