Leitsatz

1. Der Teilwert von Anteilen an offenen Immobilienfonds, deren Ausgabe und Rücknahme endgültig eingestellt ist, ist der Börsenkurs der Anteile im Handel im Freiverkehr.

2. Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung von Anteilen an offenen Immobilienfonds, deren Ausgabe und Rücknahme endgültig eingestellt ist, liegt vor, wenn der Börsenwert zum Bilanzstichtag unter denjenigen im Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile gesunken ist und der Kursverlust die Bagatellgrenze von 5 % der Anschaffungskosten bei Erwerb überschreitet.

3. Eine zum Widerruf der Erklärung, auf mündliche Verhandlung zu verzichten, berechtigende wesentliche Änderung der Prozesslage liegt nicht vor, wenn der zur Entscheidung berufene Spruchkörper wechselt.

 

Normenkette

§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 1 und 2, Nr. 1 Satz 3 EStG, § 8 Abs. 1 KStG, § 4 Abs. 1, § 8 Abs. 2, § 8 Abs. 3 InvStG a.F., § 90 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Bank, hielt in ihrem Umlaufvermögen zum Bilanzstichtag 31.12.2012 Anteile an offenen Immobilienfonds, die sich in Liquidation befanden und bei denen die Ausgabe und Rücknahme von Anteilen endgültig ausgesetzt war.

Die Bank schrieb die Anteile zum Bilanzstichtag auf den niedrigeren sog. Zweitmarktwert (Börsenkurs im Handel mit den Anteilen im Freiverkehr) ab.

Das FA erkannte nach Durchführung einer Außenprüfung die Teilwertabschreibungen nicht an. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG (FG Münster, Urteil vom 28.10.2016, 9 K 2393/14 K, Haufe-Index 10395991, EFG 2017, 379) wies die Klage ab. Es nahm an, bezogen auf die Anteile der Klägerin ließen sich die Voraussetzungen für eine Teilwertabschreibung nicht feststellen. Offen ließ es, ob auch das in § 8 Abs. 2 Satz 1 InvStG a. F. zum Ausdruck kommende Transparenzprinzip eine Abschreibung der Anteile ausschließe oder einschränke.

Das FA hat mit Schreiben vom 11.5.2017 auf mündliche Verhandlung verzichtet. Mit Schreiben vom 30.5.2017 hat es erklärt, es sei abweichend vom Schreiben vom 11.5.2017 doch nicht mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen an das FG Münster zurück. Dieses muss Feststellungen zur Höhe der Teilwert-AfA und die Prüfung des InvStG a. F. nachholen.

Der BFH entschied ohne mündliche Verhandlung, weil beide Beteiligte darauf verzichtet hatten. Den Widerruf des Verzichts durch das FA sah der BFH als unwirksam an. Der (zum 1.1.2018 eingetretene) Zuständigkeitswechsel sei auch keine wesentliche Änderung der Prozesslage.

 

Hinweis

1. Die Finanzkrise rund um die Lehman-Pleite im Jahr 2008 hat auch die Anleger von offenen Immobilienfonds betroffen: Als (vornehmlich institutionelle) Anleger im Oktober 2008 massenhaft Anteile an den als "sicher" geltenden Fonds zurückgeben wollten, reichte deren Liquidität nicht aus, um alle Orders bedienen zu können. Mehrere Fonds mussten zunächst vorübergehend schließen und letztendlich abgewickelt werden. Der durchschnittliche Verlust von September 2008 bis März 2018 betrug 22 % (Scope, offene Immobilienfonds in Abwicklung – Ergebnisse der Fondsliquidationen).

2. Nach der Schließung war ein Handel der Anteile, obwohl die Fondsgesellschaften weiter nach dem InvG(fiktive) Rücknahmepreise anhand (geschätzter) Immobilienwerte ermittelten, praktisch nur noch am sog. "Zweitmarkt" (mehrerer deutscher Börsen) möglich. Phasenweise kam es zu erheblichen Kursabschlägen gegenüber dem festgestellten Rücknahmepreis. Für bilanzierende Steuerpflichtige war deshalb die (streitige) Frage: Welcher Wert ist anzusetzen? Und ist eine Teilwert-AfA zulässig?

3. Da Teilwert der Betrag ist, den ein gedachter Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde, ist ausgeschlossen, den fiktiven Rücknahmepreis als Teilwert anzusetzen: Ein gedachter Erwerber zahlt die am Markt gebotenen (Anlagevermögen) bzw. erzielbaren (Umlaufvermögen) Preise, nicht fiktive.

4. Schwieriger zu beantworten ist, ob in Fällen, in denen sich der Börsenkurs vom "inneren Wert" eines Wirtschaftsguts (z.B. Substanzwert einer Aktie, Nennwert einer Anleihe etc.) entfernt, von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung ausgegangen werden darf.

a) Der BFH hat dies für Aktien (vgl. BFH, Urteil vom 26.9.2007, I R 58/06, BFH/NV 2008, 432, BStBl II 2009, 294; BFH, Urteil vom 21.9.2016, X R 58/14, BFH/NV 2017, 275, Rz. 61; zu Fällen mit Paketzuschlag s. BFH, Urteil vom 16.12.2015, IV R 18/12, BFH/NV 2016, 648, BStBl II 2016, 346, Rz. 41) und Aktien-Investmentfonds (BFH, Urteil vom 21.9.2011, I R 89/10, BFH/NV 2012, 306, BStBl II 2014, 612) bejaht.

b) Bei festverzinslichen Wertpapieren hat er es verneint (BFH, Urteil vom 18.4.2018, I R 37/16, BFH/NV 2018, 873, BStBl II 2019, 73), weil der Inhaber eines solchen Papiers an jedem Bilanzstichtag das gesicherte Recht hat, am Ende der Laufzeit den Nominalwert zu erhalten.

c) Da eine vergleichbare Situation wie bei festverzinslichen...

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