Rz. 110

Die Selbstanzeige nach § 371 AO stellt insgesamt eine Ausnahmevorschrift des deutschen Strafrechts dar, denn sie bewirkt Straffreiheit auch bei einer bereits beendeten Steuerhinterziehung. Die Regelung ist in Anbetracht der vielen Selbstanzeigen aufgrund von Kapitalanlagen im Ausland und einigen populären Fällen seit dem Jahr 2010 stark in die Diskussion gekommen und zweimal umfangreich geändert (verschärft) worden.[1] Nach § 371 Abs. 1 AO kann ein Steuerhinterzieher auch nach Beendigung der Tat – der Steuerhinterziehung – vollständig straffrei bleiben, sofern die Voraussetzungen einer Selbstanzeige vorliegen.[2] Selbst beim Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale tritt die Straffreiheit gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO (u. a.) aber dann nicht ein, wenn ein Amtsträger der Finanzbehörde bereits zur "steuerlichen Prüfung erschienen" ist. Zu beachten ist, das schon durch eine Entscheidung des BGH vom Mai 2010 eine erhebliche Verschärfung der Rechtslage zur Wirksamkeit von Selbstanzeigen – insb. hinsichtlich der Zulässigkeit einer Teilselbstanzeige und des Eintritts der Sperrgründe[3] – eingetreten ist. Dies und der politische Wille führten mit Wirkung ab dem 3.5.2011 zu einer (ersten) Verschärfung der gesetzlichen Regelung[4], bei der hervorzuheben war, dass die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 AO nunmehr für alle unverjährten Zeiträume einer Steuerart galt.[5] Bereits mit Wirkung zum 1.1.2015 wurde § 371 AO durch Gesetz vom 22.12.2014 erneut geändert.[6] Als für die Handhabung der Umsatzsteuer-Nachschau wichtiger Punkt wurde für diese Prüfung der Finanzbehörde als Abs. 2 S. 1 Nr. 1e ein eigener Sperrtatbestand eingefügt.

 

Rz. 111

Mit dieser Erweiterung der Sperrtatbestände des § 371 Abs. 2 AO wurde eine vorher bestehende Zweifelsfrage jedenfalls teilweise geklärt. Bei der bis zum 31.12.2014 geltenden Regelung war fraglich, ob die für die Anwendung des § 371 AO so wichtige Sperrwirkung[7] auch beim Beginn einer Umsatzsteuer-Nachschau eintrat. Dies war und ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn in dem konkreten Fall bereits ein Übergang zu einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung nach § 27b Abs. 3 UStG stattgefunden hat.[8] Die Erstattung einer wirksamen strafbefreienden Selbstanzeige ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich[9], hier gilt Gleiches wie bei allen anderen begonnenen Außenprüfungen.

 

Rz. 112

Schwieriger war dagegen die Frage zu beantworten, ob bereits das bloße Erscheinen zur Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO auslöste. Hier war das Ergebnis umstritten, wobei ein Teil des damaligen Schrifttums generell den Eintritt der Sperrwirkung bereits ab diesem Zeitpunkt ablehnte.[10] Dazu ist zunächst allgemein festzuhalten, dass der entscheidende Unterschied der Umsatzsteuer-Nachschau zu den sonstigen Außenprüfungen darin besteht, dass bei ihr keine vorhergehende Prüfungsanordnung, die nach außen hin bekannt wird, ergeht, sondern lediglich ein verwaltungsinterner Prüfungsauftrag vorliegt. Somit ist es nach außen hin weder für den betroffenen Steuerpflichtigen noch für einen Dritten (z. B. den Steuerberater) allein aus dem Erscheinen eines Prüfers der Finanzbehörde erkennbar, was der Gegenstand der Nachschau ist. Er weiß wohl allenfalls, dass es um eine umsatzsteuerrechtliche Überprüfung durch die Finanzbehörde geht. Erst wenn der Prüfer ihm offenbart, dass er zur Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau erschienen ist und wenn der Prüfer den konkreten Gegenstand dieser Nachschau benennt, weiß er worum es geht.

 

Rz. 113

M. E. bedurfte es unter der "alten" Rechtslage einer differenzierten Betrachtung, was schon daraus deutlich wird, dass das bloße Erscheinen eines Amtsträgers zu einer Umsatzsteuer-Nachschau sicher nicht die Sperrwirkung hinsichtlich aller Steuerarten und Zeiträume auslösen kann.[11] Da der Zweck der Umsatzsteuer-Nachschau der Überprüfung umsatzsteuerlicher Sachverhalte dient (Rz. 17f.), konnte die Sperrwirkung zunächst auch nur diese Steuerart betreffen[12], unabhängig vom Inhalt der Feststellungen der Nachschau. Darüber hinaus war der Eintritt der Sperrwirkung aber auch nach der alten Gesetzesfassung m. E. dann zu bejahen, wenn der Beamte den Gegenstand seiner Nachschau bei Beginn der Prüfung genau bekannt gegeben hatte. Forderte der Amtsträger also z. B. die Vorlage bestimmter Rechnungen – etwa alle Geschäftsvorfälle bezüglich eines anderen Unternehmers oder der Voranmeldungs-Zeiträume 01 bis 06 aus dem Jahr 01 – dann war eine strafbefreiende Selbstanzeige ab diesem Zeitpunkt ausgeschlossen, denn der Amtsträger war zur Prüfung eines (konkreten) steuerlichen Sachverhalts unmittelbar erschienen.[13]

 

Rz. 114

Im Sinne dieser Rechtsfolge hat sich im Folgenden auch der Gesetzgeber entschieden.[14] Nach dem Sperrtatbestand des § 371 Abs. 2 S. 2 Nr. 1e AO tritt Sperrwirkung ein, wenn ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b UStG, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften...

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