Leitsatz

1. Eine organisatorische Eingliederung ist auch ohne Personenidentität in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft gegeben, wenn nach dem Anstellungsvertrag zwischen der Organgesellschaft und ihrem nominell bestellten Geschäftsführer dieser die Weisungen der Gesellschafterversammlung sowie eines angestellten Dritten zu befolgen hat, der auf die Willensbildung der Gesellschafterversammlung einwirken kann und der zudem alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer des Organträgers ist.

2. Eine Organschaft setzt u.a. voraus, dass der Organträger eine eigenständige Unternehmenstätigkeit ausübt.

 

Normenkette

§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG, Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 6. EG-RL (= EWG-RL 388/77)

 

Sachverhalt

Gesellschafter der Klägerin und Revisionsklägerin, einer GmbH, waren zunächst M (10 %) und S (90 %). S hielt aufgrund eines Treuhandvertrags seinen Anteil im Innenverhältnis als Treuhänder seines Vaters (V).

Mit Gesellschaftsvertrag vom 7.12.2004 war die F-GmbH errichtet worden. V und M brachten ihre Geschäftsanteile an der Klägerin in die F-GmbH ein. Das Stammkapital der F-GmbH hielten zu 90 % deren einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer V und zu 10 % M.

S war durch einen "Anstellungsvertrag für Geschäftsführer" zum einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Klägerin bestellt worden, hatte jedoch danach u.a. Weisungen der Gesellschafterversammlung sowie des V zu befolgen. S kümmerte sich nicht um die Geschäfte, sondern überließ diese "gänzlich und ohne Einschränkung" V. Überdies willigte S in die von V vorgenommenen Geschäfte, sofern diese auch ihn selbst betrafen, allgemein ein. Danach hat V die Geschäfte der Klägerin geleitet, von der er als Angestellter ein Gehalt bezog.

Die Klägerin nahm an, sie sei als Organgesellschaft in das Unternehmen der Organträgerin, der F-GmbH, eingegliedert. Das FA nahm dagegen an, die Klägerin sei finanziell und organisatorisch nicht in die F-GmbH eingegliedert, und setzte gegen die Klägerin Umsatzsteuer fest.

Das FG Münster (FG Münster, Urteil vom 25.4.2013, 5 K 1401/10 U, Haufe-Index 7250709, EFG 2014, 1829) wies die Klage ab. Es ließ "dahinstehen", ob die F-GmbH Organträgerin habe sein können. Denn die Klägerin sei nicht in das Unternehmen der F-GmbH eingegliedert gewesen.

Zwar liege eine finanzielle Eingliederung vor, da die F-GmbH über die Mehrheit der Stimmrechte an der Klägerin verfügt habe.

Es fehle aber an der organisatorischen Eingliederung, weil in den Geschäftsführungsorganen der Klägerin und der F-GmbH keine Personenidentität bestanden habe. Entgegen dem Geschäftsführer-Anstellungsvertrag habe nicht S, sondern V ohne jegliche Einschränkungen die Geschäfte der Klägerin geleitet. Eine organisatorische Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen der F-GmbH scheide trotzdem aus, da V nicht personenidentisch mit der F-GmbH sei. Anhaltspunkte dafür, dass V seine Geschäftsführung bei der Klägerin "für die F-GmbH" ausgeübt habe, seien nicht ersichtlich.

 

Entscheidung

Der BFH bejahte aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen aufgrund des Weisungsrechts im Anstellungsvertrag sowie der allgemeinen Einwilligung des S in das Handeln des V das Vorliegen einer organisatorischen Eingliederung der Klägerin in die F-GmbH, hob die Vorentscheidung deshalb auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück, damit die vom FG offengelassene Frage geprüft werden kann, ob die F-GmbH eine geschäftsleitende Holding und damit Unternehmerin ist.

 

Hinweis

1. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG nicht selbstständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Dies setzt nach der Rechtsprechung des BFH ein Verhältnis der Über- und Unterordnung voraus (vgl. BFH, Beschluss vom 11.12.2013, XI R 38/12, BFHE 244, 94, BStBl II 2014, 428, Rz. 65, m.w.N.). Dass der V. Senat des BFH nunmehr in diesem Zusammenhang von "Durchgriffsrechten" spricht (BFH, Urteil vom 2.12.2015, V R 15/14, BFH/NV 2016, 506), bedeutet inhaltlich nichts anderes.

2. Die danach erforderliche organisatorische Eingliederung besteht regelmäßig unter folgenden Voraussetzungen:

a) Es besteht eine Personenidentität in den Leitungsgremien von Organträger und Organgesellschaft (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 17.1.2002, V R 37/00, BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, Rz. 33; BFH, Urteil vom 8.8.2013, V R 18/13, BFHE 242, 433, BFH/NV 2013, 1747, Rz. 25 f.).

b) Es bestehen "institutionell abgesicherte" ­unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft (vgl. BFH, Urteil vom 3.4.2008, V R 76/05, BStBl II 2008, 905, unter II.4., Rz. 41; in BFH/NV 2016, 506, Rz. 43; Abschn. 2.8 Abs. 10 ­UStAE).

c) Deshalb besteht eine organisatorische Eingliederung auch dann, wenn trotz formaler Geschäftsführerstellung eines Dritten durch ein Zusammenspiel der Regelungen i...

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