Rz. 47

§ 3 Abs. 6 UStG regelt Ort und Zeitpunkt der Lieferung.[1] Der Lieferzeitpunkt ist nicht in allen Fällen nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten zu bestimmen, wie dies vom Gesetzgeber im Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1997[2] angenommen worden war.

 

Rz. 48

Auch das Unionsrecht geht in Art. 32 MwStSystRL davon aus, dass der Steuertatbestand zu dem Zeitpunkt eintritt, in dem die Beförderung oder Versendung beginnt. Damit gilt die Lieferung bei Beförderungen – zeitlich – mit dem Beginn der Beförderung und bei Versendungen mit Übergabe an den Spediteur, Frachtführer, o. Ä. "als ausgeführt", gleichzeitig wird dabei – räumlich – der Lieferort festgelegt.

 

Rz. 49

Bürgerlich-rechtlich wird beim Versendungskauf zwischen Eigentums- und Gefahrenübergang unterschieden. Die Gefahr geht gem. § 447 BGB grundsätzlich mit der Übergabe an den Beförderungsunternehmer auf den Abnehmer über, Eigentum wird gem. § 929 S. 1 BGB erst mit Übergabe übertragen – wenn nichts anderes vereinbart ist.

 
Praxis-Beispiel

Der Liefergegenstand wird auf dem Transport zum Käufer durch Zufall vernichtet oder beschädigt. Besondere Lieferbedingungen sind nicht vereinbart.

Eine Lieferung ist mangels Übergabe aus zivilrechtlicher Sicht nicht erfolgt. Der Verkäufer hat Anspruch auf Bezahlung des Kaufpreises, da die Gefahr des Untergangs mit Beginn der Beförderung auf den Käufer übergegangen ist. Die Zahlung ist als echter Schadensersatz zu beurteilen, da sie vom Käufer nicht als Gegenleistung für eine erhaltene Lieferung geleistet wurde, sondern weil der Verkäufer Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens hatte.

Das gilt auch für die umsatzsteuerliche Beurteilung. Eine Lieferung i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG ist mangels Verschaffung der Verfügungsmacht nicht zustande gekommen. Hierfür hätte es der körperlichen Übergabe des Gegenstands bedurft; § 3 Abs. 6 S. 1 UStG regelt lediglich Ort und Zeitpunkt der Beförderungs- oder Versendungsleistung. Der Beginn der Beförderung/Versendung führt nicht zur Annahme einer Lieferung. Mangels Lieferung liegt kein steuerbarer Leistungsaustausch vor; die Zahlung stellt auch aus umsatzsteuerlicher Sicht echten Schadensersatz dar.

Befördert der Unternehmer einen Gegenstand zum Käufer, erfolgen Eigentumsübertragung (§ 929 S. 1 BGB) und Verschaffung der Verfügungsmacht (§ 3 Abs. 1 UStG) eigentlich zu dem Zeitpunkt und an dem Ort, an dem die Übergabe an den Käufer stattfindet. Durch die Sonderregelung des § 3 Abs. 6 S. 1 und 2 UStG wird der Lieferort aufgrund der Beförderung durch den Unternehmer an den Ort verlagert, an dem die Beförderung begann.

§ 3 Abs. 6 UStG enthält keine eigene Lieferfiktion. Die Vorschrift kann deshalb nur angewendet werden, wenn nach den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 UStG vom Vorliegen einer Lieferung ausgegangen werden kann, wenn also der Unternehmer einem Abnehmer Verfügungsmacht an einem Liefergegenstand verschafft hat. Siehe hierzu § 3 Abs. 1 UStG Rz. 130ff., wo die verschiedenen Möglichkeiten der Verschaffung der Verfügungsmacht mit den entsprechend möglichen Zeitpunkten und Orten dargestellt werden.

 

Rz. 50

Von besonderer Bedeutung ist die Bestimmung des Lieferzeitpunkts bei grenzüberschreitenden Liefervorgängen im internationalen Handel. In der Praxis haben sich hierfür umfassende Liefer- und Zahlungsbedingungen entwickelt, die aus nationalem Gewohnheitsrecht zu Internationalen Handelsbräuchen wurden. Die gebräuchlichsten Lieferbedingungen sind die sog. International Commercial Terms (INCOTERMS). Die Incoterms regeln Art und Weise der Lieferung von Gütern. Sie legen fest, welche Transportkosten der Verkäufer, welche der Käufer zu tragen hat und wer im Falle eines Verlusts oder Beschädigung der Ware das finanzielle Risiko trägt (Gefahrübergang).[3]

Für die Umsatzbesteuerung sind dabei die unterschiedlichen Regeln bezüglich der Übergabe der Ware bedeutsam.

 

Rz. 51

Bei Vereinbarung von Incoterms stehen den Verpflichtungen des Verkäufers auf der anderen Seite die entsprechenden Pflichten des Käufers spiegelbildlich gegenüber. Aus Sicht des Verkäufers stellt z. B. die Lieferklausel "EXW" ("ex works", d. h. "ab Werk") die Minimalverpflichtung dar, da sie ihm die geringsten Pflichten auferlegt; er muss den Liefergegenstand lediglich am vereinbarten Ort zur Abholung durch den Käufer auf dessen Kosten bereitstellen. Das spiegelbildliche Pendant zu EXW stellt für den Verkäufer die Klausel "DDP" ("delivered duty paid", d. h. "geliefert verzollt") dar, denn danach muss er die Ware auf eigene Kosten und Gefahr bis zum vereinbarten Bestimmungsort im Importland liefern, alle Formalitäten erledigen und neben sämtlichen Kosten auch alle Eingangsabgaben tragen.

 

Rz. 52

Die wichtigsten Incoterms ergeben sich aus der folgenden Übersicht:

 

Liefer-

Klausel
Kürzel Bedeutung Zivilrechtlicher Lieferort Gefahrübergang Kostenübergang

E-Klausel

Abholklausel
EXW Ex works/ab Werk Werk des V Lieferort
F-Klauseln FCA Free carrier/frei Frachtführer Übergabe an Frachtführer Lieferort
  FAS Free along...

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