Leitsatz

1. Die im Vorsteuer-Vergütungsverfahren geltende Einschränkung des § 18 Abs. 9 Satz 6 UStG (jetzt: § 18 Abs. 9 Satz 4 UStG) zur Gegenseitigkeit findet gemäß § 15 Abs. 4b UStG unter den dort genannten Voraussetzungen auch im allgemeinen Besteuerungsverfahren Anwendung. Fehlt es in den dort genannten Fällen an der für eine Vorsteuer-Vergütung erforderlichen Gegenseitigkeit, ist auch im allgemeinen Besteuerungsverfahren der Vorsteuerabzug des nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers für sämtliche Eingangsleistungen ausgeschlossen.

2. § 18 Abs. 9 Satz 6 UStG (jetzt: § 18 Abs. 9 Satz 4 UStG) und § 15 Abs. 4b UStG verstoßen weder gegen Verfassungsrecht noch gegen Unionsrecht.

 

Normenkette

§ 18 Abs. 9 Satz 6, Abs. 4a, § 3a Abs. 2 Sätze 1 und 2, § 13b Abs. 2 und 4, § 15 Abs. 4b, § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG, § 59 UStDV, Art. 44, Art. 56, Art. 170, Art. 171, Art. 171a EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 11 Abs. 1 EUV 282/2011, Art. 1 Nr. 1, Art. 2 Abs. 2 EWGRL 560/86, Art. 20 EuGrdRCh, Art. 3 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Unternehmerin, ist in X, einem Drittland, ansässig. In A, Deutschland, unterhielt sie ein Verbindungsbüro, in dem durchschnittlich ca. fünf Mitarbeiter tätig waren. Ausgangsumsätze führte das Verbindungsbüro nicht aus.

Im Streitjahr erhielt die Klägerin für von dem Verbindungsbüro in A beauftragte, verwertete bzw. bezogene Leistungen Rechnungen mit ausgewiesener deutscher Umsatzsteuer i.H.v. 30.722,22 EUR sowie acht Nettorechnungen ausländischer Dienstleister, mit denen diese Werbeleistungen abrechneten.

Die Klägerin reichte zunächst keine Steuererklärung ein. Im Oktober 2009 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) gegenüber der Klägerin einen Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr (2007), mit dem die Umsatzsteuer auf 0 EUR festgesetzt wurde.

Im November 2014 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein und begehrte den Vorsteuerabzug. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie einen Anspruch auf Berücksichtigung der Vorsteuer im allgemeinen Besteuerungsverfahren habe. Streitig sei, ob sie im Inland ansässig sei und die Umsatzsteuer gemäß § 13b UStG für die Werbeleistungen der ausländischen Dienstleister schulde. Die übrigen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug lägen unstreitig vor.

Das FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.7.2017, 5 K 5270/15, Haufe-Index 11256751) wies die Klage ab. Es führte aus, dass die Klägerin nach § 59 UStDV vom allgemeinen Besteuerungsverfahren ausgeschlossen sei. Sie schulde für keine Umsätze die Umsatzsteuer nach § 13b UStG. Die bezogenen Werbeleistungen seien nicht im Inland steuerbar.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision mit anderer Begründung als FA und FG als unbegründet zurück. Es komme nicht darauf an, ob die Klägerin Umsatzsteuer nach § 13b UStG schulde. Der Vorsteuerabzug sei ohnehin gemäß § 15 Abs. 4b UStG ausgeschlossen.

Offengelassen hat der BFH daher das Vorliegen einer passiven festen Niederlassung und der sich daran anknüpfenden Rechtsfolgen im Bereich des § 13b UStG.

 

Hinweis

1. Schuldet ein im Drittland ansässiger Unternehmer (nur) Umsatzsteuer gemäß § 13b UStG, hat auch er Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Umsatzsteuer-Jahreserklärungen im allgemeinen Besteuerungsverfahren abzugeben (§ 18 Abs. 4a Satz 1 UStG). In diesem Verfahren kann er grundsätzlich den Vorsteuerabzug vornehmen (vgl. BFH, Urteil vom 28.8.2013, XI R 5/11, BFH/NV 2013, 2033, BStBl II 2014, 497; BFH, Urteil vom 19.11.2014, V R 41/13, BFH/NV 2015, 634).

2. Allerdings kann der im Drittland ansässige Unternehmer (allein) damit dem im Vorsteuer-Vergütungsverfahren bestehenden Vorsteuerausschuss bei fehlender Gegenseitigkeit (jetzt: § 18 Abs. 9 Satz 4 UStG) nicht "entfliehen"; denn § 15 Abs. 4b UStG überträgt diesen aus Gründen der Gleichbehandlung ins allgemeine Besteuerungsverfahren.

3. Das völkerrechtlich anerkannte Prinzip der Gegenseitigkeit ist weder verfassungswidrig (vgl. BFH, Urteil vom 10.4.2003, V R 35/01, BFH/NV 2003, 1279, BStBl II 2003, 782) noch unionsrechtswidrig (vgl. EuGH, Urteil vom 15.7.2010, C-582/08, Kommission/Vereinigtes Königreich, BFH/NV 2010, 1762, Rz. 51; EuGH, Urteil vom 7.6.2007, C-335/05, Rizeni Letoveho Provozu, BFH/NV Beilage 2007, 386).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.5.2019 – XI R 1/18

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