Leitsatz

1. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2 EStG enthalten eine planwidrige Regelungslücke, soweit die dort enthaltenen Realisationstatbestände den Entzug von Aktien aufgrund der Auflösung und Abwicklung einer inländischen AG durch ein Insolvenzverfahren mit anschließender Löschung im Register nicht unmittelbar erfassen. Die planwidrige Regelungslücke ist durch eine entsprechende Anwendung des Veräußerungstatbestands gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG zu schließen.

2. Von einer "Veräußerung" der Aktien ist danach auszugehen, wenn die AG bei Vermögenslosigkeit gemäß § 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG im Register gelöscht wird und das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs erlischt. Bei einer (früheren) Ausbuchung der Aktien aus dem Depot des Steuerpflichtigen durch die Depotbank wird der Tatbestand schon zu diesem Zeitpunkt verwirklicht.

3. Der Veräußerungstatbestand ist noch nicht verwirklicht, wenn der Aktionär schon vor der Löschung der AG mit einer Auskehrung von Vermögen im Rahmen der Schlussverteilung des Vermögens der AG objektiv nicht mehr rechnen kann oder die Notierung der Aktien an der Börse eingestellt oder deren Börsenzulassung widerrufen wird.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 4, § 17 Abs. 4 EStG, § 262 Abs. 1 Nr. 3, § 264 Abs. 1 AktG, § 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG

 

Sachverhalt

Im Jahr 2009 hatte der Kläger 10.000 Aktien der N‐AG zum Preis von 0,94 EUR je Aktie erworben. Über das Vermögen der N‐AG wurde im Jahr 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die N‐AG wurde daraufhin aufgelöst und im Rahmen des Insolvenzverfahrens abgewickelt. Die Aktien der N‐AG wurden zum 31.12.2013 noch mit einem Kurswert von 0,029 EUR je Aktie im Depot des Klägers ausgewiesen.

Der Kläger begehrte bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2013 die steuerliche Berücksichtigung eines Aktienverlustes aufgrund der Insolvenz der N‐AG in Höhe von 9.400 EUR. Zur Verrechnung dieses Verlustes mit Aktiengewinnen stellt er einen Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG.

Das FA lehnte die steuerliche Anerkennung des Verlustes ab. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 13.3.2018, 9 K 644/18, Haufe-Index 11988203, EFG 2018, 1705).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Zeichnet sich die Insolvenz einer AG ab, ist dem Aktionär zu raten, seinen Verlust schnellstmöglich zu realisieren. Wurden die Aktien nach dem 31.12.2008 angeschafft, ist eine Möglichkeit der steuerlichen Berücksichtigung des Aktienverlustes, diese zu veräußern. Der Verlust ist nach der Rechtsprechung des BFH auch dann gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 EStG steuerlich anzuerkennen, wenn die Aktien gegen ein geringes Entgelt oder bei objektiver Wertlosigkeit auch ohne Entgelt auf einen Dritten übertragen werden.

2. Bislang offen war die Frage, ob der Verlust des Aktienwertes auch dann steuerlich zu berücksichtigen ist, wenn der Aktionär aufgrund der insolvenzbedingten Löschung der AG sein Mitgliedschaftsrecht verliert. Dies hat der BFH in der vorliegenden Entscheidung bejaht. Nach seiner Auffassung enthalten § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2 EStG diesbezüglich eine Regelungslücke. Diese ist dahingehend zu schließen, dass der Aktienverlust in entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerlich anzuerkennen ist, wenn die AG bei Vermögenslosigkeit gemäß § 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG im Handelsregister gelöscht wird.

3. Im vorliegenden Fall war die Klage dennoch abzuweisen, da die AG im Streitjahr 2013 noch nicht vollbeendet und aus dem Handelsregister gelöscht worden war. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der AG ist für die steuerliche Anerkennung des Aktienverlustes nicht ausreichend. Dies gilt auch dann, wenn mit einer Auskehrung von Vermögen an die Aktionäre nicht mehr zu rechnen ist. Auch die Einstellung der börslichen Notierung der Aktie oder der Widerruf der Zulassung der Aktie der insolventen Gesellschaft zum Handel im regulierten Markt führen zu keiner steuerlichen Berücksichtigung des Aktienverlustes, da dies den Bestand des Mitgliedschaftsrechts nicht berührt.

4. Soweit gemäß § 17 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 EStG ein Auflösungsverlust schon zu einem früheren Zeitpunkt steuerlich zu berücksichtigen ist, ist dies für die analoge Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG unerheblich. Grund hierfür ist, dass bei der Gewinnermittlung nach § 17 EStG eine Stichtagsbewertung vorzunehmen ist. Dagegen gilt bei Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG das Zu- und Abflussprinzip nach § 11 EStG. Danach ist für die steuerliche Berücksichtigung des Aktienverlustes bei der Insolvenz der AG nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG allein auf das Erlöschen des Mitgliedschaftsrechts aufgrund der Löschung der AG im Handelsregister abzustellen.

5. Hinzuweisen ist auf die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG. Danach unterliegen Verluste aus der Aktienveräußerung einer besonderen Verlustverrechnungsbes...

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