Rz. 4

§ 4 Nr. 15b UStG beruht ausweislich der amtlichen Gesetzesbegründung[1] auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Eingliederungsleistungen nach SGB II und Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nach SGB III sowie die hiermit vergleichbaren Leistungen dürften eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL darstellen. Es handelt sich um Leistungen, die dem Grundsatz nach im SGB beschrieben werden. Mit diesen Leistungen werden auch soziale Zwecke verfolgt, weil sie einen spezifischen sozialrechtlichen Bedarf voraussetzen und somit einer wirtschaftlichen oder sozialen Notlage abhelfen, die sich aufgrund von Hilfebedürftigkeit oder Arbeitslosigkeit ergibt. Die Leistungen werden regelmäßig von den Agenturen für Arbeit bzw. den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezahlt, wobei das Verhältnis zwischen dem Sozialleistungsträger[2] und der die Leistung erbringenden Einrichtung im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet, aber ebenso wie das zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Sozialleistungsträger bestehende Verhältnis öffentlich-rechtlich geprägt ist.[3]

 

Rz. 5

Die Regelung entspricht auch der Auslegung von Art 132 Abs. Buchst. g MwStSystRL durch den BFH.[4] Danach sind unter die Vorschrift Leistungen, deren Art und Umfang im SGB und Nebengesetzen dazu beschrieben werden, zu subsumieren. Denn nach § 1 Abs. 1 SGB I soll das Recht des SGB zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfe gestalten. Alle in § 4 Nr. 15b UStG beschriebenen Leistungen werden nach dem SGB II oder SGB III erbracht. Bei diesen Leistungen handelt es sich daher wohl unzweifelhaft um Leistungen der sozialen Sicherheit oder der Sozialfürsorge. Insoweit ist die Rechtslage bei eindeutig durch das SGB definierten Leistungen auch nicht mit dem durch den BFH mit Urteil v. 1.12.2010[5] entschiedenen Fall vergleichbar. Dort war streitig, ob es sich bei einem Menüservice, der nicht als Sozialleistung nach dem SGB erbracht wurde, um eine Leistung mit sozialem Charakter handeln kann. Der BFH musste in dem dort entschiedenen Fall, in dem es keinen Bezug zum SGB gab, auf weitere Abgrenzungsmerkmale zurückgreifen. Dies ist jedoch bei Leistungen, die nach dem SGB oder dessen Nebengesetzen gewährt werden, nicht notwendig, da es sich hierbei um eindeutig bestimmbare Sozialleistungen handelt.

 

Rz. 6

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH[6] sind die in Art. 132 MwStSystRL niedergelegten Steuerbefreiungen autonome unionsrechtliche "Begriffe", die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindern sollen. Darüber hinaus sind die Steuerbefreiungen in Art. 132 MwStSystRL eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der USt unterliegt. Diese Regel einer engen Auslegung bedeutet jedoch nicht, dass die zur Definition der Steuerbefreiungen nach Art. 132 MwStSystRL verwendeten Begriffe in einer Weise auszulegen sind, die den Befreiungen ihre Wirkung nähme. Diese Begriffe sind nach ihrem Sachzusammenhang sowie nach den Zielsetzungen und der Systematik der MwStSystRL auszulegen, wobei insbesondere der Normzweck der betreffenden Steuerbefreiung zu berücksichtigen ist.[7] Eine Definition der Begriffe "Sozialfürsorge" und "soziale Sicherheit" enthält die MwStSystRL nicht. Der Bedeutungsgehalt dieser Begriffe ist daher durch Auslegung im Lichte der v.g. EuGH-Rechtsprechung zu untersuchen. Von seinem Wortlaut her ist Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL sehr weitgehend. Insbesondere der Begriff der eng mit der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen dürfte unterschiedlichste Leistungen erfassen. Nach internationalem Recht bezeichnet soziale Sicherheit die Gesamtheit staatlicher Maßnahmen, die die Folgen bestimmter sozialer Risiken ausgleichen soll, zu denen auch die Folgen von Arbeitslosigkeit gehören. Dies ergibt sich z. B. aus dem Übereinkommen Nr. 102 der Internationalen Arbeitsorganisation[8], einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die damit beauftragt ist, soziale Gerechtigkeit sowie Menschen- und Arbeitsrechte zu befördern. In dem Übereinkommen Nr. 102 sind Mindestnormen der sozialen Sicherheit aufgeführt. Ein Staat, der das Übereinkommen Nr. 102 ratifizieren will, muss mindestens drei von insgesamt neun in der Konvention genannten sozialen Risiken absichern.[9] Eines der neun Risiken ist Arbeitslosigkeit.[10]

 

Rz. 7

Für die vom EuGH geforderte autonome unionsrechtliche Auslegung ist zu beachten, dass es auf europäischer Ebene kein System der sozialen Sicherheit gibt. Anstelle einer Harmonisierung sehen die Unionsvorschriften lediglich eine Koordinierung der nationalen Systeme vor. Die relevanten EU-Vorschriften legen gemeinsame Regeln und Grundsätze fest, die von allen nationalen Behörden, Sozialversicherungsträgern und Geric...

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