Leitsatz

Das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung führt nicht dazu, die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung aufgrund einer vom Abnehmer zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begangenen Steuerhinterziehung zu versagen.

 

Normenkette

§ 6a, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG, Art. 138, Art. 146 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin lieferte im Streitjahr 2013 Kraftfahrzeuge aus dem Inland in die Türkei an dort ansässige Abnehmer. Sie nahm dabei die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen in Anspruch. Mit Änderungsbescheid vom 27.8.2015 setzte das Finanzamt im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung die Steuer abweichend fest, indem es keine Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung von 20 Kraftfahrzeugen für Umsätze in Höhe von 1.132.400 EUR gewährte.

Das Finanzamt ging davon aus, dass die Fahrzeuge über eine Spedition zwar tatsächlich in die Türkei geliefert worden seien, die Steuerfreiheit aber im Hinblick auf die Missbrauchsrechtsprechung des EuGH zu versagen sei, da sich die Klägerin aktiv an einem Betrugsmodell beteiligt habe. Sie habe die Begehung von Steuerverkürzungen im Empfangsstaat durch die Erteilung unterfakturierter Zweitrechnungen, die das Entgelt im Vergleich zu den zutreffenden Erstrechnungen nicht vollständig ausgewiesen hätten, ermöglicht. In der Türkei seien mit diesen Rechnungen die Sonderverbrauchsteuer (Özel Tüketim Vergis) und die Umsatzsteuer (Katma Deger Vergisi) bei der Einfuhr hinterzogen worden. Der hiergegen eingelegte Einspruch führte nur in Bezug auf ein Fahrzeug zu einer Änderung und wurde mit Einspruchsentscheidung vom 18.10.2016 für die übrigen 19 Kraftfahrzeuge als unbegründet zurückgewiesen. Die Klage zum Finanzgericht hatte keinen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 19.2.2019, 8 K 2906/16, Haufe-Index 13139061, EFG 2019, 1236).

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und gab der Klage statt.

 

Hinweis

1. Der EuGH hat mit minimaler Gesetzesanbindung ein System eingeführt, nach dem der Unternehmer, der beim Vorsteuerabzug wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Lieferant Umsatzsteuer hinterzieht, den Vorsteuerabzug verliert. Ebenso verliert der Unternehmer, der Ware innergemeinschaftlich liefert, den Anspruch auf die hierfür vorgesehene Steuerbefreiung, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Abnehmer im Bestimmungsmitgliedstaat Umsatzsteuer hinterzieht.

Im Hinblick auf die bislang fast völlig fehlenden gesetzlichen Grundlagen dieser EuGH-Rechtsprechung hat der nationale Gesetzgeber mit der Schaffung des seit Jahresanfang 2020 geltenden § 25f UStG reagiert. Die den Unternehmer treffenden Verpflichtungen sind hierdurch für ihn erstmals in Gesetzesform sichtbar geworden, so dass die Neuregelung zu begrüßen ist.

Viele Detailfragen sind in diesem Bereich bislang ungeklärt. Dies galt auch für die Frage, ob der vom EuGH geschaffene Rechtsverlust aufgrund einer Hinterziehungsbeteiligung auch im Bereich der nach § 6 UStGsteuerfreien Ausfuhrlieferung eingreift. § 25f UStG ist auf diese Steuerbefreiung nicht anzuwenden.

2. Mit dem Besprechungsurteil bejaht der BFH für den Beispielfall einer unterfakturiert ausgestellten Zweitrechnung, die dem Importeur die Hinterziehung von Eingangsabgaben in einem Drittstaat ermöglichen soll, die Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung trotz aktiver Beteiligung an einer Abgabenhinterziehung. Maßgeblich ist dabei Folgendes:

a) Der EuGH stellt für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung wie auch der Ausfuhrlieferung im Grundsatz lediglich auf die materiellen Voraussetzungen ab. Ein bloßer Verstoß gegen formelle Verpflichtungen – wie etwa gegen Nachweispflichten – ist daher im Ausgangspunkt unbeachtlich.

Danach führt eine unterfakturierte Rechnungserteilung nicht zur Steuerpflicht der Ausfuhrlieferung, da der gelieferte Gegenstand gleichwohl unter Wahrung der Beförderungsbedingung in das Drittlandsgebiet gelangt.

b) Von diesem Grundsatz macht der EuGH zwei Ausnahmen.

aa) Zum einen soll es anders sein, wenn ein Verstoß gegen formelle Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind. Damit umschreibt der EuGH eine eigentlich überflüssige Selbstverständlichkeit. Dies zeigt sich auch im Streitfall, in dem die unterfakturiert ausgestellte Zweitrechnung einem sicheren Nachweis der Beförderung in das Drittlandsgebiet nicht entgegensteht.

bb) Wichtiger ist der zweite Ausnahmefall:

(1) Danach kann sich ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung beteiligt hat, für die Zwecke der Mehrwertsteuerbefreiung nicht auf den Grundsatz der Steuerneutralität berufen. Daher verstößt es nicht gegen das Unionsrecht, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu fordern, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterz...

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