Leitsatz

Pflegeleistungen sind unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei, wenn die Pflegekraft die Möglichkeit hat, Verträge nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XI mit Pflegekassen abzuschließen.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 18 UStG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g 6. EG-RL, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL, § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, § 4 Nr. 16

 

Sachverhalt

Die Klägerin war Mitglied des eingetragenen Vereins B. Sie erbrachte für den Verein im Rahmen des "B-Modells" Pflegeleistungen. Die Klägerin war dabei als Pflegehelferin tätig, ohne über eine Ausbildung als Kranken- oder Altenpflegerin zu verfügen. Im Rahmen des "B-Modells" schloss der Verein Verträge mit pflegebedürftigen Personen und Pflegekassen. Pflegehelfer wie die Klägerin schlossen mit dem Verein Qualitätsvereinbarungen ab und wurden so zu sog. aktiven Vereinsmitgliedern. Für den Verein war die Klägerin in zwei "Teams" tätig. Weitere Tätigkeiten erbrachte sie für den Verein K. Nach Aufstellungen des Vereins B wurden die Kosten der Leistungen des "Teams II" in 2007 zu 96 % und in 2008 zu 82 % von den Pflegekassen getragen. Das FA ging davon aus, dass die Klägerin umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbracht habe. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FG gab der Klage statt, da ihre Leistungen nach dem Unionsrecht steuerfrei seien (FG Münster, Urteil vom 14.1.2014, 15 K 4674/10 U, Haufe-Index 6689365, EFG 2014, 868).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.

 

Hinweis

1. Pflegeleistungen sind nach nationalem Recht nur unter den Voraussetzungen von § 4 Nr. 16 UStG steuerfrei.

2. Eine weitergehende Steuerfreiheit kann sich aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ergeben.

a) Steuerfrei sind danach insbesondere Pflegeleistungen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden.

b) Die Anerkennung als Einrichtung kann sich aus einer Reihe unterschiedlicher Merkmale ergeben. Zu berücksichtigen sind "spezifische Vorschriften", bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann, das mit den Tätigkeiten des Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, oder die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und die Übernahme der Kosten der Leistungen durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit.

c) Danach kann sich die erforderliche Anerkennung auch aus der Möglichkeit eines Vertragsschlusses mit einer Pflegekasse nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XI ergeben. Hierfür reicht es aus, dass die Pflegekraft als geeignet i.S.v. § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XI anzusehen ist. Auf einen Berufsabschluss in einem Pflegeberuf kommt es dabei nicht an. Als ausreichend werden "Nachweise über Fortbildungen" angesehen.

d) Vertragliche Vereinbarungen mit Pflegekassen sind dementsprechend auch nicht erforderlich. In Abgrenzung zur bisherigen Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 8.11.2007, V R 2/06, BFH/NV 2008, 510) lässt es der BFH ausreichen, dass eine Pflegekraft Mitglied in einem "anerkannten" Verein zur Erbringung von Pflegeleistungen ist, dessen Kosten weitgehend von den Pflegekassen getragen werden, sodass eine über den Verein durchgeleitete Kostentragung vorliegt. Dies begründet der BFH mit einem dem gerichtsbekannten Pflegenotstand und dem sich hieraus ergebenden hohen Gemeinwohlinteresse, das an der Erbringung steuerfreier Pflegeleistungen bestehe.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.8.2015 – V R 13/14

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