Rz. 520

Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit sieht der EuGH auch den Vertrauensschutz, den der Steuerpflichtige genießt, der als Opfer von betrügerischen Manipulationen die Steuerbefreiung verlieren würde.[1] Der Vertrauensschutz, den § 6a Abs. 4 UStG dem Unternehmer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen gewährt, beruht auf denselben Erwägungen, die nicht auf innergemeinschaftliche Lieferungen beschränkt sind. Bereits durch die Protokollerklärung zu Art. 28c Buchst. A der 6. MwStSystRL hatten Rat und Kommission erklärt, dass die Anwendung der Bestimmung auf keinen Fall zur Folge haben darf, dass die Steuerbefreiung verweigert wird, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Erwerber materiell falsche Angaben gemacht hat, während der Steuerpflichtige die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, bei Lieferungen seines Unternehmens einer inkorrekten Anwendung der Mehrwertsteuervorschriften vorzubeugen. Der EuGH hat durch sein o. a. Urteil den Vertrauensschutz auf die Ausfuhrlieferungen erweitert, wenn zwar die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nicht vorliegen, der Unternehmer das aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns infolge der falschen Angaben des Abnehmers nicht erkennen konnte. Der Unternehmer werde als Steuereinnehmer für Rechnung und im Interesse des Staates tätig und dürfe daher nicht mit dem Steuerrisiko allein belastet werden, wenn er trotz aller Vorkehrungen und Sorgfalt dem Betrug Dritter, auf die er keinen Einfluss habe, erlegen sei. Bei der Prüfung der zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind dieselben strengen Anforderungen anzustellen, wie sie zu § 6a Abs. 4 UStG gelten (§ 6a UStG Rz. 231ff.). Die von der Finanzverwaltung und der Rechtsprechung bisher vertretene Auffassung[2], dass es bei Ausfuhrlieferungen keinen Vertrauensschutz für den Unternehmer gäbe, sind durch die Rechtsprechung des EuGH überholt. Voraussetzung für jede Anwendung von Vertrauensschutz ist, dass eine Ausfuhrlieferung tatsächlich vorliegt und durchgeführt wurde.[3]

 

Rz. 521

Der BFH hat in der dem EuGH-Urteil nachfolgenden Entscheidung[4] ebenfalls die Ansicht vertreten, aus den im Steuerrecht allgemein geltenden Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes ergebe sich, dass die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung nicht versagt werden dürfe, wenn der liefernde Unternehmer die Fälschung des Ausfuhrnachweises, den der Abnehmer ihm vorlege, auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hätte erkennen können. Hat der Lieferer die Beleg- und Buchnachweise erbracht, deren Vorlage der Mitgliedstaat nach seinen entsprechenden Regelungen zum Nachweis der Voraussetzungen für die Ausfuhrlieferung verlangt, darf er auf die Rechtmäßigkeit seines Umsatzes vertrauen, wenn er alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung zu vermeiden. S. hierzu auch die Rechtsprechung des XI. Senats des BFH, die zu § 6a Abs. 4 UStG ergangen ist.[5] Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind mangels einer einschlägigen Unionsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats.[6] Da in § 6 UStG im Gegensatz zur innergemeinschaftlichen Lieferung eine materiell-rechtliche Regelung zum Vertrauensschutz fehlt, sind Vertrauensschutzgesichtspunkte nach Maßgabe der allgemeinen abgabenrechtlichen Regelungen zu berücksichtigen. Eine analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG auf Ausfuhrlieferungen kommt nicht in Betracht.[7] Die Bestimmungen in § 163 AO und § 227 AO ermöglichen deren Berücksichtigung im Einzelfall. Auch wenn sich der Steuerpflichtige, anders als im vorliegenden Fall, bereits im Festsetzungsverfahren auf Vertrauensschutzgesichtspunkte beruft, sind diese gleichwohl im Billigkeitsverfahren zu berücksichtigen. Dabei wird das Ermessen der Finanzverwaltung[8] regelmäßig dahingehend auszuüben sein, dass die Entscheidung über die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen mit der Steuerfestsetzung zu verbinden ist. Hat der Steuerpflichtige alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die von ihm getätigten Umsätze nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führen[9], so ist das Verwaltungsermessen hinsichtlich der Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme auf Null reduziert. Zur Sicherstellung einer richtlinienkonformen Anwendung des nationalen Rechts besteht daher auch unter Beachtung von § 102 FGO eine insoweit uneingeschränkte Überprüfbarkeit der Ermessensentscheidung des FA durch das FG.[10] Hat dagegen der Steuerpflichtige durch kollusives Zusammenwirken mit dem Abnehmer eine Lieferung an einen Zwischenhändler vorgetäuscht, um dem Abnehmer die Hinterziehung von Steuern zu ermöglichen, liegt keine innergemeinschaftliche Lieferung vor.[11]

 

Rz. 522

Mitunter wird von Unternehmern ...

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