Leitsatz

Ist der Schuldner ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter selbstständig tätig und vereinnahmt er entsprechende Beträge für sich, werden dadurch keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO a. F. begründet.

 

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob Umsatzsteuerschulden des Insolvenzschuldners Masseverbindlichkeiten darstellen und damit zu Lasten der übrigen Insolvenzgläubiger gehen. Über das Vermögen des selbstständig tätigen Insolvenzschuldners A wurde im März 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger B zum Insolvenzverwalter ernannt. Die Gläubigerversammlung beschloss, dass das Unternehmen fortgeführt und Unterhalt im Rahmen der Pfändungsfreigrenzen gewährt werden solle. In der Folgezeit führte A sein Büro mit Zustimmung des Klägers fort, seine Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit flossen auf das vom Kläger eingerichtete Insolvenzanderkonto. Im Januar 2012 wurde A antragsgemäß durch das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung erteilt. Die Dauer der Laufzeit der Abtretungsfrist war zuvor bereits im März 2011 abgelaufen. In den Jahren 2008 bis 2011 hatte A Einnahmen in Höhe von insgesamt rund 116.500 Euro hinterzogen, die auf dem Konto seiner Ehefrau vereinnahmt worden waren. Diese Gelder wurden auch nicht zur Masse geleistet.

 

Entscheidung

Die durch die angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheide höher festgesetzten Umsatzsteuerschulden stellen insoweit keine Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO a. F. dar, die gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen und von diesem vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind. Vielmehr sind sie als sonstige nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steueransprüche zu qualifizieren, die insolvenzfrei und gegen den Insolvenzschuldner festzusetzen sind. Soweit die Umsatzsteuerschulden im Zusammenhang mit Umsätzen nach dem Ablauf der Abtretungsfrist entstanden sind, folgt dies - zur vor dem 1.7.2007 geltenden Insolvenzordnung a. F. - aus dem Beschluss des BGH vom 13.2.2014 (IX ZB 23/13), was letztlich zwischen den Beteiligten auch unstreitig war.

Für die streitgegenständlichen Umsatzsteuerschulden, die auf Umsätze vor dem Ablauf der Abtretungsfrist entfallen, gilt Folgendes:

Der Insolvenzverwalter konnte die Einnahmen nicht zur Masse ziehen, da der Insolvenzschuldner sie ihm und dem Finanzamt gegenüber verheimlicht hat. Es steht auch nicht in der Rechtsmacht des Schuldners, am Insolvenzverwalter vorbei die Insolvenzmasse zu belasten. Dies gilt jedenfalls für den vorliegend zu beurteilenden Fall, dass der Kläger als Insolvenzverwalter nicht schuldhaft unwissend gewesen ist, nach Kenntniserlangung das Insolvenzgericht unverzüglich unterrichtet und versucht hat, die verheimlichten Einnahmen nachträglich zu erlangen. Dieses Ergebnis wird auch gestützt durch die Neuregelung des § 35 Abs. 2 InsO in der ab dem 1.7.2007 geltenden Fassung. Diese lässt nämlich erkennen, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet sein kann, Erträge zu versteuern, die er nicht erhalten hat (vgl. BFH-Urteil vom 18.5.2010, X R 11/09). Da der Insolvenzmasse in den Streitjahren 2008 bis 2011 insoweit kein Vermögen zugeflossen ist, können die daraus resultierenden Verbindlichkeiten nicht als Masseverbindlichkeiten beurteilt werden (vgl. BFH, Urteil v. 16.4.2015, III R 21/11, BStBl 2016 II S. 29).

 

Hinweis

Nach Ablauf der Abtretungserklärung unterfällt der sog. Neuerwerb nach § 35 S. 1 Alt. 2 InsO a. F. nicht mehr der Insolvenzmasse. Dies gilt auch für den Neuerwerb, der nicht aus laufenden Bezügen im Sinne des § 287 Abs. 2 InsO a. F. besteht, sondern aus Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit. Hintergrund ist, dass ein (redlichen) Insolvenzschuldner nach 6 Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein wirtschaftlicher Neuanfang ermöglicht werden soll (vgl. Korte, EFG 2017, S. 752 ff.). Deshalb sollen nach Ansicht des Finanzgerichts auch die Umsatzsteuerschulden, die mit dem Neuerwerb nach Ablauf der Abtretungsfrist zusammenhängen, nicht gegen die Masse geltend gemacht werden können. Die Fälle des Neuerwerbs sind seit dem 1.7.2014 in § 300a Abs. 1 Satz 1 InsO ausdrücklich geregelt.

Bereits mit Wirkung zum 1.7.2007 regelt § 35 Abs. 2 InsO n. F., dass der Insolvenzverwalter bei der Frage der Zuordnung des Neuerwerbs zur Insolvenzmasse seine Zustimmung zu erteilen hat. Offenbar soll auch nach dem Willen des Gesetzgebers ein ordentlich handelnder Insolvenzverwalter nicht dazu verpflichtet sein, Erträge zu versteuern, die er nicht erhalten hat. Das Urteil wurde rechtskräftig.

 

Link zur Entscheidung

FG Köln, Urteil vom 09.12.2016, 7 K 1860/16

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