Rz. 106

Ob ein Umsatz als Lieferung von (verzehrfertigen) Speisen oder als sonstige Leistung (Restaurationsumsatz) einzuordnen ist, war schon seit Einführung des derzeit geltenden Umsatzsteuerrechts zum 1.1.1968 wegen des unterschiedlichen Steuersatzes von entscheidender Bedeutung. Vom 1.1.1968 bis zum 30.6.2011 ergaben sich dabei verschiedene Ansatzpunkte, den zutreffenden Steuersatz gesetzlich zu regeln. Die wesentlichen Punkte der Entwicklung seit dem 1.1.1968 lassen sich wie folgt skizzieren:

 

Rz. 107

Mit Einführung des derzeit gültigen Umsatzsteuersystems zum 1.1.1968 wurde in § 3 UStG keine gesetzliche Abgrenzung zwischen den Lieferungen von Speisen und den Restaurationsumsätzen vorgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war offensichtlich davon ausgegangen worden, dass die Abgabe der verzehrfertigen Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle trotz des erheblichen Dienstleistungsanteils eine Lieferung darstellt. Zur Anwendung des maßgeblichen Steuersatzes war dann in § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG 1968 geregelt, dass die Lieferungen von Speisen und Getränken dann nicht ermäßigt zu besteuern sind, wenn sie zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert wurden.[1] Als Verzehr an Ort und Stelle wurde nach § 5 der bis 31.12.1979 geltenden 3. UStDV[2] Folgendes geregelt: Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert, wenn sie nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Lieferung in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden. Zum 1.1.1985 wurde diese Definition in § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 UStG übernommen, da der BFH[3] in diversen Urteilen die bisher auf § 26 Abs. 1 UStG gestützte Ermächtigung für die Definition in der UStDV für rechtunwirksam ansah.

 

Rz. 108

Mit Wirkung zum 27.6.1998 wurde die Regelung zur Nichtanwendung des ermäßigten Steuersatzes für die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle in § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 und S. 3 UStG aufgehoben.[4] Gleichzeitig wurde in § 3 Abs. 9 S. 4 UStG geregelt, dass die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Leistung ist. Nach § 3 Abs. 9 S. 5 UStG werden Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden. Diese systematische Anpassung wurde vorgenommen, nachdem der EuGH[5] festgestellt hatte, dass die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen ist. Dabei wird dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt, die sowohl einen Speisesaal mit Nebenräumen (Garderoben u. a.) als auch das Mobiliar und das Geschirr umfasst. Ggf. werden Kellner das Gedeck auflegen, den Gast beraten, die angebotenen Speisen oder Getränke erläutern, diese auftragen und schließlich nach dem Verzehr die Tische abräumen. Somit ist der Restaurationsumsatz durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen bei weitem überwiegen. Damit ist der Restaurationsumsatz als sonstige Leistung zu betrachten. Etwas anderes gilt hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel "zum Mitnehmen" bezieht und daneben keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen. Der BFH[6] hatte in einer Entscheidung zu Restaurationsumsätzen auf Bodenseeschiffen die Vorgaben des EuGH zeitnah umgesetzt.

 

Rz. 109

Allerdings ergaben sich Zweifel, ob die nationale Umsetzung in vollem Umfang richtlinienkonform sei. So entschied der BFH[7], dass der Wortlaut des § 3 Abs. 9 S. 4 UStG 1999 nicht in vollem Umfang gemeinschaftskonform ist und gab vor, dass bei der Beurteilung, ob das Dienstleistungselement der Abgabe von fertig zubereiteten Speisen das Lieferelement qualitativ überwiegt, nur solche Dienstleistungen zu berücksichtigen sind, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung der Speisen verbunden sind. Aufgrund dieser Zweifel wurden dann mWv 29.12.2007[8] die Regelungen in § 3 Abs. 9 S. 4 und S. 5 UStG wieder aufgehoben. Bis zum 30.6.2011 war – ohne eine gesetzliche Regelung – die Abgrenzung zwischen der Lieferung verzehrfertiger Speisen zum ermäßigten Steuersatz und dem Restaurationsumsatz nach den allgemeinen Grundsätzen aus der Rechtsprechung vorzunehmen.

 

Rz. 110

Im Mittelpunkt der Rechtsprechung standen vier Vorabentscheidungsersuchen, in denen sich der EuGH mit einem Partyservice[9], mit der Abgabe von Popcorn in einem Multiplexkino[10] und zwei Imbissständen[11] auseinandersetzen musste. In allen Fällen hatte die Finanzverwaltung nach Prüfungen Umsätze aus d...

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